Neil Postman ist tot

Aber sein Slogan "Wir amüsieren uns zu Tode" lebt zweideutig weiter

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Der amerikanische Medienwissenschaftler und Medienkritiker Neil Postman ist tot. Er starb am vergangenen Sonntag im Alter von 72 Jahren in New York an Lungenkrebs. Seine vehemente Kritik an den zeitgenössischen Medien, insbesondere am Kommerzfernsehen, das auf die Bundesrepublik in den 80er Jahren zukam, ist allgegenwärtig. Alle zitieren Postman, die Gebildeten und die Medienbarbaren, ob sie ihn nun gelesen haben oder gar nicht kennen. Besonders der Titel des 1985 erschienenen Buches "Wir amüsieren uns zu Tode" ist zu einem geflügelten Wort in der Medienlandschaft geworden und heute aktueller denn je.

"Fernsehen wurde nicht für Idioten erschaffen - es erzeugt sie." Mit provozierenden Aussagen wie dieser wurde Postman zur Leitfigur vieler Kritiker des kommerziellen Mediensystems. Postman selbst wurde auf diese Weise mit einem sehr pointierten, thesenhaften Stil im Geiste einer polemischen Aufklärung ein Bestseller-Autor mit einem Lehrstuhl für "Medien-Ökologie" an der Universität von New York. Von hier aus wirkte er auch - in Zusammenarbeit mit der Stiftung Lesen in Mainz und dem Fischer - dann dem Berlin-Verlag - in die deutsche Lesekultur und Leselandschaft hinein. In gewisser Weise waren er und seine programmatischen Bücher das ideologische Flaggschiff des deutschen Buchhandels.

Die Guck-Guck-Welt

Unermüdlich warnte er seit über 20 Jahren vor einer "Trivialisierung", "Boulevardisierung" und "Infantilisierung" der Gesellschaft durch eine reine Unkultur des bewegten Bildes. Das ununterbrochene Entertainment der kommerziellen Sender liefere eine Bildflut ohne Sinn und Verstand und zerstöre damit die Chance ein Publikum auf rationale Weise mit Informationen und Inhalten zu erreichen. Die Zuschauer säßen wie Affen in einer verschachtelten Guck-Guck-Welt, aus deren Pseudo-Realität es kein Entrinnen mehr gäbe. Emotionen und Vorurteile würden durch Großaufnahmen von brabbelnden No-Names und VIPs gezüchtet, denen auch da, wo sie etwas Substantielles zu sagen hätten, niemand mehr zuhören würde. Nur noch die Form der Show an sich zähle.

Das "Infotainment" gefährde die Urteilsbildung der Bürger und bedrohe die Meinungsbildung in Demokratien. "Denken kommt auf dem Bildschirm nicht gut an. Es gibt dabei nicht viel zu sehen", argumentierte Postman. Auf die Frage, ob er selbst nicht lieber auch im TV auftreten wollte, wie frühere Geistesgrößen antwortete er : "Interviews sind nur die Ausnahme. Ich persönlich ziehe eindeutig den sprachlichen Diskurs des geschriebenen Worts und den öffentlichen Dialog vor Ort vor." Und dem war auch so. Postmans Thesen waren umstritten, aber er stellte sich in zahllosen Medienkongressen, nicht nur in Mainz, sondern auf der ganzen Welt, mit seinen Thesen und führte eine Heerschar von Medienforschern mit kulturpolitisch eingängigen Frontstellungen gegen ein Zuviel an audiovisueller Berieselung an.

Monomedialer Separatismus

Der entscheidende Punkt von Postmans Argumentation: Er fiel seinem Lehrer Marshall McLuhan, dessen fröhlicher Wissenschaft von den fortwährend multiplizierbaren magischen Kanälen und der vielseitigen intermedialen Verknüpfbarkeit von Bild, Ton und Schrift, von heißen und kalten Medien in den Rücken. Heftig leugnete er den Eigensinn einer Bildkultur oder einer visuellen Kultur, wie sie Susan Sontag oder Villem Flusser sensibel analysierten.

Das gesprochene und geschriebene Wort war Postman geradezu heilig. Seine aufklärerische Haltung war beim Lese- und Schreibpublikum gebildeter Bürgerinnen und Bürger des 18. Jahrhunderts stehen geblieben, um die alphabetische, kulturelle und politische Mündigkeit einer politikfähigen Öffentlichkeit zu gewährleisten. Dieses alteuropäische Modell von Kultur stellt bereits das gedruckte Wort als Kompromiss, aber die bebilderte Presse als den entscheidenden Sündenfall auf dem Weg in die Hölle der Mediengesellschaft dar. Er behauptete allen Ernstes und mit durchaus guten Gründen: Ein Bild, eine Fotografie füge einer schriftlichen Nachrichtenmeldung keinen zusätzlichen Erkenntniswert zu, die Bebilderung bleibe im Imaginären.

Klugheit der Schrift, Dummheit der Bilder

Postman räumte dem Medium der Schrift den absoluten Vorrang ein: Nur die im Raum stabilisierte, abstrakte Schrift mobilisiere die maximale Anteilnahme, Aktivität des Rezipienten, der die Zeichen in Sinn und Bedeutung umsetzen müsse. Bilder, Fotografien, Film, TV und Computer dagegen sorgten nach Postmans Verständnis für eine audiovisuelle Vollversorgung und Verdummung, bei der der abgeschlaffte User alles hinnehme und im Konsumwahn seine Eigenleistung an der Konstruktion der Welt völlig unterschätze. Wie sagte noch der alte Kant:

Es ist ja so bequem, unmündig zu sein.

Wenn Postman zum Beispiel in seinem Bestseller "Wir amüsieren uns zu Tode" die Fotografie als Vorform des Fernsehens darstellte, schlug er recht unterschiedliche Medien über einen negativen Leisten.

Der Fotografie fehlt auch eine Syntax, so daß sie nicht imstande ist, mit der Welt zu diskutieren. Als ein objektives Stück Raum-Zeit bezeugt sie, daß jemand an einem bestimmten Ort war oder daß dort etwas geschehen ist. Ihr Zeugnis ist gewichtig, doch es umfaßt keine Stellungnahme - keine Aussagen darüber, wie es hätte sein sollen oder wie es hätte sein können.

Eine fotografische Aufnahme setze nach einem Zitat von Susan Sontag voraus, "dass wir über die Welt Bescheid wissen, wenn wir sie so hinnehmen, wie die Kamera sie aufzeichnet". Aber alles Begreifen finge damit an, durch Sprache und Denken die Welt in ihrer Faktizität nicht hinzunehmen, sondern konstruktiv in Zweifel zu ziehen. Die Fotografie dagegen liefere willkürlich aus Kontexten herausgerissene Ausschnitte, zwischen denen "kein logischer oder historischer Zusammenhang besteht".

Resignation vor dem US-Kommerz-TV?

Aus der Katastrophe des amerikanischen Kommerz-TVs heraus traf Postman nur die halbe Wahrheit: Verbale Medien repräsentieren die Wahrheit, visuelle Medien verfälschen und vergewaltigen sie. Diese Totschlag- und Holzschnitt-Argument übersah, dass das Unwesen eines qualitätsarmen TVs gerade darin besteht, in willkürlichen Sendeformaten Bilder aus Nah und Fern mit unsäglich schwachsinnigen Kommentaren und Moderationen zu unterlegen, einem Spracheinsatz, der nicht minder ideologieverdächtig wie der Einsatz der Bilder ist.

Und so lassen sich also Postmans konservative bildkritische Anmerkungen auch auf eine Sprache und Schreibe übertragen, die sich in der Ideologie vermeintlich konkreter Sprachbilder suhlt und scheinbar selbstverständliche, mythische Anschauungen, fixe Ideen in Schlagworten liefert, denen ein weiterer Kontext bzw. eine reflexive Kritik fehlt. In gewisser Weise ist dies auch mit Postman-Zitaten wie: "Wir amüsieren uns zu Tode" passiert, doch Postman selbst lieferte immer Ansätze zur rationalen Begründung hinzu, auch wenn diese durch und durch anfechtbar waren.

Mit Postman gegen Postman: Kampf der Cross-Promotion-Verdummung!

Mit Postman gilt gegen Postman: Weshalb sollte die von Postman so vehement vertretene aufklärende Verwendung von Sprache nicht einer entsprechenden intelligenten Bildkultur entsprechen, einem investigativen, wissenden Einsatz von Bildern und Fotografien, und einer sensiblen Regie im Kino und in Lifesendungen, um wieder aufschlussreichen Content zu produzieren?

Postman konnte dem Medium der (unbewegten und bewegten) Bilder alle Schuld der Welt nur deshalb anlasten, weil er hinter Kants Grundsatz der Erkenntnistheorie zurückfiel:

Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe blind.

Damit hatte Kant das diskursive Denken und das ästhetische Anschauen, Begriff und Bild dialektisch miteinander verkoppelt, um Einseitigkeiten in die eine oder andere Richtung - den Rationalismus des reinen Wortes und den Empirismus der bloßen Anschauungen zu überwinden. Postman resignierte vor dieser Synthese, von der noch ein Marshal McLuhan optimistisch zehrt und gab der Arbeitsteiligkeit des Medienkapitalismus auf der kulturkritischen Ebene nach.

Das ist die Tragik, bei allem Verdienst im Detail und im völlig überzeugenden medienpädagogischen Engagement: Postmann trennt die Welt der Bilder vom "Diskursuniversum" der Sprache und ihrer logischen Differenzierungs- und Verknüpfungskraft völlig ab. Dabei übersieht er, dass der Sündenfall des elektronischen Informationszeitalters nicht nur monomedial, sondern nur intermedial zu erklären ist: mit der korrelativen Verflachung der Text- und der Bildkultur zu einer hybriden Signatur. Postmans Kritik zementiert den Qualitätsverfall selbst noch als kulturelle Asymmetrie der Medien Bild versus Sprache.

Aber die flackernde Präsenz der Live- und Konserven-Bilder im TV wird von einer bestimmten mitverantwortlichen Sprach-, Sprech- und Schriftform geradezu überlagert: der Show-Präsentation und Show-Moderation, deren kommandierendes Gehabe allzu oft mit äußerster Niveaulosigkeit und Ohnmacht in der Substanz einhergeht. Die Show-Moderation, die fröhliche Ankommandierung der Bilder, die "gleich" zu sehen sein werden, ist der unterhaltsame Ausdruck der von Postman vorgebrachten Bilderverachtung und entspringt der technologischen Asymmetrie, die in der Kriegsbild-Produktion und -Simulation ungeahnte technologische Höhenflüge erlebt.

Es ist um so tragischer, wenn gestern in der "Zeit" (Nr. 42) zur Frankfurter Buchmesse Neil Postmans Diktum "Zu Tode amüsiert" von Jens Jessen wieder aufgegriffen wird: In einer Buchwelt, in der die Ghostwriter-Klatsch-Kolumnen-Machwerke und hybriden Hörbücher der Stinkefingers, Busenluder und Trivial-Pop-Buben die Führungsrolle auf einem literarisch ausgedünnten Markt übernommen zu haben scheinen und Ehrenprofessuren an die Falschen verliehen werden, ist Postmans These wieder nur die monomedial halbierte Wahrheit jener Unwahrheit, von der heute die Konzerne von Springer bis Bertelsmann das Cross-Selling-Geschäft unter Ruinierung der Teilbranchen weiter nach vorne treiben wollen.