Masken-Urteil und Folgen: Freie Bahn für Profiteure der Pandemie

Symbolbild; Gebrauchte Corona-Masken im Gras

Symbolbild: Carola68 / Pixabay Licene

Gerichtsentscheidung könnte Bund Milliarden kosten. Ex-Gesundheitsminister Spahn steht in der Kritik. Warum dieser Fokus falsch ist. Ein kommentar.

Diskussionen über die Corona-Politik werden in der Regel nach dem Grundsatz "Bloß nicht darüber reden" von einer ganz großen Koalition von CDU/CSU, FDP und Grünen möglichst schnell beendet. Denn die Befürchtung dieser Parteienvertreter ist, dass eine gründliche Debatte womöglich der AfD und dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) nützt, was in der Sprache der Politikstrategen der "Mitte"-Parteien dann die "Ränder" sind.

Doch manchmal bekommt die große Front der Schweiger Risse, wie am vergangenen Donnerstag bei der Aktuellen Stunde über die Beschaffung der Corona-Masken. Sie war von den Fraktionen der SPD, der FDP und der Grünen unter dem Titel "Corona-Masken-Beschaffung im Interesse der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler umfassend und zügig aufarbeiten" angesetzt werden.

Es hat schon fast etwas Humoristisches, dass jetzt gerade die Fraktionen, die sonst immer betonen, dass es da eigentlich kaum etwas aufzuarbeiten gibt, jetzt den Eindruck erwecken, als würden sie die Initiative ergreifen. Da steckt auch die Angst dahinter, dass die von ihnen geschmähten "Ränder" das Thema aufgreifen.

Masken-Urteil mit Sprengkraft

Unmittelbarer Anlass für die Aktuelle Stunde war ein Urteil des Oberlandesgerichts Köln zu den Maskenkäufen am Beginn der Pandemie, das nach Ansicht von juristischen Beobachtern auch noch politische Sprengkraft entfalten könnte.

Es wird auch von einem Musterverfahren gesprochen. Geklagt hatte ein Maskenverkäufer gegen eine Klausel im Vertrag, nach das Geschäft ungültig ist, wenn die Masken nicht pünktlich zu einem bestimmten Stichtag geliefert wurden. Das Oberlandesgericht Köln befand nun, dass die Klausel ungültig ist, weil sie den Lieferanten unzumutbar benachteiligt habe.

Da diese Klausel in sämtlichen Maskenverträgen des Bundes steht, die zu Beginn der Pandemie geschlossen wurde, werden nun bis zu 100 weitere Klagen erwartet. Der Streitwert soll sich nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums bei 2,3 Milliarden Euro liegen.

Freie Bahn für Corona-Geschäftemacher

Deshalb erwarten jetzt viele, dass Milliarden Steuergelder an Geschäftemacher, aber auch Konzerne fließen, die vor allem zu Beginn der Pandemie die Angst und Unsicherheit von Menschen und auch Teilen der Politik ausnutzen, um abzukassieren. Das war voraussehbar und deshalb wurde in die Verträge die Klausel eingefügt, die vor den schlimmsten Zugriffen der Geschäftemacher schützen sollte.

Dass das Gericht die Klausel für ungültig erklärte und nicht einmal Revision zuließ, zeigte einmal mehr, wie die Justiz auch als Schutzschild für Kapitalisten aller Art fungiert, selbst wenn deren Geschäftsmodell wie bei den Maskendeals nur Abzocke hart an der Grenze zum Betrug ist.

Corona-Hilfen auf Widerruf: Klassenkampf von oben

Es ist schon bezeichnend, wenn eine Klausel in einem Vertrag mit der Begründung für ungültig erklärt wurde, die Lieferanten, also die Geschäftemacher, wären damit benachteiligt worden, denn zugleich treiben Gerichte und Finanzamt angeblich zu Unrecht bezogene Corona-Hilfen bei kleinen Gewerbetreibenden und Solo-Selbstständigen ein, die mit ihren Einnahmen oft kaum über die Runden kommen.

Die Journalistin Gisela Sonnenburg war selber Opfer eines solchen Spießrutenlaufs und hat darüber berichtet. Kleine Gewerbetreibende und Solo-Selbstständige werden mit solchen Rückforderungen in den Ruin getrieben, während Geschäftemacher Milliardengewinne durch oft nicht einmal funktionstüchtige Masken erwarten können – in einer Zeit, in der praktisch an allem außer der Rüstung gespart wird.

So lässt sich noch im Jahr 2024 Klassenkampf von oben mit der Pandemie machen. Das Kapital nutzt Zeiten der Angst und der Krise besonders aus, um Profite zu machen. Das zeigt sich bei Krisen aller Art, wo dann plötzlich die Preise für das Lebensnotwendige ins Unermessliche steigen.

Gesundheit satt Profite: Wo tut die gesellschaftliche Linke?

Das wäre doch eigentlich eine Steilvorlage für eine gesellschaftliche Linke, ihre Forderung, "Gesundheit statt Profite" in die Praxis umzusetzen. Konkret hieß das: Proteste gegen die Geschäftemacher, die noch zwei Jahre nach der Pandemie Kasse machen wollen und gegen eine Justiz, die ihnen als Schutzschild dient.

Die Forderung müsste lauten, dass die Profite der Geschäftemacher eingezogen und für Gesundheitsprojekte für arme Menschen zur Verfügung gestellt werden müssten. Dabei ist klar, dass eine sofortige Umsetzung nicht realistisch ist. Es wäre aber eine Forderung, mit der eine gesellschaftliche Linke, die ja seit Jahren betont, dass Gesundheit keine Ware ist, ein Alleinvertretungsmerkmal hätte und Vertrauen bei armen Menschen gewinnen könnte.

Doch wo bleiben die Proteste gegen das Urteil und die Kampagne gegen die Geschäftemacher? Die vielen Menschen, die in den Jahren 2020 bis 2022 gegen die Corona-Maßnahmen auf die Straße gegangen sind, haben sich in der Regel nicht für soziale Belange interessiert. Von ihnen hört man dazu jetzt nichts.

Wo bleiben Gesetzesvorlagen gegen Krisenprofite?

Und die Reste der parlamentarischen Linken scheinen auch schon jetzt an ihrer Überflüssigkeit zu arbeiten. Man hat zumindest nicht gehört, dass sie die Aktuelle Stunde genutzt haben, um gegen die Geschäftemacher mit der Gesundheit zu agieren und Gesetzesinitiativen vorzulegen, die bei künftigen gesundheitlichen Krisenzuständen solche Profite auch gesetzlich verhindern.

So nutzten SPD, Grüne und FDP die Aktuelle Stunde, um dem damaligen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vorzuwerfen, er hätte schlechte Verträge gemacht. Der Minister wiederum beklagte ein Tribunal gegen sich, was Politiker der Grünen zurückwiesen.

Gereon Asmuth plädierte in der Taz mit Verweis auf das "ratlose Frühjahr 2020" dafür, den Minister nicht zu hart anzugreifen. Asmuth verlinkte dazu einen Artikel, der die damalige verzweifelte Suche nach Masken dokumentiert und äußert Verständnis dafür, dass Spahn damals Verträge geschlossen hat, in denen Maskenhändlern 4,50 Euro pro Stück zugesichert wurde.

Aus heutiger Sicht, wo FFP2-Masken für ein paar Cent an den Supermarktkassen verstauben, erscheint das wahnsinnig. Aber Ende März 2020 war die Lage anders. Sehr anders.

Gereon Asmuth, taz

Statt Profite mit den Masken wurden Masken problematisiert

Gerade wenn Asmuth mit Recht auf die Situation im Frühjahr 2020 hinweist, ist es umso merkwürdiger, dass er sich nicht ebenfalls die Forderung stark macht, gerade in einer solchen unsicheren Situation dürften Geschäftemacher aller Art keine Chance haben und ihre Profite müssten eingezogen werden.

Außerdem wird hier völlig vergessen, dass solidarische Nachbarschaften in vielen Orten auf eigene Initiative Masken nähten und sie Menschen zur Verfügung stellten, die sich damit geschützter fühlten. Es ist müßig darüber zu streiten, welchen gesundheitlichen Wert die Masken letztlich hatten. Damit haben sich auch die maßnahmenkritische Bewegung und viele ihrer Exponenten selbst in eine Sackgasse manövriert.

Die Mär von der "gefälschten" Pandemie

Ein Beispiel ist auch der ehemalige SPD-Politiker Wolfgang Wodarg, der vor 15 Jahren noch die Geschäftemacherei der Pharmakonzerne im Fall der Schweinegrippe angeprangert hat.

Doch mit dem Begriff "gefälschte Pandemie" kam auch bei ihm damals schon ein Zungenschlag in die Debatte, der nicht weit von den irrationalen Behauptungen entfernt war, dass die ganze Pandemie das Werk irgendwelcher finsteren Strippenzieher wären.

Dabei zeigte sowohl die Auseinandersetzung um die Schweinegrippe als auch der Deal mit den Corona-Masken, dass es hier keine "geheimen Mächte" braucht, die eine Pandemie inszenieren. Es sind Kapitalisten aller Art, die Krisenzeiten profitmaximierend ausnutzen. Dafür gibt es nun wahrlich genügend Beispiele in der Geschichte.

Stichworte für das Projekt Corona-Aufarbeitung 2025

Sollte es vielleicht im nächsten Jahr unter dem Stichwort "Aufarbeitung 2025" fünf Jahre nach Beginn der Pandemie noch Initiativen geben, die sich damit auseinandersetzen, wäre darauf zu achten, dass nicht der alte Streit pro und kontra Masken wiederholt wird, sondern ein System der Krisengewinnler als solches entlarvt wird.

Der Autor hat mit Gerald Grüneklee und Clemens Heni 2020 Corona und die Demokratie. Eine linke Kritik" im Critic Verlag und im Jahr 2023 mit Anne Seeck und Gerhard Hanloser das Buch "Corona und die linke Kritik(un)fähigkeit" im Verlag AG Spak herausgegeben.