Neues Fischsterben in deutsch-polnischen Gewässern

Die Befürchtung ist, dass sich ein Fischsterben von der Größenordnung im vergangenen Jahr wiederholen könnte. Bild: Hanno Böck / CC-BY-SA-4.0

Toxische Goldalgen breiten sich aus, tausende Fische verenden. Chemikalien, Dürre und hoher Salzgehalt begünstigen das Sterben. Was Naturschutzverbände jetzt fordern.

Karpfen, Hechte, Döbel und diverse Weißfischarten – insgesamt rund 110 Kilogramm tote Fische zogen Angler vor wenigen Tagen aus dem Flüsschen Milde im Altmarkkreis Salzwedel. Jeden Abend holten Angler neue tote Fische aus der Milde. Die Tiere waren verletzt. Die Kiemenklappen waren verklebt und die den Fischkörper schützende Schleimschicht war verschwunden, berichtet Kay Grahmann, Vorsitzende des Angelsportvereins Kalbe.

Der Flussabschnitt zwischen Gardelegener Tor in Kalbe und dem Zufluss zum Secantsgraben ist seitdem für Angler und zur Entnahme von Wasser gesperrt. Auf der Wasseroberfläche habe sich eine bläulich schimmernde Flüssigkeit gezeigt. Es sei nicht auszuschließen, dass die Milde verunreinigt worden sei, hieß es.

Bereits Tage zuvor in zwei Kanälen im polnischen Verwaltungsbezirk Opole rund 450 Kilogramm tote Fische entdeckt - in dem von der Oder abzweigenden Gleiwitzer Kanal sowie in dem abzweigenden Kedzierzyn-Kanal, der zu den Stickstoffwerken in Kedzierzyn-Kozle führt. In Wasserproben aus beiden Kanälen wurde die giftige Goldalge Prymnesium parvum nachgewiesen. Bereits im April und Mai war die Goldalge in zwei Stauseen in der Nähe der Oder aufgetaucht.

Dies sei ein wichtiges Warnsignal, warnte Polens Umweltministerin Anna Moskwa. Die Wassertemperatur in der Oder sei stark angestiegen, wodurch sich das Risiko für ein Fischsterben weiter erhöhe. Die Angst ist groß, dass es sich in der Größenordnung vom letzten Sommer wiederholen könnte.

Um die Entwicklung der Goldalge zu stoppen, sollen nun die Altarme der Oder vorübergehend abgeriegelt und in den Rückhaltebecken natürliche Barrieren errichtet werden. Die Einleitungen von Industrie- und Haushaltsabwässern sollen je nach Wassertemperatur systematisch gesteuert werden. Zudem werden die Gewässer mit Sauerstoff angereichert.

Für das letztjährige Fischsterben macht Deutschlands Steffi Umweltministerin Lemke (Grüne) die polnische Bergbauindustrie und ihre Salzeinleitungen verantwortlich. In der Region Kędzierzyn-Koźle im Süden Polens befindet sich ein großes polnisches Düngemittelwerk, das zu der Gruppe Asorty gehört. Im Juli vergangenen Jahres zeigten Satellitenbilder erste große Algenblüten im Fluss.

Recherchen des ZDF zu Folge leiten insgesamt 22 polnische Unternehmen ihre Abwässer in die Oder ein, darunter Tagebaue mit angrenzenden Zementwerken, Braunkohleunternehmen und Kupferminen. Das Resultat des letztjährigen Hitzesommers: Extrem hohe Salzwerte, eine sich ausbreitende Killeralge und bis zu 50 Millionen tote Fische. So wurden im Unteren Odertal massenweise tote Fische eingesammelt.

Im Quellgebiet der unteren Oder sei der Fluss zwar noch weitgehend natürlich und sauber. Am Gleiwitzer Kanal jedoch siedeln zahlreiche Industrieanlagen, klagt der Biologe Piotr Skubala von der Universität Kattowitz im Interview mit dem ZDF. Das sei eine enorme Belastung für die Oder.

Sauerstoffmangel, wenn Niedrigwasser auf Salz, Chemikalien und Algen trifft

Der Salzgehalt der Oder sei derzeit so hoch sei wie lange nicht mehr, warnt Dirk Treichel, Leiter des Nationalparks Unteres Odertal im Nordosten Brandenburgs. Der Fluss führt derzeit Niedrigwasser, die Temperatur liegt bei etwa 23 Grad. Indikator für den Gehalt von Salzen ist die elektrische Leitfähigkeit des Wassers.

Messungen in der Oder bei Hohenwutzen ergaben zuletzt einen Wert von fast 1.600 Mikrosiemens pro Zentimeter, in Frankfurt an der Oder waren es 1.900 - fast so viel wie zur Zeit der Umweltkatastrophe. So hohe Werte in Gewässern könnten nur durch industrielle Salzeinleitungen entstehen, erklären Experten des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei.

Schätzungsweise 90 Prozent der polnischen Flüsse befänden sich in schlechtem Zustand, klagt die polnische Umweltministerin Anna Moskwa. Man habe zwar Mittel für Kläranlagen bereitgestellt, doch an einigen Stellen seien die Einleitungen immer noch eine "Herausforderung". Polen müsse vor allem seine Salzeinleitungen deutlich reduzieren, erklärt Umweltministerin Steffi Lemke. Weil Meldeketten in Polen nicht funktionierten, seien die Informationen in Deutschland zu spät angekommen.

Im Ernstfall jedoch müssen sich die Behörden schneller austauschen können. Wenn sich sich die Alge explosionsartig vermehre, sei es schon zu spät. Doch bisher ist auf polnischer Seite ist wenig passiert. Wenn in diesem Jahr wieder niedrige Wasserstände, hohe Temperaturen und hoher Salzgehalt und Algen zusammentreffen, könnte sich die Katastrophe vom letzten Jahr wiederholen.

Sauerstoffmangel könnte auch für das Fischsterben im Große Teich im sächsischen Torgau verantwortlich gewesen sein. Hier verendeten im August tausende Fische - insgesamt rund 20 Tonnen. Ein Sterben dieser Art habe es vorher noch nie gegeben, erklärt Thomas Plate, Betriebsleiter der Teichwirtschaft Wermsdorf-Torgau.

Er macht eine massive Zunahme von Blau- und Sichelalgen und zu warmes Teichwasser dafür verantwortlich. Im Zuge des Klimawandels habe diese Art von Algen deutlich zugenommen. Algen sind ein wichtiger Sauerstoffproduzent im Gewässer. Doch vermehren sie sich zu stark und sterben innerhalb kurzer Zeit ab, kommt es zu einem Sauerstoffmangel. Bisher fanden die Fische in ähnlichen Situationen immer einen Platz im Teich.

Wenn Überschwemmungen und Hitzeperioden direkt aufeinander folgen, kann dies ebenfalls ein Fischsterben auslösen - so wie im Darling River im australischen Bundesstaat New South Wales. Hier trieben im März Millionen tote Fische. Hitzebedingt führte der Fluss zu wenig Wasser im Fluss, der Sauerstoff wurde knapp. Es war nach 2018 und 2019 das dritte massenhafte Fischsterben in der Region.