Neue Allianzen zwischen kurdischen Separatisten und dem Islamischen Staat?
Nach dem Ende des IS-Kalifats ist nichts gelöst, die untereinander zerstrittenen Kurden werden nun im Irak und in Syrien zu regionalen Schlüsselparteien
In Syrien spitzt sich der Konflikt zwischen den kurdischen SDF-Milizen und den mit schweren Waffen, FSA-Söldnergruppen und begleitenden Angriffen der Luftwaffe vorrückenden türkischen Verbände zu. Die große Frage wird sein, ob die Türkei bei ihrem Vormarsch auf die Stadt Afrin, in der sich eine halbe Million Menschen aufhalten sollen, einen Stadtkampf wie in Aleppo, Raqqa oder Mosul beginnen wird, der zu großen Verlusten der Zivilbevölkerung und einer Ruinenstadt führen wird. Derzeit wird Afrin von türkischen Drohnen ausgeleuchtet, um genaue Karten zu erhalten und Stützpunkte und Fallen der YPG auszumachen.
Das Image der Türkei ist durch den völkerrechtswidrigen Einmarsch in Afrin sowieso schon geschädigt. Solange allerdings Moskau die türkische Intervention und vor allem die Luftangriffe und Drohnenflüge zulässt, haben die türkischen Truppen freie Hand. Aber auch in Moskau wird man sich überlegen, ob man sich durch die Duldung der türkischen Invasion nicht weiter schädigt und letztlich selbst an Einfluss in Syrien verlieren wird, denn Erdogan will in Afrin eine ethnische Säuberung zugunsten der Türkei realisieren. Es gibt Anzeichen, dass Moskau und Damaskus die Duldung aufzugeben scheinen.
Die syrischen Kurden in Afrin werden sich hingegen überlegen müssen, ob sie einen ähnlichen urbanen Vernichtungskampf wie der Islamische Staat, womöglich unter Rückgriff auf Sprengfallen und Selbstmordanschläge, durchführen und darauf hoffen wollen, dass sie nicht in einer solchen aussichtlosen Lage wie der IS sind. Oder ob sie vielleicht mit der Unterstützung von Damaskus und Moskau sich zurückziehen. Noch behaupten sie, die türkischen Streitkräfte hätten keine Geländegewinne gemacht.
Das wird freilich nicht nur das Verhältnis der syrischen Kurden zu den USA verändern, von denen sie allein gelassen wurden, sondern auch das der Kurden im Irak. Auch diese waren über viele Jahre hinweg den USA zugewandt. Spätestens seit dem Unabhängigkeitsreferendum wurden aber auch sie von den USA fallen gelassen, während die irakische Armee mit den schiitischen Milizen (Volksbewegungseinheiten - PMU), die auch mit schweren US-Waffen wie Panzern ausgerüstet sind, gegen sie vorrückte und von den Peschmerga kontrollierte, aber umstrittene Gebiete besetzte. Dabei wurden auch viele Kurden vertrieben.
Im Irak halten sich in der Wüste angeblich noch viele IS-Kämpfer auf, ansonsten gibt es in den sunnitischen Teilen noch zahlreiche Zellen, so dass weiterhin täglich Anschläge und Angriffe stattfinden. Die Situation im Irak ist besonders heikel, weil hier die irakischen Truppen mit den schiitischen Milizen, die als Teil der Armee anerkannt wurden, gegen den IS und andere sunnitische Gruppen gekämpft haben, mitunter brutal gegen vermeintliche Extremisten und deren Anhänger vorgegangen sind und sich weiterhin in den vom IS zurückeroberten Gebieten aufhalten.
Die PMU dringen auch darauf, dass die amerikanischen Streitkräfte, die als Besetzungsmacht gelten, das Land verlassen müssen. Zudem ist der IS im Irak so stark geworden, weil er von sunnitischen Widerstandsbewegungen und ehemaligen Offizieren, Geheimdienstlern und anderen von den Amerikanern entlassenen Mitarbeitern von Hussein-Behörden unterstützt wurde. Diese werden weiterhin, auch ohne des IS, eine eigenständige Agenda verfolgen.
Kurdische Separatisten im Irak sollen sich mit IS-Kämpfern verbinden
Die Peschmerga sollen insgesamt 2500 IS-Kämpfer gefangen haben und in Lagern bei Erbil halten. Angeblich haben die Amerikaner versichert, auch weiterhin die Peschmerga militärisch zu unterstützen (Deutschland will hingegen die Ausbildungs- und Aufrüstungsmission beenden). Aber die Lage wird auch im Irak unübersichtlicher.
So bildete sich bereits im Dezember eine neue Gruppe von militanten Kurden namens Khawbakhsh ("Freiwillige"), die das von der irakischen Armee eingenommene Kirkuk, in dem Kurden, Araber und Turkmenen leben, und die Stadt Tuz Khormato wieder zurückerobern wollen. Kirkuk war 2014 von den Peschmergma eingenommen worden, als die irakische Armee vor dem IS floh, und ist wegen der großen Ölfelder von hoher politischer Bedeutung. Um Tuz Khormato kam es bereits 2015 zwischen den Peschmerga und den schiitischen Milizen zu Kämpfen, aber es gab auch Kämpfe bei der Eroberung durch irakische Soldaten und schiitische Milizen.
Für die schiitisch dominierte Regierung in Bagdad handelt es sich bei den Khawbakhsh um Terroristen und Kriminelle, die mit der kurdischen PUK-Partei verbunden sein sollen, nach einem Kurden soll die Gruppe die Kurden gegen mit den PMU verbundenen Araber und Turkmenen in Tuz Khormato und in der Kirkuk-Region geschützt haben, nachdem diese begonnen hatten, die Kurden zu vertreiben.
Wie schwierig die Situation ist, sieht man an einer Meldung der Nachrichtenagentur AFP vom Mittwoch. Irakische Streitkräfte, die von der US-Koalition, also von US-Kampfflugzeugen, unterstützt werden, darunter Paramilitärs, also wohl schiitische Milizen, sollen nach dem Sicherheitsinformationszentrum Iraks einen größeren Angriff auf IS-Gruppen in der Wüste östlich von Tuz Khormato begonnen haben. Dabei sollen auch nicht näher genannte "kurdische Kämpfer" sein, es könnte sich um Peschmerga handeln, da die kurdische Regionalregierung auch fürchtet, an den Rand gedrängt werden zu können.
Bei der Offensive seien einige Dörfer erobert und ein IS-Lager gestürmt worden. Widerstand habe es keinen gegeben. Am Ende heißt es jedoch, dass nicht nur IS-Gruppen, sondern auch kurdische Separatisten Angriffe in Reaktion auf die irakische Machtübernahme und die Vertreibung von Kurden durchgeführt hätten. Schiitische Milizen sagen, die Weiße Flagge bestünde aus IS-Kämpfern und kurdischen Mafia-Mitgliedern, ein Kommandant der irakischen Spezialeinheiten ERD erklärte, es würde sich um IS-Kämpfer und lokale kurdische Milizen handeln. Möglicherweise hat sich da eine neue Allianz von arabischen Sunniten und kurdischen Separatisten, wahrscheinlich in der Regel auch Sunniten, gegen die schiitischen Milizen gebildet. Möglicherweise aber geht es auch nur um die Ölfelder und die Gewinne, die über die Abzweigung von Öl auf dem Schwarzmarkt zu erzielen sind. Letztlich wurde diese Region seit fast 15 Jahren nicht staatlich kontrolliert.
In anderen Meldungen wird klar benannt, dass irakisches Militär und al-Hashd al-Shaabi (PMU) die Operationen begonnen haben, um IS-Gruppen und Weiße-Flagge-Kämpfer aus dem östlichen Teil von Tuz Khormato zu vertreiben und die Straße zwischen Bagdad und Kirkuk zu sichern. Die neue Gruppe, die bereits mehrere hundert bis zu tausend Kämpfer umfassen und sich in den nahe gelegenen Bergen aufhalten soll, wird so genannt, weil ihr Symbol eine weiße Flagge mit einem Löwenkopf in der Mitte ist. Gebildet hatte sich die Gruppe ebenfalls Ende 2017 nach dem Vormarsch der irakischen Truppen und schiitischen Milizen in die kurdisch kontrollierten Gebiete.
Das Verschwinden des Islamischen Staats als Territorialmacht führt nun, wie schon lange befürchtet, zu neuen Konflikten, da die Bekämpfung des IS als vorherrschendes Ziel der Koalitionen die zugrundeliegenden geopolitischen und ethnischen Konflikte nur überdeckt hat. Jetzt ist der offene Machtkampf zwischen den von den Großmächten und ihren Alliierten sowie den Regionalmächten unterstützten Fraktionen in den multikulturellen Vielvölkerstaaten Syrien und Irak entbrannt, der auch die Regionalmächte Türkei, Iran oder Saudi-Arabien erschüttern kann. Russland wirft den USA vor, Syrien mit den syrischen Kurden aufteilen zu wollen. Die USA und Israel haben Sorge, ausgeschaltet zu werden und dass eine von Russland unterstützte schiitische Achse vom Iran bis zum Libanon entstehen könnte. Eine Schlüsselrolle spielt das Noch-Nato-Mitgliedsland Türkei, das wegen seiner geografischen Schlüsselrolle zwischen Europa und dem Nahen Osten und zwischen dem Schwarzen Meer und dem Mittelmeer weder die USA noch Russland fallen lassen möchten. Erdogan pokert und reizt die Situation aus innenpolitischen nationalistischen Gründen aus.