"Netzrat" soll sich auch mit Abmahnmissbrauch beschäftigen
Interview mit der stellvertretenden CSU-Generalsekretärin Dorothee Bär zu den Plänen ihrer Partei, sich in einem neuen Gremium stärker mit Internet-Themen auseinanderzusetzen
Zukünftig soll in der CSU ein "Netzrat" Vorschläge für eine eigene Internet-Politik erarbeiten und der Partei helfen, "offensiver im Internet und mit Internet-Themen um Anhänger und Wähler [zu] werben". Telepolis sprach mit der Bamberger Bundestagsabgeordneten und stellvertretenden CSU-Generalsekretärin Dorothee Bär über das Vorhaben.
Frau Bär - das Handelsblatt nannte als Grund für den Aufbau eines CSU-Netzrats unter anderem das vor allem bei jungen Wählern "verhältnismäßig gute Abschneiden der Piratenpartei bei der Bundestagswahl". Sehen Sie das auch so?
Dorothee Bär: Ich glaube, dass unter Anderem dadurch in der gesamten CSU das Bewusstsein gefördert wurde, dass es sich dabei eben nicht um ein Randthema handelt. Das Themenfeld rund um das Internet ist eben kein Orchideenfach, sondern wirklich ein wichtiges Politikfeld, mit dem sich in den Jahren davor die Partei aber zu wenig beschäftigt hat. Und jetzt ist dieses Thema eben in den Fokus der Gesamtpartei gerückt. Das begrüße ich natürlich sehr - aber die Notwendigkeit, sich stärker damit zu beschäftigen, ist nicht darauf zurückzuführen, dass es jetzt einmal ein besseres Abschneiden einer bestimmten Gruppierung gab, sondern weil das Thema komplex ist und immer mehr an Bedeutung gewinnt.
Der CSU-Europaparlamentarier Manfred Weber nannte unter den Gruppen, mit denen man Verbindung aufnehmen wolle, auch den Chaos Computer Club. Gab es da mittlerweile Kontakte? Und was kam dabei heraus?
Dorothee Bär: In der CDU/CSU-Bundestagsfraktion haben wir im Rahmen einer Expertenanhörung im Bundestag eine Vertreterin des Chaos Computer Club eingeladen. An dieses Gespräch wollen wir nun anknüpfen, um den gemeinsamen Austausch zu stärken und so eine Diskussionsplattform zu schaffen. Wir haben den Chaos Computer Club in die CSU-Landesleitung eingeladen und ich freue mich schon sehr auf spannende Gespräche und neue Impulse.
Werden Sie konkrete Einladungen an Personen und Organisationen aussprechen, am Netzrat teilzunehmen?
Dorothee Bär: Der Netzrat der CSU soll zu allererst ein schlankes und schlagkräftiges Gremium sein, in dem wir uns mit ausgewiesenen Experten über aktuelle und zukunftsweisende Themen austauschen. Je nach Themenlage werden wir sicherlich immer wieder externe Sachverständige zu unseren Sitzungen einladen.
Günther Beckstein argumentierte im Wahlkampf mit einer (nachweislich falschen) Verschwörungstheorie, nach der "Killerspiele" wie Counter-Strike, Doom 3 oder Call of Duty vom Pentagon in Auftrag gegeben worden wäre, um Tötungshemmschwellen zu senken. Teilt noch jemand in ihrer Partei seine Sichtweise?
Dorothee Bär: Ich höre diese Aussage jetzt zum ersten Mal. Ich habe mich seit Jahren dafür eingesetzt, dass man in der Computerspielediskussion nicht schwarz und weiß malt. Im Gespräch mit meinen Kollegen stelle ich immer wieder fest, dass man um so aufgeschlossener wird, je mehr man sich mit dem Thema Computerspiele beschäftigt. Und es ist natürlich auch eine Generationendiskussion. Ich möchte jetzt mal für die Junge Union sprechen, in der bestimmte Verbotsvorstellungen nie eine Mehrheit hatten - ganz im Gegenteil. Da würde ich sogar so weit gehen, zu sagen, dass wir Beschlüsse mit großer Mehrheit für die andere Richtung bekommen würden.
Mir persönlich lag immer daran, die Branche nicht pauschal zu verunglimpfen, sondern vielmehr ihr Potential zu erkennen. Durch Computerspiele werden spielend Lernanreize gesetzt und Wissen vermittelt. Außerdem ist die Computerspieleindustrie ein rasant wachsender Wirtschaftszweig, den man fördern und dem man nicht ständig Steine in den Weg werfen soll. Deshalb haben wir letztes Jahr das erste Mal den Deutschen Computerspielepreis vergeben, der ja jetzt in die zweite Runde geht. Durch die Auszeichnung von wirklich tollen Spielen wollen wir von Seiten der Politik auch Anreize für qualitativ hochwertige Spiele setzen.
Bei der letzten Landtagswahl entstand aus den Spieleverbotsplänen Joachim Herrmanns die Kampagne "Ich wähle keine Spielekiller". Trotzdem wurde Herrmann wieder Innenminister. War das ein Fehler?
Dorothee Bär: Der Innenminister ist originär nicht nur für Computerspiele zuständig, sondern für den gesamten Bereich der Inneren Sicherheit und genießt aufgrund seiner Arbeit großes Vertrauen. Außerdem ist es bislang zu keinem Herstellungs- oder Verbreitungsverbot gekommen. Und das ist sicherlich auch insgesamt den Jüngeren zu verdanken, weil wir uns sehr differenziert mit dem Thema auseinandergesetzt haben. Wir haben zum Beispiel nie die Bezeichnung "Killerspiele" verwendet, sondern uns darauf geeinigt, von "gewaltverherrlichenden Computerspielen" zu sprechen. Was aber natürlich nicht heißt, dass Jugendschutz nicht wichtig ist! Man darf es sich aber nicht zu leicht machen und glauben, wenn man alles verbietet, könne man einfach bestimmte Probleme aus der Welt schaffen.
Am Montag vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung veröffentliche Joachim Herrmann eine Pressemitteilung, in der er den Fall eines im Internet angekündigten Selbstmordes schilderte und dazu meinte, dass Daten auch ohne richterliche Anordnung herausgegeben werden müssten. Aus dem Wortlaut der Pressemitteilung wurde allerdings klar, dass er nicht verstanden haben konnte, wie das mit der Vorratsdatenspeicherung geht: Er meinte nämlich, die Telekom und andere Internetanbieter müssten "in ihren internen Abläufen sicherstellen, dass Telekommunikationsdaten wie die so genannte IP-Adresse eines Internetnutzers [...] sofort herausgegeben werden, wenn Gefahr im Verzug ist." In so einem Fall haben die Behörden aber die IP-Nummer schon und wollen Namen und Adresse - und nicht umgekehrt. Was halten Sie von einer Art "IT-Führerschein", für den politische Entscheidungsträger gewisse Grundkenntnisse nachweisen müssen?
Dorothee Bär: Ich glaube, dass es für jeden wichtig wäre, sich im Netz auszukennen. So ist es auch für Eltern wichtig ein besonderes Verständnis zu entwickeln, damit sie überhaupt die Möglichkeit haben mit ihren Kindern darüber sprechen können. Aber ob man das zu einer Zwangsverpflichtung machen sollte? Da habe ich meine Zweifel.
Im Bundestag gibt es eine Internet-Enquete-Kommission. Für Nico Kern, den nordrhein-westfälischen Spitzenkandidaten der Piratenpartei eine "Alibi-Veranstaltung", weil sie sich beispielsweise mit dem Abmahnmissbrauch und dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag gar nicht beschäftigen darf. Warum sparte man ausgerechnet diese beiden ganz zentralen Themen aus?
Dorothee Bär: Es gibt sicherlich auch noch andere Themen, bei denen man sich fragen kann, warum sie nicht behandelt werden. Aber da das Ganze so komplex ist, muss man sich natürlich auch auf bestimmte Punkte beschränken. Schließlich soll die Kommission ja nicht endlos tagen, sondern auch zu Ergebnissen kommen. Mit dem Abmahnmissbrauch werden wir uns aber im Netzrat der CSU beschäftigen, weil das - wie Sie richtig sagen - natürlich ein wichtiges Thema ist.
Manfred Weber bezeichnete den Vorschlag der EU-Kommission zur Einführung von einer Zensurinfrastruktur, wie sie in Deutschland nach der Wahl verworfen wurde, als "ausgewogen". Ist das Parteimeinung?
Dorothee Bär: Wir sind eine Volkspartei - und da ist es nur natürlich, dass es - wie in der Bevölkerung auch - zu manchen Themen eine gewisse Bandbreite der Meinungen gibt. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, die Netzsperren erst einmal ein Jahr auszusetzen und dann neu zu evaluieren. Wir wollen die Aufgeregtheit aus der Diskussion herausnehmen, um wieder sachlich miteinander zu diskutieren. Ich denke nämlich, dass in diesem Fall die Positionen gar nicht so weit auseinander liegen. Diejenigen, die sagen, "wir wollen ein freies Internet um jeden Preis", die wollen natürlich auch nicht, dass Kinderpornografie stattfindet. Und umgekehrt wollen natürlich auch diejenigen, die gegen Kinderpornografie kämpfen, nicht in irgendeiner Art und Weise Zensur ausüben. Und wenn man es schaffen würde, alle an einen Tisch zu bekommen, um eine Lösung zu finden, die beiden Seiten gerecht wird, dann sind wir auf dem Weg, sachlicher miteinander zu sprechen.