Nato vs. Russland: Der unsichtbare Krieg hat längst begonnen – die Taurus-Debatte befeuert ihn

Harald Neuber
Und Soldaten im Stechschritt vor der roten Mauer des Krems

Soldaten, hier vor dem Kreml, spielen im aktuellen Konflikt eine untergeordnete Rolle. Bild: VAUko/ Shutterstock.com

Moskau droht bei der Lieferung des Marschflugkörpers mit Folgen. Ähnliche Warnungen blieben bislang scheinbar folgenlos. Doch dieser Eindruck trügt.

Traditionell nutzen Aktivisten der Friedensbewegung das Osterfest, um bei Friedensmärschen gegen Kriege und für Abrüstung einzutreten. In diesem Jahr stehen die Ostermärsche ganz im Zeichen des seit über einem Jahr andauernden russischen Krieges gegen die Ukraine.

Doch angesichts der Brutalität der Kämpfe und der massiven Unterstützung Kiews durch den Westen hat es die Friedensbewegung derzeit schwer, Gehör zu finden - und eine gemeinsame Position zu finden.

Die Theologin und ehemalige Bischöfin Margot Käßmann, die sich selbst als Teil der Friedensbewegung sieht, beklagt, dass im Ukraine-Krieg bislang nicht genügend Diplomatie eingesetzt worden sei, um die Kämpfe zu beenden.

"Die Europäer müssten Druck auf China ausüben, damit China Druck auf Russland ausübt, damit die Kämpfe ein Ende finden", sagte Käßmann. Nur auf Aufrüstung zu setzen, genüge nicht.

Käßmann erinnerte daran, dass weltweit jeder sechste Mensch in einem Kriegsgebiet lebt. Neben der Ukraine dürften auch die Kriege im Kongo, Sudan, Jemen oder Gaza nicht in Vergessenheit geraten. Die Friedensbewegung trete dafür ein, dass es Abrüstung gebe und nicht ständig noch mehr Aufrüstung, so die Theologin.

Taurus-Debatte sorgt für Spannungen mit Moskau

Während die Friedensaktivisten mehr Diplomatie fordern, wird in Deutschland hitzig über weitere Waffenlieferungen an die Ukraine diskutiert. Zuletzt hatte sich CSU-Chef Markus Söder hinter den Vorschlag von CDU-Chef Friedrich Merz gestellt, der Ukraine deutsche Taurus-Marschflugkörper zur Verfügung zu stellen.

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Söder sagte der Augsburger Allgemeinen, es sei Sache des designierten Bundeskanzlers Merz, über die Lieferung des Taurus-Systems zu entscheiden. Allerdings brauche Deutschland auch selbst so viele dieser Waffen wie möglich. Merz hatte vor gut einer Woche in Aussicht gestellt, die Marschflugkörper an Kiew weiterzugeben. Vertreter der SPD kritisierten den Vorstoß scharf.

Scharfe Reaktionen aus Moskau

Die Debatte über die Taurus-Lieferungen hat in Russland für heftige Reaktionen gesorgt. Der russische Botschafter in Deutschland, Sergej Netschajew, warnte, dass die Weitergabe der Marschflugkörper an die Ukraine eine "neue Qualität" in den deutsch-russischen Beziehungen bedeuten würde.

Netschajew betonte, dass ukrainische Soldaten diese Langstreckenwaffen nicht eigenständig bedienen könnten. "Bedeutet das, dass deutsche Soldaten oder Offiziere die Raketen bedienen werden? Wenn das der Fall wäre, obwohl alle Politiker es vehement abstreiten, dann wäre das in der Tat eine neue Qualität in den Beziehungen", sagte der Diplomat.

Auch das russische Außenministerium schaltete sich in die Debatte ein. Die Sprecherin des Ressorts, Maria Sacharowa, erklärte, Moskau werde den Einsatz deutscher Taurus-Raketen gegen russische Ziele als direkte Beteiligung Berlins an den Kampfhandlungen aufseiten der Ukraine werten – mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen.

Da die ukrainischen Streitkräfte die Marschflugkörper nicht ohne direkte Unterstützung der Bundeswehr abfeuern könnten, würde jeder Einsatz gegen russische Objekte oder kritische Transportinfrastruktur als unmittelbare Kriegsbeteiligung Deutschlands gewertet, fügte die Funktionärin an.

Russlands Drohungen gegen Waffenlieferanten

Die scharfen Warnungen aus Moskau stehen in einer Reihe mit früheren russischen Drohungen gegen westliche Staaten, die Waffen an die Ukraine liefern. Mehrfach hatte der Kreml mit schwerwiegenden Konsequenzen, Vergeltung und einer Eskalation bis zu einem globalen Konflikt gedroht, sollten moderne westliche Waffen gegen russisches Territorium eingesetzt werden.

So warnte Russland im November 2024, dass es Länder "abstrafen" werde, die der Ukraine den Einsatz von ATACMS-Raketen auf russischem Gebiet erlauben. Nachdem die USA der Ukraine grünes Licht gegeben und Kiew die Raketen tatsächlich eingesetzt hatte, blieben direkte Vergeltungsschläge gegen Washington oder US-amerikanische Infrastruktur jedoch aus.

Ähnlich verhielt es sich bei britischen Storm-Shadow und französischen Scalp-Marschflugkörpern. Russland drohte Großbritannien mit einer "entsprechenden Antwort" und Frankreich mit einem "Todesstoß" für die Ukraine, sollten die jeweiligen Raketen russisches Territorium treffen. Doch auch nachdem die Ukraine die Waffen eingesetzt hatte, kam es zu keinen gezielten Angriffen auf London oder Paris oder mit diesen Ländern assoziierte Ziele.

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Auch gegenüber kleineren EU-Staaten warnte Moskau, sie seien bei Waffenlieferungen besonders gefährdet und müssten mit "ernsten Konsequenzen" rechnen. Doch obwohl die Ukraine 2024 vermehrt westliche Raketen gegen Ziele in Russland einsetzte, blieben russische Militärschläge gegen EU-Länder aus. Stattdessen kündigte der Kreml "asymmetrische Antworten" wie die Stationierung eigener Waffen in Drittstaaten an.

Experten gehen davon aus, dass die russischen Drohungen in erster Linie der Abschreckung und politischen Einflussnahme dienen. Ihre Umsetzung hätte eine massive Eskalation bis zu einem direkten Krieg mit der Nato zur Folge. Davor scheint Moskau bislang zurückzuschrecken.

Allerdings hat sich der Konflikt längst auf eine asymmetrische Kriegsführung verlagert. Dazu gehören zahlreiche Maßnahmen, die von westlichen Staaten kritisiert werden, etwa Desinformationskampagnen oder Einflussnahmen auf den politischen Diskurs in westlichen Staaten. Es ist davon auszugehen, dass einige der feindlichen russischen Maßnahmen gar nicht öffentlich werden.

Ein zentraler Aspekt der westlichen Reaktion ist die Bekämpfung der "Schattenflotte", die russisches Öl und Militärgüter an Sanktionen vorbeischmuggelt. Im Juni 2024 setzte die EU im Rahmen des 16. Sanktionspakets 73 weitere Schiffe auf die Schwarze Liste und verhängte Sanktionen gegen Betreiber und Eigentümer. Diese Maßnahmen zielen nicht nur auf die Einschränkung des russischen Exports, sondern auch auf die Destabilisierung der russischen Wirtschaft.

Gleichzeitig verstärken Nato-Staaten ihre Abwehr gegen Cyberangriffe. So hat Deutschland 2024 Cyber-Abwehrzentren eingerichtet, die unter anderem Angriffe des russischen Hacker-Kollektivs APT28 analysieren. Parallel stationiert die Nato seit Januar 2025 Counter-Hybrid-Einsatzteams in den baltischen Staaten und Polen, um Sabotageakte an kritischer Infrastruktur wie Gaspipelines zu verhindern.

Ein neues Überwachungsinstrument ist der 2024 eingeführte Hybrid Incident Reporting-Mechanismus der Nato, der seit seiner Einführung über 150 Vorfälle wie GPS-Signalstörungen in der Ostsee registrierte – dreimal so viele wie 2023.

Es wäre also kurzsichtig, die Drohungen Russlands als haltlos abzutun. Tatsächlich läuft seit Jahren ein verdeckter und sich zuspitzender Konflikt, der – wie zahlreiche Sicherheitspolitiker anmerken – jederzeit zu eskalieren droht. Die ausschließliche Fokussierung auf die Lieferung immer neuer und immer komplexerer Waffensysteme an die Ukraine, ohne dass eine diplomatische Strategie verfolgt wird, kann daher verheerende Folgen haben.