Neuer Vorstoß für ein Weltparlament
Eine Nichtregierungsorganisation will mit breiter politischer Unterstützung die Uno stärker demokratisieren und in ein wirkungsvolles Instrument globaler Steuerung verwandeln
Konkrete Forderungen nach oder verschwörungstheoretische Abhandlungen über eine wie auch immer geartete Weltregierung gibt es seit langem. Auch komplexe theoretische Ansätze wie das Regieren ohne Regieren sind von Globalisierungsexperten bereits auf den Tisch gelegt worden. Eine wichtige weltumfassende Institution gibt es mit den Vereinten Nationen schon. Doch das Staatengremium erscheint spätestens seit dem Alleingang der "Koalition der Willigen" im Irak als Farce, ihm fehlt eine ernsthafte demokratische Legitimierung. Das will das Komitee für eine demokratische Uno (KDUN) nun mit dem bisher konkretesten Vorstoß für die Einrichtung eines Weltparlaments ändern.
Auch die Spätsommersonne kann die Lage nicht schön färben: die Welt spaltet sich immer mehr auf in den reichen Westen, der unter der Führung der einzig verbliebenen Großmacht in Form der Vereinigten Staaten sein Verständnis von Herrschaft und Kapitalismus globalisieren will und auch östliche Industrienationen mit einschließt, und einen unzufriedenen Rest, dem die "Sozialisierung" gegen den Strich geht. An den Grenz- und Brennpunkten im Nahen und Mittleren Osten mit dem Israel-Konflikt im Zentrum wütet der Terror unter dem Deckmantel des Islams, der durch sämtliche "Befriedungsaktionen" nur weiter angestachelt wird.
Dazu kommen globale dramatische Probleme wie der Klimaschutz, die sich durch ständig neue Stürme verstärkt auch in den USA bemerkbar machen. Der Uno als bislang greifbarster Form einer Weltregierung sind bei der Lösung dieser fundamentalen Schwierigkeiten weitgehend die Hände gebunden. Sie wird blockiert durch das Veto-Recht einzelner Mitglieder, durch institutionalisierte Verfahren rein symbolischer Politik und eine mangelnde Akzeptanz in weiten Teilen der Weltbevölkerung.
Eine Reform der Vereinten Nationen ist daher dringend nötig und wird von ihren Mitgliedern auch bereits halbherzig angegangen. Doch die beispielsweise gerade von Deutschland vorgeschlagene Erweiterung des Sicherheitsrats der UN greift deutlich zu kurz, meint Andreas Bummel, geschäftsführender Vorsitzender des KDUN. Die brennende Frage für ihn und seine Mitstreiter in der noch jungen Nichtregierungsorganisation ist vielmehr, wie die Uno demokratisiert werden kann, wie sie zu einer besseren Repräsentanz der Weltbürger gelangen und mehr Rückhalt in den Bevölkerungen erhalten kann.
Dauerhafte Lösung der Weltprobleme?
Abhilfe erhofft sich das KDUN durch die Einrichtung einer Parlamentarischen Versammlung bei den Vereinten Nationen. Ein entsprechendes Strategiepapier hat die NGO am Freitag in Berlin im Bundespresseamt vorgestellt. Darin geht es auf 30 Seiten um die Idee einer solchen United Nations Parliamentary Assembly (UNPA), ihre Funktionen und Rechte sowie den voraussichtlichen Finanzierungsbedarf in Höhe von zunächst 100 bis 120 Millionen Euro im Jahr. Ziel ist es, die "internationale Demokratie zu entwickeln", die Teilnahme der Bürger an der "Planung dauerhafter Lösungen der Weltprobleme" zu sichern und so gleichzeitig mehr Rückhalt für die UN in den einzelnen Bevölkerungen zu schaffen.
Die Vereinten Nationen sollen damit mittelfristig in ein "wirkungsvolles Instrument globaler Steuerung" umgewandelt werden. Denn bisher seien dort außenpolitische Prozesse "ausschließlich in der Hand der Regierungsexekutiven und ihrer Beamten". Die ständigen Proteste von Globalisierungsgegnern sehen die KDUN-Vorreiter als Reaktion auf dieses Demokratiedefizit bei UN-Gremien. Aufgreifen lassen sie sich ihrer Ansicht nach nur durch die stärkere Beteiligung der Bürger über die UNPA.
Die Pläne des KDUN sind bereits relativ konkret. So soll das Gremium der Volksvertreter in erster Stufe eine beratende Funktion gegenüber der Vollversammlung der Uno und dem Sicherheitsrat einnehmen. Etwa 700 bis 900 Abgeordnete schweben Bummel vor, die zunächst von den nationalen Parlamenten gewählt werden. Darin sieht der smarte Jura-Student und Unternehmensberater bereits ein "entscheidendes Bindeglied zwischen Regierungen, dem UN-System und der Zivilgesellschaft vor allem". Schritt für Schritt sollen die Funktionen der UNPA dann bis hin zu umfassenden Informations-, Beteiligungs- und Kontrollrechten ausgebaut werden. Am Ende steht der Gedanke eines echten Weltparlaments, das von den Bürgern direkt gewählt wird. Getragen wird der Vorstoß von der umfassenden Idee einer neuen Weltgemeinschaft, verheimlicht Bummel nicht, von dem Ausblick auf eine Welt jenseits des Nationalstaatensystems mit einer zunehmenden Integration ihrer einzelnen Glieder.
Nicht im luftleeren Raum
Auf die nahe liegende Kritik, einen Verein von Utopisten und Träumern ins Leben gerufen zu haben, hat sich die KDUN-Leitung schon eingestellt. "Wir agieren nicht im luftleeren Raum", versucht Claudia Kissling, stellvertretende Vorsitzende der NGO, entsprechende Vorwürfe abzuschmettern. Sie verweist darauf, dass es bereits zahlreiche "ernst zu nehmende Initiativen aus Zivilgesellschaft und Politik" für eine Demokratisierung der Uno gibt. Dann rasselt sie Resolutionen des EU-Parlaments, von den Volksvertretungen in der Bundesrepublik, in Kanada oder der Schweiz herunter und erwähnt Vorschläge des Europarates sowie der Sozialistischen Internationalen.
Selbst hat sich das KDUN, das unter der Schirmherrschaft des Club of Budapest steht, aber strikt überparteilich aufgestellt und über einen imposanten Beirat mit Vertretern aus Politik und Zivilgesellschaft abgesichert. Dabei sind neben sieben Bundestagsabgeordneten, den EU-Parlamentariern Elmar Brok (CDU) und Jo Leinen (Europäische Föderalisten) und einem Schweizer Nationalratsmitglied auch mehrere Professoren, darunter der Friedensforscher Johan Galtung. Gemeinsam wollen die Beiratsgehilfen vor allem dafür sorgen, dass das Strategiepapier in den UN-Ausschüssen ihrer nationalen Parlamente behandelt, bei der UN selbst diskutiert und nicht rasch zu den Akten gelegt wird.
"Wir brauchen dringend eine wie auch immer geartete parlamentarische und als Organ verankerte Beteiligung an der Uno", stellt Josef Winkler, KDUN-Beirat und demokratiepolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, klar. Die bisherige "Interparlamentarische Union" bei den UN habe allein einen Beobachterstatus und kommuniziere mit den entscheidenden Gremien der Vereinten Nationen quasi "über reitende Boten". Auch der UN-Generalsekretär Kofi Annan seit August vorliegende Cardoso-Report, der parlamentarische Ausschüsse auf Weltebene mit nationalen Abgeordneten besetzen will, greife zu kurz.
Die ebenfalls im Beirat vertretene CDU-Abgeordnete Ursula Lietz will die Vision des KDUN "mit aller Vehemenz vertreten". Als Mitglied des Verteidigungsausschusses des Bundestags habe sie die Hilflosigkeit und das zweifelnde Abwägen der nationalen Parlamente in den Streitfragen des Kosovo- und des Irak-Einsatzes beobachten müssen. "Hier wäre uns vieles leichter gefallen", sagt die Sicherheitspolitikerin, "wenn die Uno in der Lage gewesen wäre, uns durch einen parlamentarisch herbeigeführten Beschluss zu unterstützen." Als Vorbild für die neue Weltregierung sieht sie die Entwicklung des EU-Parlaments, das 1960 erstmals ein Anhörungsrecht erhalten und inzwischen dreiviertel aller Gesetzesvorhaben in der EU gemeinsam mit dem Rat verabschiede und über den Haushalt wache. Diesen Prozess gelte es nun, in "geraffter Version auf die Uno zu übertragen".
Dass von den 192 UN-Mitgliedsstaaten nur 117 selbst eine legitimierte parlamentarische Vertretung besitzen, kann die Vordenker ebenfalls nicht von ihrer Idee abbringen. Die Beiratsmitglieder sind sich einig, dass es alle Nationen mitzunehmen gelte. Die SPD-Abgeordnete Petra Ernstberger erhofft sich etwa positive Rückkopplungen und spricht gar von einer "erzieherischen Wirkung", wenn Vertreter aus halbdemokratische Ländern in der Versammlung erleben könnten, wie "Demokratieprozesse vor sich gehen." Und überhaupt sei es einfach notwendig heutzutage, wieder "Visionen zu haben".
Den Testfall, inwieweit Demokratie überhaupt als Allheilmittel weltweit angesehen werden kann, könnte von Dezember an der keine Ruhe findende Irak liefern. Falls es zu den vorgesehenen freien Wahlen kommt.