Narrative und Fiktive
"Das Boot" taucht wieder auf
Seit 24. April läuft vorab auf dem Bezahlsender Sky die Zweite Staffel der von Bavaria Fiction, Sky Deutschland und Sonar Entertainment produzierten Serie "Das Boot" an. In der ersten Staffel behandelte ein Handlungsstrang einen US-Industriellen mit Präsidenten-Ambition, der an der Bewaffnung Nazideutschlands mitverdient.
Dieser Plot rief wortgewaltige Kritiker vor allem der Springerpresse auf den Plan, die in der Fiktion "Geschichtsklitterung" witterten und die anfängliche Unterstützung Hitlers durch US-Eliten als "rechte Verschwörungstheorie" abtaten, obwohl diese historisch durchaus gesichert ist. Unter diesen Kritikern befanden sich nicht nur unbedarfte Journalisten, sondern auch Historiker, die lieber Narrative bedienten und dafür ausgerechnet Fiktion geißelten.
Als der Autor dieser Zeilen im Januar in seinem Artikel: "Das Boot" fährt in vermintem Terrain die Kritiker freundlich auf die ARD-Dokumentation "Hitlers amerikanische Geschäftsfreunde" hinwies, geriet auch er für diesen Frevel in die Kritik. Die im Beitrag aufgestellte These des Autors, die Nazi-Verstrickung der Wall Street sei ein unerwünschtes Thema, wurde damit eindrucksvoll bestätigt.
Mancher der Kritiker schrieb gar, "Behauptungen, nach denen Hitlers Aufrüstung und der Angriffskrieg der Deutschen von ausländischen Kapitalgebern ("Wall Street") auch nur unwesentlich mitfinanziert wurden, würden "durch keinen einzigen seriösen Historiker gestützt", im Gegenteil seien "diese Behauptungen historisch längst widerlegt". Sie kursierten "heute unter Verschwörungstheoretikern und in Publikationen aus dem Querfront-Umfeld", es handele sich um eine "verkappte antisemitische Kritik an Juden". Die "Engländer und die Amerikaner, auch die Rote Armee" hätten Europa vom Faschismus befreit. Der Zweite Weltkrieg sei "ein Krieg zwischen Gut und Böse" gewesen.
Es drängt sich der Verdacht auf, dass manche Zeitgenossen ihre Kenntnisse in jüngerer Geschichte wohl auch eher aus dem Kino beziehen und daher besonders leiden, wenn fremde Fiktion nicht der eigenen folgt. Kinogängern kann man ihr Weltbild jedoch schwerlich verübeln, denn auch Drehbuchautoren folgen Narrativen und jeweiligem Zeitgeist, wenn sie sich nicht den Vorwurf von Revisionismus einhandeln wollen.
1. Jenseits von Gut und Böse
Bei solchem Angebot können Kinogänger tatsächlich zur Bewertung gelangen, der Zweite Weltkrieg sei einer "zwischen Gut und Böse" gewesen. Der Feind des Feindes erscheint als "gut". So gibt es nur wenig Spielfilme, welche die Verbrechen Stalins thematisieren, der in der Sowjetunion bei politischen Säuberungen bis zu 20 Millionen Menschen abschlachtete und ein brutales Terrorregime führte. Die rassistischen Gräueltaten in den damaligen Kolonien des Westens, etwa die der Briten in Kenia und Indien oder die der Belgier im Kongo, die dort bis zu 10 Millionen Menschen massakrierten, oder die von Frankreich im ewigen Algerienkrieg, sind als Stoff nahezu unverfilmt.
Stoff für einen spannenden Thriller bietet insbesondere die Operation Unthinkable, als die westlichen "Guten" plötzlich die östlichen "Guten" selbst überfallen wollten - wie zuvor die "Bösen". Ob man die Mentalität der damaligen US-Militärs wirklich als "gut" bewerten möchte, wird wohl in Korea, China und Indochina anders gesehen. General McArthur wollte diese Länder so vehement nuklear in die Steinzeit bomben, dass ihn der Präsident des Kommandos entheben musste.
2. Rote Linien
Die Ansicht, neben den Amerikanern und Engländern habe "auch" die Rote Armee ihren Anteil an der Befreiung gehabt, kann Kinogängern ebenfalls nicht zum Vorwurf gemacht werden, denn wohl die meisten Spielfilme zum Thema heroisieren die USA und Großbritannien.
Viele Deutsche glauben, der D-Day sei der entscheidende Wendepunkt gewesen, der Spiegel schrieb jüngst sogar, die Amerikaner hätten Auschwitz befreit. Tatsächlich hatten die Sowjets die Hauptlast des Krieges mit 26 Millionen Toten getragen und damit fast 100 Mal so viele Tote wie die USA zu beklagen.
Die Kriegswende sehen viele Historiker in der Schlacht von Stalingrad, die gut zwei Jahre vor dem D-Day stattfand. Was auch immer mancher Kritiker unter "Historischen Fake-News" im Zusammenhang mit Fiktion verstehen mag, die Reduzierung des Beitrags der Roten Armee auf ein "auch" dürfte eine sein.
3. Verqueres
Kinogängern darf man auch nicht zum Vorwurf machen, Historiker, die auf die Beziehungen zwischen US-Millionären und Nazi-Deutschland hinweisen, rechten Verschwörungstheoretikern zuzuschreiben.
Denn Kinofreunden kann nicht zugemutet werden, sich etwa die im Artikel verlinkte und die hier weiter oben erwähnte Dokumentation über Hitlers amerikanische Geschäftsfreunde anzusehen, in welcher die geschäftlichen Beziehungen zwischen Wall Street und Berlin gut belegt sind. Diese stammt von dem renommierten Journalisten Dieter Schroeder, vormals langjähriger Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung und Herausgeber der Berliner Zeitung.
Ob man zu den "Verschwörungstheoretikern" auch den Historiker Dr. Philipp Gassert, Leiter der Forschungsstelle "Widerstand gegen den Nationalsozialismus im deutschen Südwesten", rechnen möchte, der in Die Zeit auf dieselben Akteure wie Schroeder eingeht?
Gehört denn auch die Taz zur vom Filmkritiker ausgemachten "Querfront", wenn sie Henry Ashby Turner: "General Motors und die Nazis. Das Ringen um Opel" positiv bespricht? Oder gar Der Freitag, der einen Auszug aus Ken Silversteins "Ford and the Führer" brachte? Klingt der Titel "Die unheilige Allianz der I.G. Farben: Eine Interessengemeinschaft im Dritten Reich" des US-amerikanischen Korruptions- und Kartelljuristen Joseph Borkin wie eine völkische Liebesbekundung? Ist der Pulitzer-Preis-nominierte Historiker Prof. Sander Diamond, der über den amerikadeutschen Volksbund schrieb, auch so einer?
Und was müssen wir von der Washington Post halten, die den Historiker Michael Dobbs über die Verstrickungen von Ford und GM mit den Nazis schreiben ließ? Ob "Trading with the Enemy" von Higham Charles bei den Rechten wohl wirklich Anklang findet?
Es würde den Rahmen sprengen, hier alle einschlägigen Autoren aufzuführen, die angeblich nicht seriös sein sollen. Fast allen ist gemeinsam, dass sie weder Deutsche sind noch Sympathien für Nazis erkennen lassen. Wenn es da überhaupt Vertreter einer ominösen "Querfront" geben sollte, dann sicherlich nicht tonangebend.
4. Befremdliches
Kein Verständnis hingegen - aber auch wirklich nicht das allergeringste - kann der Autor für die eigenartige Interpretation aufbringen, ausgerechnet einen Hinweis auf nazifreundliche US-Eliten als "antisemitisch" zu deuten. Für solchen Unfug bieten nach Ansicht des Autors dieser Zeilen nicht einmal Spielfilme eine Nahrungsquelle.
Historisch war das genaue Gegenteil der Fall: 2017 war im Focus über die schlüssige These von Prof. James G. Whitman zu lesen, demzufolge sich die Nazis die Rassentrennung von den USA abgeschaut hätten, wo man Rassengesetze bereits 1876 erließ.
Anfang der 1940er Jahre sprachen sich einer Meinungsumfrage zufolge über die Hälfte der US-Amerikaner für die Ausgrenzung der Juden aus. Diese Haltung war insbesondere auch in einer Clique einflussreicher Wall Street-Milliardäre verbreitet. Hierzu zählten Henry Ford mit seinen antisemitischen Hetzschriften, Präsidentenvater Joseph Kennedy, der sich offen zum Antisemitismus bekannte, und Prescott Bush, der sogar an Zwangsarbeit in Auschwitz mitverdiente, sowie der politisch einflussreiche John McCloy - späterer Hoher Kommissar in Deutschland, der in Nürnberg Urteile gegen Kriegsverbrecher annullierte.
Kinohistoriker erinnern sich, dass die Hearst-Presse Charlie Chaplins "The Great Dictator" als deutschenfeindlich geißelte und der Film daher etwa in Chicago, wo es viele deutschstämmige US-Amerikaner gab, nicht gezeigt wurde.
Auch Kinofreunden bleibt eine Chance, um wenigstens diese Bildungslücke zu schließen: Reise der Verdammten thematisiert die fatale Irrfahrt jüdischer Emigranten auf der St. Louis, denen die USA 1939 Asyl versagten und sie damit nach Deutschland zurück in den Tod schickten. Der Oscar-prämierte Spielfilm Gentlemen's Agreement behandelt den Antisemitismus der 1940er Jahre in New York. Über den Civil Rights Act von 1968, mit dem die USA (über zwei Jahrzehnte nach Deutschland) die Rassentrennung gesetzlich beendeten, informiert All the Way.
Wie schnell sich die US-amerikanischen Eliten nach dem Krieg mit ihren westdeutschen Geschäftspartnern wieder verstanden, ist allerdings nach wie vor unverfilmt. Und wird es wohl auch bleiben.