Nantes: Schnelle Eskalation nach Polizeischuss
Die Situation in den Problemzonen hat sich beruhigt. Geklärt ist wenig
Die Sache eskalierte schnell - "wie gewöhnlich". Ein junger Mann wird in einem "sozialen Brennpunkt" in Frankreich von der Polizei erschossen und nicht viel später werden Fenster eingeschlagen, brennen Autos, Mülleimer, aber auch Gebäude, darunter ein Therapiezentrum, eine offensichtlich von den Molotowcocktailwerfern wenig geliebte staatliche Einrichtung.
Die "urbanen Gewaltakte", wörtlich übersetzt von "violence urbaines", wie es im französischen Amtsjargon heißt (häufig mit "Straßenschlachten" übersetzt), fanden gestern Nacht in drei Vierteln der französischen Stadt Nantes statt, in Breil, Malakoff und Dervallières. Das Bemerkenswerte daran ist, dass sie nicht in der Nachbarschaft zueinander liegen, sondern voneinander entfernt sind. Etwa hundert Personen sollen an den Ausschreitungen beteiligt gewesen sein, die Polizei mobilisierte 200 Einsatzkräfte.
Das Gemeinsame der drei Viertel besteht darin, dass sie von Sicherheitsbehörden als problematische Zonen ("quartiers sensibles") geführt werden, besonders Breil, wo sich der Auslöser der Ausschreitungen zugetragen hat.
"Schwierigkeiten seit Jahren"
"Das ist ein Viertel, wo es seit vielen Jahren Schwierigkeiten gibt", wird der Präsident der französischen Nationalversammlung zitiert. der Abgeordnete der Partei Macrons (La République en Marche) sieht in denen, die zur Gewalt gegen die Polizei aufrufen, das Problem.
Vor dem Ereignis gestern Abend gegen 20Uhr 30, dem eine Nacht folgte, wo es, wie es Zeugen erlebten, "überall brannte und rannte, was superlang dauerte", gab es vor kurzem, im Mai und im Juni, Zwischenfälle mit Gewalt und Schusswaffengebrauch, was dazu führte, dass dort die Polizeipräsenz erhöht wurde.
So ist naheliegend, dass eine gewisse Nervosität die Handlungen der Polizei und des 22-jährigen Mannes beeinflusste. Aus Medienberichten ist zu erfahren, dass der Mann schon seit Mitte Juni letzten Jahres zur Fahndung ausgeschrieben war und ein Haftbefehl auf ihn ausgestellt war wegen gemeinschaftlichen Raub.
Die Kontrolle
Er hatte sich in Breil "seit einiger Zeit" bei seiner Familie aufgehalten. Ziemlich wahrscheinlich, dass er dort untergetaucht war. Und gut möglich, dass die verstärkte Präsenz der CRS-Polizei im Viertel dazu führte, dass Aboubakar F.s Wagen auffiel. Der Kontrolle, in deren Verlauf der Mann tödlich von einem Schuss eines Polizisten getroffen wurde, ging eine Überwachung voraus. Die Polizei wusste jedenfalls, wen sie anhielt, und der Mann, der angehalten wurde, wusste aller Wahrscheinlichkeit nach, dass er in Schwierigkeiten steckte.
Er setzte zurück, möglicherweise, um zu fliehen, dabei fuhr er einen Polizisten an, ein anderer schoss auf ihn, die Kugel traf ihn an der Halsschlagader; gegen 23Uhr30, bei seiner Ankunft im Krankenhaus verstarb er, berichtet Le Monde. Notwehr, sagen Polizeivertreter.
Die genauen Umstände werden jetzt auf Betreiben der Staatsanwaltschaft von der Polizei der Polizei (l'inspection générale de la police nationale) untersucht, wie Innenminister Collomb heute Vormittag mitteilte. Dafür sei "die Justiz und nur die Justiz" zuständig, twitterte er.
In der Nacht zuvor hatte die Journalistin Marion Lopez einen Zeugenaussage gefilmt, die die Notwehrversion der Polizei infrage stellte ("der Mann steckte vor dem Schuss mit seinem Auto so fest, dass er niemanden damit hätte schaden können"). Das wurde dann in Medien weiterverbreitet. Die Untersuchung soll nun Licht in die Sache bringen.
Es wird schneller geschossen und viel verdrängt
Unabhängig vom Ergebnis der Untersuchung gibt es ein paar beunruhigende Aspekte, die vermutlich jedoch bald wieder verdrängt werden, das ist zum einen, die zu Anfang erwähnte Schnelligkeit, mit der sich Gewalt in den "sensiblen Stadtvierteln" verbreitet, was auf eine beständige Spannung und Gereiztheit schließen lässt, zum anderen der schnelle - und auffallend häufige - Gebrauch der Feuerwaffen bei der Polizei. Letzteres belegen Statistiken, die Le Monde zitiert.
Die Schnelligkeit könnte im Zusammenhang mit den vielen Terroranschlägen in Frankreich stehen, in deren Folge sich die Ausbildung von Spezialpolizisten auf jeden Fall geändert hat und Schnelligkeit beim Waffengebrauch trainiert wurde. Ob dies auch bei den CRS-Polizeibeamten der Fall ist, ist allerdings Spekulation.
Keine Spekulation ist, dass die Problemviertel und Vorstädte nicht zu Emmanuel Macrons Prioritäten gehören. Ein Konzeptpapier für eine andere Politik in den Vorstädten, das auf seinen Wunsch hin ausgearbeitet wurde und auf teure und langfristige Programme setzt, hatte er im Mai nicht wirklich zur Kenntnis nehmen wollen.