Neuanfang für El Salvador

Der historische Wahlsieg der linken FMLN wird in der Region gefeiert

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Erstmals wird ein Präsident der FMLN (Nationale Befreiungsfront Farabundo Martí) ,das kleine, aber bevölkerungsreiche zentralamerikanische El Salvador regieren. Den Wahlkampf führte die ultrarechte ARENA-Partei (Nationalistische Republikanische Allianz), die aus Kreisen der ehemaligen Militärdiktatur hervorgegangen ist und das Land seit dem Ende des Bürgerkrieges 1992 mit harter Hand regiert, mit aller Brutalität. Mit gut 51 Prozent oder 1, 23 Millionen Stimmen konnte sich der Kandidat des „Wechsels“ , der 49jährige Mauricio Funes durchsetzen und gilt nun als Hoffnungsträger für Linke und Aktive der sozialen Bewegungen in ganz Zentralamerika. Sein Widersacher, der ehemalige Innenminister und Rechtsaußen Rodrigo Ávila erkannte unterdessen seine Niederlage an.

Wahlsieger Mauricio Funes . Bild: FMLN

Endlich ist die bleierne Vorherrschaft von ARENA und ihren Vorgängern in der Militärdiktatur überwunden. Für Zentralamerika bedeutet es einen Zündfunken der Hoffnung, während die Hardliner in Washington einen wichtigen Verbündeten verloren haben. Auf der anderen Seite ist das Regierungsprogramm von Funes aus linker Sicht nicht einmal lauwarm. Mit den Reichen des geschundenen Landes plant sich der Ex-Journalist nicht anzulegen, er setzt auf nationale Aussöhnung und verspricht Privateigentum nicht anzutasten.

Die USA bleiben auch für die Linksregierung von Funes ein wichtiger Partner, inwieweit er auf eine Zusammenarbeit mit den ALBA-Staaten setzt, ließ er vorerst offen. Besonders in diesem Punkt steht aber zu erwarten, dass der moderate Präsident aus der eigenen Regierung Druck von links bekommt, denn der neue Vizepräsident Salvador Sánchez ist nicht nur Veteran aus dem Buergerkrieg. Er ist auch Vertreter des linken Parteiflügels und setzt auf Kooperation mit Kuba, Venezuela und Bolivien. Funes selbst ist der FMLN erst im vergangenen Jahr beigetreten. Aus wahltaktischer Sicht war die Kandidatur des beliebten Journalisten nun offenbar ein voller Erfolg. Funes sieht sich in der Tradition der sozialdemokratischen Regierung des Brasilianer Lula und hatte für seine Wahlkampagne sogar Mitarbeiter aus dessen Beraterstab angeworben.

Auf die ausgestreckte Hand haben Avila und seine ARENA-Parteifreunde bislang nicht reagiert. Für sie ist alles, was politisch links tickt, Teufelswerk. Sie haben das in ihrer Wahlkampagne auch so deutlich gemacht.

Bei den Parlamentswahlen im Januar konnte sich die FMLN im Parlament zwar erstmals als stärkste Fraktion behaupten, eine absolute Mehrheit fehlt ihr indes und auch mit dem einem Parlamentarier der Mitte-Links-Partei Cambio Democrático (CD) verfügt sie über keine Mehrheit jenseits des konservativen Lagers. Zu diesem zählen aber auch noch die kleinen Fraktionen der christdemokratischen (PDC) und die rechtskonservative Partei der Nationalen Versöhnung (PCN), die sich vielleicht beweglicher zeigen als ARENA.

Versuche der Wahlmanipulation seitens der Rechten

Bei keiner Wahl waren mehr als 4000 Beobachter zugegen wie bei dieser. Dabei liefen die Wahlen aber weitaus weniger sauber ab, als es die Berichte der offiziellen Wahlbeobachter von EU und OEA (Organisation der Amerikanischen Staaten) glauben lassen mögen, denn zahlreiche Wahlbeobachter kleinerer Organisationen berichten Haarsträubendes.

„FMLN-Sympathisanten wurden eingeschüchtert, und es gab sogar einige Morde, potenziellen Linkswählern wurde Angst vor Arbeitsplatzverlust gemacht und es gab Wahlbetrug im Vorfeld“, berichtet die in der Schweiz lebende Salvodaronerin Anita Cristina Escher, die als internationale Wahlbeobachterin teilgenommen hat. So wurde das Wahlregister vom Wohnortprinzip umgewandelt zugunsten eines Schlüssels, der auf dem Nachnamen der Wahlperson basiert. „Wer wählen wollte, der musste weite Wege durch die ganze Stadt auf sich nehmen“, berichtet Escher. Die herrschende ARENA-Partei investierte viel Geld in ein pompös aufgezogenes Taxiangebot für ihre Anhänger.

Erneut stimmten laut Wahlverzeichnis Personen ab, deren Familienmitglieder beteuerten, dass sie verstorben seien. In einigen Fällen seit mehr als 20 Jahren. Offenbar gab es – wie schon bei den Parlamentswahlen vor zwei Monaten – einen illegalen Grenzverkehr. ARENA-Unterstützer organisierten Bustransporte und gefälschte Dokumente für prekär Beschäftigte aus Nicaragua, Honduras und Guatemala, um diese illegal abstimmen zu lassen. FMLN-Unterstützer fingen einige dieser Busse an der Grenze ab. In San Salvador konnten zudem „Wahltouristen“ aus den Anrainerstaaten identifiziert und vom Wahlgang ausgeschlossen werden.

"Ich habe so ein Chaos und derart inkompetente Vertreter der Wahlbehörde noch nicht erlebt“, berichtet José Maria Villalta, der als costaricanischer Wahlbeobachter bereits zahlreichen Abstimmungen in Lateinamerika beigewohnt hat. TSE-Vertreter (Oberstes Wahlgericht) hielten es nicht für nötig zu intervenieren, als Wahlbeobachter ihnen mutmaßliche Wahlbetrüger vorführten, die ein zweites Mal abstimmen konnten, obwohl deren Daumen bereits von der Tinte eines anderen Wahllokals verfärbt war. Auch wurde das Recht auf geheime Abstimmung vielfach ignoriert, indem ARENA-Wähler ihre Stimme öffentlich machten. Wohl, um eine Abstimmprämie von 20-30 US-Dollar zu kassieren. Der fehlende Enthusiasmus der TSE-Mitarbeiter könnte mit der Tatsache erklärt werden, dass der Vorsitzende Walter Araujo zuvor ARENA-Vorstand war.

Einmischung von republikanischen US-Politikern

Für Unsicherheit sorgte auch Araujos Weigerung am Sonntagabend, einen Wahlsieger zu benennen. Nach Auszählung von über 90 Prozent der Stimmen sagte er, den neuen Präsidenten werde man erst in 48 Stunden erklären. Das hat es noch nie gegeben und die Aussage vom TSE-Chef – "Das kann jeder für sich selbst interpretieren" - weckten Sorgen. Spontan reagierten zehntausende FMLN-Unterstützer und zogen nach diesem Auftritt ins Zentrum der Hauptstadt San Salvador, wo sie bis in die frühen Morgenstunden wichtige Kreuzungen blockierten und Siegesfeiern abhielten. Ihr gewählter Präsident Mauricio Funes trat auf einer improvisierten Bühne auf und berichtete, dass sein Herausforderer dessen Niederlage anerkannt habe.

Die Tagespresse und TV-Kanäle waren sich nicht zu schade, auch nach dem offiziellen Ende des Wahlkampfes in der Woche vor dem Urnengang offen Partei für Avila zu ergreifen. Dazu griffen sie tief in die Mottenkiste des Antikommunismus, warnten vor einer angeblichen internationalen Isolation El Salvadors im Falle von Funes Wahlsieg und beteiligten sich an der Kampagne „Ich liefere mein Land nicht aus“. An wen? Die rechte Wahlpropaganda wollte die Salvadoranern Glauben machen, dass Funes das Land zu einem „Vasallenstaat“ Kubas oder Venezueluas machen wollte.

Mit Hilfe einiger Kongressabgeordneten der US-Republikaner schürte ARENA zudem die Angst, dass ein Wahlsieg Funes den Fluss der Überweisungen von Arbeitsmigranten aus den USA zum Versiegen bringen könnte. Diese machen mehr als 20 Prozent von Salvadors Bruttoinlandsprodukt aus.

Die Einmischung der US-Republikaner kritisierte unterdessen Ana Sol Gutiérrez. Die demokratische US-Abgeordnete ist das erste salvadoranische Kongressmitglied in den USA und nahm an den Wahlen in Salvador als Internationale Beobachterin teil. “Einzelne Republikaner haben versucht, Maurico Funes in die Nähe eines Terroristen zu stellen. Die Regierung Obama teilt diese Auffassung nicht und erkennt Funes als gleichberechtigten Partner an”, sagte sie.

Für das neue Selbstbewusstsein in Lateinamerika ist der Wahlsieg der FMLN ein wichtiger Schritt, insbesondere weil El Salvador neben Kolumbien als engster Bündnispartner der USA galt. Und auch wenn Mauricio Funes vielleicht nicht ganz so links ist, wie sich viele FMLN-Mitglieder wünschen mögen, auf der Siegesfeier Sonntag Nacht wurden lautstark Lieder aus dem Befreiungskampf in den 80iger Jahren beschworen: “Wenn Nicaragua siegt, wird El Salvador folgen.”

Torge Löding ist Kommunikationswissenschaftler und Journalist. Er arbeitet für das unabhängige Koommunikationszentrum Voces Nuestras in San José, Costa Rica, und beschäftigt sich mit Themen aus Mittelamerika und der Karibik.