Naher Osten 2023: Warum mit dem Israel-Gaza-Krieg fast alles anders ist
Seite 2: Die Eskalation zum Krieg
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So durchbrachen Hamas-Terroristen am 7. Oktober 2023 das hoch entwickelte Verteidigungssystem Israel, sie töteten und entführten mehr als 1.200 Zivilisten. Der Angriff ging mit Gräueltaten gegen Frauen, Kinder und älteren Menschen einher. Ferner wurde das israelische Territorium von Raketen der Militanten getroffen, die teilweise das israelische Raketenabwehrsystem "Iron Dome" durchbrachen.
Der Angriff erinnerte die Israelis an den Jom-Kippur-Krieg, der vor genau 50 Jahren und einem Tag, am 06. Oktober 1973, an einem hohen jüdischen Feiertag begann. Damals war die Invasion einer arabischen Koalition unter Führung Ägyptens und Syriens auch ein Versagen des israelischen Geheimdienstes.
Obwohl den Israelis die Rückeroberung aller besetzter Gebiete gelang und sie sogar in die Offensive gingen, gilt dieser Krieg als eine der dunkelsten Stunden in der Geschichte des israelischen Staates.
Massive Bombenangriffe
Auch aktuell reagierte Israel entschieden und gnadenlos. Zunächst begann die israelische Armee mit massiven Bombenangriffen auf den Gazastreifen und ging Ende Oktober zu Bodenoperationen über. Netanjahu versprach, der Krieg werde "die Landkarte des Nahen Ostens verändern".
Von den Geiseln schaffte es die Armee jedoch nur eine zu befreien – die übrigen mehr als 100 wurden entweder von der Hamasa oder im Austausch mit palästinensischen Gefangenen freigelassen. Mehr als 100 Geiseln befinden sich noch immer in den Händen der Hamas.
Von Israel gejagte, wichtige Anführer des militanten Arms der Hamas in Gaza, wie Yahya Sinwar, bleiben weiter in einem wahrscheinlich 500 Kilometer langen unterirdischen Tunnelnetz verschanzt und sind möglicherweise bereits aus dem Gaza-Gebiet geflohen. Die Hauptlast des Krieges trägt vor allem die Zivilbevölkerung im Gazastreifen.
Bislang wurden mehr als 20.000 Bewohner des Gazastreifens getötet, etwa zwei Millionen Palästinenser dort mussten ihre Häuser verlassen und nach Süden fliehen, also etwa 85 Prozent der Einheimischen.
Cui Bono?
Am 12. Dezember stimmten 153 UNO-Mitgliedsstaaten in der Generalversammlung für eine Resolution, die einen sofortigen Waffenstillstand in Gaza forderte. Dagegen stimmten die USA und Israel, erstere blockierte mit ihrem Veto einen entsprechenden Beschluss des Sicherheitsrates. Somit bleiben die Amerikaner die wichtigsten Verbündeten Israels.
Doch auch Washington fällt es immer schwerer, zwischen Israel und der arabischen Welt zu manövrieren. So ist es bezeichnend, dass es beispielsweise nach Verhandlungen zwischen US-Außenminister Blinken in Jordanien und mehreren arabischen Kollegen nicht einmal zu einer gemeinsamen Erklärung kam.
Ein anderes für den 18. Oktober geplantes ähnliches Treffen von Staats- und Regierungschefs unter Beteiligung von US-Präsident Biden wurde ganz abgesagt.
Tunnelkrieg
In der Masse der fliehenden Zivilisten in Gaza können zudem Hamas-Kämpfer sehr leicht untertauchen, Israel verfügt auch über keine Erfahrung in einem Tunnelkrieg. Israelische Generäle geben zu, dass die vollständige Zerstörung der Hamas vor Ort mehrere Monate dauern könnte.
Jetzt weist auch die USA Israel darauf hin, dass entweder die Armee des jüdischen Staates bis Jahresende konkrete Ziele erreichen muss oder es notwendig wird, einen Waffenstillstand zu verhandeln.
Während aber noch Ende November bei einem Waffenstillstandsabkommen der Austausch israelischer Frauen und Kinder gegen palästinensische Frauen und Kinder ein Bestandteil war, steht jetzt das israelische Militär im Vordergrund. Es verlangt für die Terroristen einen höheren Preis.
Waffenstillstand
Die Hamas fordert einen vollständigen Waffenstillstand. Israel akzeptiert die Bedingungen der Gegenseite nicht.
Der Einsatz wird mit voller Härte mit steigenden Opferzahlen fortgeführt, darunter auch Geiseln. Der Druck auf die israelische Führung nimmt jedoch weiter zu, etwa als drei Geiseln am 15. Dezember versehentlich von israelischem Militär getötet wurden. Unterdessen steht für Netanjahu das politische Überleben auf dem Spiel.
Er versteht, dass er sich so lange sicher in der Politik hält, so lange die Gaza-Militäroperation andauert. Positive Resultate können seine Karriere verlängern, ausbleibender Erfolg kann sie begraben.
Hamas erreicht drei Ziele
So erreichte die Hamas mit ihrem Eindringen nach Israel mindestens drei Ziele. Erstens wurde der Prozess der Normalisierung zwischen dem jüdischen Staat und der arabischen Welt zumindest unterbrochen. Zweitens rückte die Palästinenserfrage ganz oben auf die weltweite Tagesordnung.
Und drittens schob sich die Hamas selbst an die Spitze der palästinensischen Bewegung. Heute unterstützen alle palästinensische Fraktionen die Hamas und betrachten sie tatsächlich als Interessenvertreter des gesamten Volkes.
Hauptnutznießer des Krieges ist jedoch der Iran. Teheran möchte nicht direkt in den Konflikt mit Israel verwickelt werden, sieht jedoch gerne dabei zu, wie seine Stellvertreter, darunter die libanesische Hisbollah oder die jemenitischen Huthi, enormen Druck auf ihren schlimmsten Feind ausüben und diesen sabotieren. Der Iran profitiert auch von der Abkühlung der Beziehungen Israels zur arabischen Welt und der Türkei.
Erkalten der Beziehungen
Ebenso gibt es ein Erkalten der Beziehungen zwischen Russland und Israel. Kreml-Chef Putin solidarisierte sich in gewissem Sinn mit der Hamas und verurteilte Israel, indem er die Bombardierung Gazas mit der Leningrad-Blockade verglich. Für Moskau ist die Situation natürlich auch gut, dass sich der Westen zwischen zwei Fronten, in der Ukraine und im Nahen Osten, zerreißt.
Überdies bietet die Situation Putin die Möglichkeit, sich erneut als Antipode des Westens und Führer des sogenannten Globalen Südens darzustellen.
Früher oder später werden jedoch die Kämpfe im Gazastreifen enden und die Israelis und Palästinenser werden danach nur wenig Zeit haben, sich zu einigen. Vieles wird von Vermittlern abhängen, etwa arabischen Ländern wie Ägypten und Katar. Zu einer Zweistaatenlösung gibt es weiter keine Alternative. Dafür braucht es Zugeständnisse beider Seiten.
Neue Regierung
Israel muss eine Regierung des Gazastreifens nur durch die Palästinenser akzeptieren, im Westjordanland muss der jüdische Staat seine radikale Siedlungspolitik einfrieren. Wegen dadurch entstehender Unruhen sind seit Anfang des Jahres etwa 500 Menschen, überwiegend Palästinenser, gestorben.
Wenn die Hamas sich nach einem Überleben an die Spitze der Palästinenser stellen will, muss sie beweisen, dass sie die Zweistaatenlösung akzeptiert. Sonst ist ein neuer Krieg in Nahost unausweichlich.