Neuer Sprecher von Pistorius: Den Schaden trägt die ARD

Seite 2: So weichen die ARD-Anstalten Fragen aus

Eine Anfrage von Telepolis bei der ARD brachte wenig Erhellendes. Ein Sprecher des Südwestrundfunks (SWR) antwortete auf unseren achtteiligen Fragenkatalog mit einem "grundsätzlichen" Statement, ließ die konkreten Fragen aber unbeantwortet. In der allgemeinen Stellungnahme heißt es:

Alle Journalistinnen und Journalisten in der ARD müssen ihre berufliche Arbeit von ihren persönlichen Entscheidungen trennen können. Uns allen im SWR und in der ARD ist klar, dass das Vertrauen der Menschen das höchste Gut ist. Daher stehen wir uneingeschränkt zu journalistischen Standards wie der Unabhängigkeit in der Berichterstattung, der Kenntlichmachung von Quellen und dem transparenten Umgang mit Fehlern. All dies zeichnet Qualitätsmedien wie die ARD und den SWR aus und daran muss sich jeder Journalist, der für den SWR oder die ARD arbeitet, messen lassen. Berufliche Veränderungen, egal in welche Richtung, sind zudem sehr persönliche Entscheidungen eines jeden Mitarbeitenden.

Wie aber gehen die ARD-Anstalten mit der Kritik an dem Wechsel um, der in Zeiten der von Medienverdrossenheit und schwinden Vertrauens einen weiteren Schaden anzurichten geeignet ist?

Dazu wiederum fragte Telepolis auf Verweis des SWR bei ARD-aktuell in Hamburg nach, der zentralen Fernsehnachrichtenredaktion der ARD. Konkret ging es uns um zwei Punkte. Zum einen war das die Frage, ob der Sender angesichts des kurz später erfolgten Berufswechsels an der eigenen Einordnung des Artikels als "Analyse" festhält, zumal wichtige Punkte der öffentlichen und politischen Debatte über den SPD-Politiker fehlen.

Zum anderen interessierte uns, ob die ARD mit dem Fall transparent umgeht, den Stempfle-Text also selbst redaktionell einordnet.

Beide Fragen beantwortete ARD-aktuell abschlägig:

Hält die ARD an der Einstufung des Beitrags als "Analyse" fest und wie begründet sie diese Einstufung?

Norddeutscher Rundfunk, Unternehmenskommunikation: Ja. Unserer Ansicht nach handelt es sich beim betroffenen Artikel um eine Analyse mit kommentierenden Anteilen, aber nicht um einen klassischen Kommentar.

Wird die ARD in einem eigenen Bericht auf den Fall zurückkommen, um den ARD-Beitrag "Neuer Verteidigungsminister Pistorius: Ein Vollblutpolitiker, der anpackt" (vom 17.01.2023, 18:48 Uhr) von Michael Stempfle journalistisch und medienethisch einzuordnen?

Norddeutscher Rundfunk, Unternehmenskommunikation: Der Text wurde mit einem Transparenzhinweis versehen. Außerdem hat tagesschau.de einen eigenen Transparenzhinweis über den Wechsel verfasst.

Der Transparenzhinweis unter dem Artikel selbst stellt aber, wie zuvor erwähnt, keine Transparenz her. Welchen zweiten Hinweis der NDR meint, bleibt unklar. Im Netz findet sich ein nachrichtlicher Artikel, der schlichtweg über den Wechsel berichtet und ohne jede Einordnung einen Tweet des ehemaligen ARD-Journalisten einbindet.

Ein zentraler Vorwurf steht also weiterhin im Raum: dass die ARD sich von einem Mitarbeiter als Karriereplattform missbrauchen ließ, was ihrer Unabhängigkeit schaden würde. Stempfle selber erklärte, dass er sich erst zwei Tage nach der Publikation mit seinem künftigen Arbeitgeber getroffen habe. Kann man aber ernsthaft davon ausgehen, dass Stempfle:

  • am 17. Januar noch als unvoreingenommener Journalist einen – zudem fachlich defizitären – Artikel über Pistorius schrieb?
  • binnen sechs Tagen plötzlich in Vertragsgespräche mit dem Ministerium eintrat?
  • diese Verhandlungen binnen weniger Tage erfolgreich zu einem Ende führte?
  • am 23. Januar die Neuanstellung bekannt wurde?
  • am 26. Januar schon seine Neuanstellung im Staatsdienst antrat, wie er gegenüber Telepolis vom Ministeriumsbüro aus bestätigte?

Zwischenbilanz: Von dem Wechsel konnten die ARD und ihre Regionalanstalten nichts ahnen. Sie haben aber in Folge die Chance verstreichen lassen, mit dem Fall transparent umzugehen. Dazu gehört unabhängig von der Personalie Stempfle die Frage, weshalb sich Berichte des gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunks offenbar nicht von Beiträgen eines ministerialen Pressestabs unterscheiden.