Nach der Krise kommt die Kohle
- Nach der Krise kommt die Kohle
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Konjunkturpakete gehen nicht in die Förderung erneuerbarer Energien. Das Geschäft mit Kohlekraftwerken boomt. $600 Milliarden stehen Klimazielen im Weg
Einerseits lähmt die COVID-19 Pandemie ganze Volkswirtschaften und sorgt für heftige Turbulenzen auf den Finanzmärkten. Andererseits gehen Luftverschmutzung und CO2-Emissionen global zurück. Es heißt, wenigstens dieses Jahr könnten Klimaziele erreicht werden, das Ökosystem Erde könne kurz aufatmen. Doch ein vielerorts erhofftes Signal den Modus des bisherigen Wirtschaftens zu ändern, bleibt aus. Die Bestrebungen kreisen eher darum, so schnell wie möglich zum Status-Quo zurückzukehren, und damit weiter abhängig von der Stromerzeugung aus Kohlekraftwerken zu bleiben.
China, das bereits in die Post-Covid-19-Zeit eintritt, plant seine Wirtschaft tatsächlich mit dem Bau weiterer Kohlekraftwerke anzukurbeln. Anfang März wurden in China Zulassungen für den Bau von fünf Kohlekraftwerken erteilt. Über ein Hundert weitere könnten angeblich noch folgen, jedoch nicht aus Gründen der Energiesicherheit, sondern als Konjunkturprogramm. Schließlich hat China seit Jahren Überkapazitäten beim Kohlestrom. Rund 40 Prozent der Kapazitäten jener Kraftwerke, die etwa letztes Jahr in Betrieb genommen wurden, gingen gar nicht ans Netz. Sie wurden als Backup für Netzausfälle deklariert.
China verfügt derzeit über Kapaziäten von mehr als 1.000 Gigawatt (GW) kohlebefeuerten Strom. Betrug der Anteil der Kohle am Primärenergiemix vor zehn Jahren noch 72%, liegt er heute bei 58%. Das liegt vor allem daran, dass China mehr als jedes andere Land der Welt in den Ausbau der Stromerzeugung durch erneuerbare Energien investiert, jährlich rund 100 Milliarden US-Dollar, weit mehr als die jährlichen Investitionen der USA und der Europäischen Union zusammen.
In kürzester Zeit stieg das Land weltweit zur Nummer eins bei der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen auf. 4,1 Millionen Menschen, knapp 40% aller Arbeitsplätze weltweit, arbeiten mittlerweile in dem Sektor. China ist führend bei der Beschäftigung im Bereich der erneuerbaren Energien. Trotz des dortigen Hypes um Windkraft und Solarzellen geht es nun wieder um Wachstumsziele und Konjunkturprogramme im Stile der Boomjahre im Bausektor, die durch immense Schulden finanziert wurden. In Folge der Pandemie scheint China Kohlekraftwerke als Mittel zur Ankurbelung der heimischen Wirtschaft einsetzen zu wollen.
46% aller Kohlekraftwerke unrentabel
Gegenwärtig laufen weltweit fast 6700 Kohlekraftwerke. Kohlekrafte befinden sich weltweit im Bau, aktuell sind wegen Covid-19 etwa 15 Bauprojekte gestoppt. Mindestens weitere 405 Bauvorhaben warten auf eine Zulassung. Laut Daten des Think Tanks Carbon Tracker sind sogar 1046 Kraftwerke derzeit im Bau oder geplant. Theoretisch müssten, um die Klimaziele von 2050 zu erreichen, ab dem Jahr 2029 jeden Tag ein Kraftwerk geschlossen werden. Fraglich, ob die Welt sich bis dahin darauf bindend einigt, sich von der klimaschädlichen und umweltverschmutzenden Kohleverstromung zu trennen.
Grund dazu könnte eventuell nicht die Verantwortung gegenüber dem Ökosystem des Planeten, sondern die schwindende Wirtschaftlichkeit von Kohlekraftwerken geben. Einem Bericht von Carbon Tracker zufolge, der am Mittwoch veröffentlicht wurde, werden dieses Jahr bedingt durch die Pandemie 46 Prozent der Kohlekraftwerke weltweit nicht rentabel arbeiten. Und unabhängig von der Covid-19-Pandemie werde dieser Trend weitergehen, sodass im Jahr 2030 mehr als die Hälfte aller Kohlekraftwerke weltweit nur noch Kosten erzeugen.
"Regierungen und Investoren, die derzeit neue Kohlekraftwerke bauen, werden ihre Investitionen möglicherweise nie amortisieren, weil Kohlekraftwerke in der Regel 15 bis 20 Jahre benötigen, um ihre Kosten zu decken", heißt es in dem Bericht. Doch der globale Kohleverbrauch bei der Stromerzeugung soll bis 2030 um 80% unter das Niveau von 2010 fallen, um die globale Erwärmung zu begrenzen. Ein Anliegen, das angesichts der drohenden Rezession in den Hintergrund rückt.
"China und andere Länder mögen ihren Volkswirtschaften helfen wollen, sich nach der Covid-19-Pandemie zu erholen, indem sie in Kohlekraftwerke investieren. Aber dies birgt nicht nur die Gefahr, dass sie die globalen Klimaziele untergraben werden, sondern auch in hochpreisige Kohlekraftwerke investieren und auf den Schulden sitzen bleiben", sagt Matt Gray von Carbon Tracker in dem Bericht. "Wer neue Kohlekraftwerke baut und die bestehenden subventioniert, wirft jedoch Geld zum Fenster heraus."
"Da die politischen Entscheidungsträger nach der Coronakrise nach Möglichkeiten suchen, die Wirtschaft zu stimulieren, wäre eine Welle neuer Kohlekraftwerke die schlimmste Art von Verschwendung", sagt auch Lauri Myllyvirta, Analyst beim Centre for Research on Energy and Clean Air, einer Forschungsorganisation mit Sitz in Helsinki.
Die wirtschaftliche Reaktion auf die Pandemie droht laut dem Centre for Research on Energy and Clean Air zu wiederholen, was in den letzten Jahrzehnten nach Krisen und Epidemien auftrat. So sei der Bauanreiz von Kohlekraftwerken nach der SARS-Epidemie im Jahr 2003 so groß gewesen, dass die Luftverschmutzung in China danach Spitzenwerte erreichte. Und der Stimulus nach der globalen Finanzkrise 2008 habe zum Rekordsmog im Winter 2012/13 in China geführt. Die chinesische Regierung reagierte mit dem nationalen Fünf-Jahres-Aktionsplan für saubere Luft. Pekings Kohlekraftwerke sollten etwa durch Gas-Kraftwerke ersetzt werden.
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