Neuer deutscher Imperialismus
Münchner Rede: Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer will nicht mehr am Rande stehen. Ein Gastkommentar
Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer steht durch die besonders schlechten Umfragewerte der letzten Zeit, Tendenz fallend, stark unter Druck. Es hieße aber, ihre verbale Kraftmeierei zu unterschätzen, wollte man in ihrem militärischen Interessensgehabe allein den Ausgleich für die sinkende Popularität sehen.
Bewusst sucht Kramp-Karrenbauer den Tabubruch und formuliert strategische Interessen in Trump‘scher Offenheit ("Wir sichern in Syrien das Öl"), ohne dass es Konsequenzen hätte wie in der Vergangenheit beispielsweise, als Horst Köhler den Rückzug antreten musste, weil er allzu offen sagte, warum deutsche Soldaten im Ausland eingesetzt werden.
In ihrer Münchener Rede an der Universität der Bundeswehr vom 7. November 2019 sagt die Verteidigungsministerin, worauf es ihr in Zukunft ankommt: "Nicht nur Vorgegebenes auszuführen, sondern wirklich zu führen." Deutschland soll führen in der Welt, "die aus den Fugen geraten ist". Und die Gegner werden sogleich benannt, die bei der neuen Führungsrolle Deutschlands im Wege stehen, als "Entwicklungen, die unsere Sicherheitspolitik fordern": Das ist zuerst "die russische Aggression in der Ukraine und insbesondere die völkerrechtswidrige Annexion der Krim", "die weltumspannenden Netzwerke des Terrorismus" und der "machtpolitische Aufstieg Chinas".
Ein neues Zeitalter des Imperialismus
Kramp-Karrenbauer beschwört geradezu ein neues Zeitalter des Imperialismus: "Wir erleben derzeit eine Rückkehr der Konkurrenz großer Mächte um Einflusssphären und Vorherrschaft." Und hier, so AKK, muss Deutschland "aktiver werden", um "unsere Werte und Interessen zu schützen". Deutschland sei eine "Handelsnation" und "auf freie und friedliche Seewege angewiesen".
Wie es 1897 der spätere Reichkanzler Bernhard von Bülow formulierte: "Mit einem Worte: wir wollen niemand in den Schatten stellen, aber wir verlangen unseren Platz an der Sonne" - in Sorge um das aus seiner Sicht bei den Kolonien in der Welt zu kurzgekommene Deutschland, so beschwört AKK heute den Aufstieg Deutschlands als auch militärisch agierende globale Macht unter dem Stichwort, ins Zentrum des Weltgeschehens zu wollen: "Ein Land unserer Größe und unserer wirtschaftlichen und technologischen Kraft, ein Land unserer geostrategischen Lage und mit unseren globalen Interessen, das kann nicht einfach nur am Rande stehen und zuschauen."
Und während bei allem Dank für Vergangenes den USA der Abstieg vorausgesagt wird, ist dies zugleich der Treiber für den noch stärkeren Wunsch für einen Aufstieg Deutschlands. AKK ist es wichtig zu betonen, dass man sich bereits in Afghanistan und Mali engagiert, aber zugleich beklagt sie, dass in Syrien und im Irak "die Peschmerga die Opfer zu beklagen (hatten) - nicht wir".
Bereitschaft zum Krieg für eigene Interessen
Für Deutschlands Aufstieg, so die Botschaft der Verteidigungsministerin, sollen Opfer gebracht werden, Menschenopfer. Die Bereitschaft zum Krieg zu stärken ist ihr oberstes Anliegen. AKK diagnostiziert eine "Kultur der Zurückhaltung", die sie überwinden will. Deutschland soll Bereitschaft zeigen "das Spektrum militärischer Mittel wenn nötig auszuschöpfen". AKK will nichts weiter als die Bereitschaft zum Krieg für eigene Interessen, etwa um Handelswege zu schützen oder aufstrebende Mächte, wie China, in die Schranken zu weisen und der beschworenen angeblichen russischen Bedrohung zuvorzukommen.
Dafür will sie die NATO und die EU noch stärker in Anspruch nehmen. Sie baut auf Allianzen der europäischen Großmächte, wie das deutsch-französische Tandem oder die EU3 - Großbritannien, Deutschland und Frankreich. Europa ist für sie das Vehikel, um "stark" zu sein, "wirtschaftlich, politisch, militärisch". Ohne diese Allianzen kann Deutschland gerade auch wegen seiner Vergangenheit nicht losschlagen.
Die deutsche Vergangenheit ist für AKK auch der Grund, warum wir weiter ein Parlamentsbeteiligungsgesetz für die Auslandseinsätze der Bundeswehr brauchen, das sie für NATO und EU-Missionen zwar schleifen will, das aber wichtig ist - nicht etwa zur parlamentarischen Kontrolle, sondern zur demokratischen Legitimität. "Eine Legitimität, gerade mit Blick auf unsere Vergangenheit, der wir bedürfen, die ein wirklicher Vorteil ist", so die Verteidigungsministerin.
Jubel über Rüstungsausgaben
AKK macht klar, dass globale militärische Machtprojektion aber auch kostet. Regelrecht bejubelt wird, dass bei den Rüstungsausgaben "die Schallmauer von 50 Milliarden durchbrochen" wurde. Aufrüstung im imperialistischen Interesse ist das besondere Augenmerk der Verteidigungsministerin, bis 2024 auf 1,5% des BIP und bis 2031 auf 2% des BIP oder - wie es eine Studie der Stiftung SWP berechnete - auf 85 Milliarden Euro.
Es ist klar, dass diese gigantische Aufrüstung bei Beibehaltung der Schwarzen Null mit einem sozialpolitischen Kahlschlag einhergehen wird. Für AKK ist das alles kein Problem, über eine Finanzierung ihres Ausgabensteigerungsprogramms verliert sie in der Münchener Rede kein einziges Wort.
Abschied von der alten Bundesrepublik: Nationaler Sicherheitsrat
Aber auch bei den Entscheidungsstrukturen soll Abschied genommen werden von der alten Bundesrepublik. Ein nationaler Sicherheitsrat soll den "jetzigen Bundessicherheitsrat mit eingeschränkten Aufgaben und Aufgabenstellungen weiterentwickeln". AKKs nationaler Sicherheitsrat geht von der Fiktion aus, dass Deutschland sich permanent im Krieg befindet.
Er ist de facto politischer Generalstab, den Deutschland so lange nicht mehr hatte. Natürlich ein Generalstab nach dem Konzept der vernetzten Sicherheit gestrickt, "ein Ort, an dem zusammengebracht wird, was zur Schaffung einer auf Humanität beruhenden Ordnung zusammengehört. Diplomatie, Militär, Wirtschaft und Handel, Innere Sicherheit und Entwicklungszusammenarbeit." Kurz: "So ein nationaler Sicherheitsrat würde unsere Beiträge zur internationalen Krisenbewältigung schneller und effektiver zur Wirkung bringen."
Besonders augenfällig ist AKKs bekundete Bereitschaft, Russland, aber vor allem auch China herausfordern zu wollen. "Unsere Partner im Indo-Pazifischen Raum - allen voran Australien, Japan und Südkorea, aber auch Indien - fühlen sich von Chinas Machtanspruch zunehmend bedrängt. Sie wünschen sich ein klares Zeichen der Solidarität. Für geltendes internationales Recht, für unversehrtes Territorium, für freie Schifffahrt."
AKK verspricht gegen China auch militärisch aufzumarschieren. Deutschland soll eine pazifische Macht werden. "Es ist an der Zeit, dass Deutschland ein solches Zeichen setzt, indem wir mit unseren Verbündeten Präsenz in der Region zeigen", so der formulierte Machtanspruch.
Brandgefährliche Pläne
Hier liegt allerdings bereits der Kern des Problems der Verteidigungsministerin. Für all die formulierten Machtansprüche bedarf es des Einsatzes von noch erheblich mehr Ressourcen. Die formulierte offene Konfrontationspolitik gegen Russland und China wird mit Sicherheit Gegenkräfte auf den Plan rufen. Das macht den Aufbau kriegerischer Drohkulissen durch die Verteidigungsministerin aber denkbar gefährlich.
Und was die Durchsetzung dieser brandgefährlichen Pläne angeht, steht leider von Seiten der SPD kein Widerstand zu erwarten. Verbal wehrt man sich zwar gegen die Aufrüstungsziele, real dürfte man bis 2024 aber genau bei der Aufrüstung auf 1,5% des BIP (65 Milliarden Euro) landen.
Und der sozialdemokratische Außenminister ist selbst ein Freund von Regime-Change-Kriegen und einer Konfrontationspolitik gegen Russland und China. Heiko Maas protestiert allein nur, wenn man ihm die geplanten Militäreinsätze per SMS wie im Falle Syriens mitteilt, weil dann zu offensichtlich wird, dass er im Kabinett aber auch gar nichts zu bestellen hat und keiner ihn eigentlich ernst nimmt.
Sevim Dagdelen ist stellvertretende Vorsitzende und abrüstungspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag