Neues zur Quecksilbervergiftung

Im Fischfleisch existieren mehr organische Quecksilberverbindungen als bisher vermutet. Ob das Risiko für den Menschen größer oder überraschenderweise geringer wird, ist die spannende Frage

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War man bisher davon ausgegangen, dass organisches Quecksilber als Methyl, Äthyl- oder Phenylverbindungen wirksam ist, haben Forscher vom Stanford Synchrotron Radiation Laboratory in Menlo Park, CA, durch Röntgenabsorptionsspektrometrie wahrscheinlich machen können, dass methyliertes Quecksilber zusätzlich aliphatisch an ein Thiol gebunden ist. In ihrem Bericht in Science vermuten sie als vorherrschende Komponente Cystein. Obwohl das Messverfahren keineswegs neu ist, wurde es offenbar erstmals für diese spezielle Fragestellung eingesetzt. Auch bleibt das Ergebnis, so betonen die Autoren, ein "Fingerprint", weil ihre Aussage auf vergleichenden Absorptionsspektren und nicht der chemischen Analyse beruht.

Reizthema Quecksilber

Quecksilber ist für Umweltschützer ein Reizthema. Das liegt an der langen Tradition von Quecksilbervergiftungen. Nicht nur durch die im Altertum bekannten Amalgame. 1528 kreierte der Ulmer Arzt Johann Stocker jene Mischung, die bis auf unsere Tage von den Zahnärzten als Amalgamfüllung benutzt wird und nach früheren Schätzungen jährlich 18 Tonnen und mehr Quecksilber "in die Mäuler" bringt. Zur selben Zeit mischte Paracelsus (1493-1541) Quecksilber in Salben, um damit die Syphilis zu therapieren. Weil bei gefährlichen Erkrankungen gewöhnlich die Meinung vorherrscht, viel hilft viel, sind die obligaten Nervenschädigungen, die wie bei Friedrich Nietzsche der späten Syphilis zugerechnet werden, in Wahrheit möglicherweise chronische Quecksilbervergiftungen oder die Kombination davon. Auch wenn heute viele Schutzbestimmungen bestehen und manches, wie quecksilberhaltige Pflanzenschutzmittel und Holzschutzfarben in Deutschland verboten sind, produziert die Industrie noch reichlich quecksilberhaltigen Abfall. Der wäre, wenn nicht dampfförmig, nicht so toxisch, weil die Aufnahme in den menschlichen Körper unter 10 Prozent bleibt.

Anders die organischen Quecksilberverbindungen. Diese entstehen natürlicherweise durch Bakterien und reichern sich damit im Grundwasser an, oder im Fluss und später im Meer. Ein Beispiel ist die Minamata-Vergiftung von 1956. In der gleichnamigen japanischen Bucht kam es durch die jahrelange industrielle Verseuchung mit dem Methylquecksilberchlorid einer kunststoffproduzierenden Firma über den Fischverzehr zu chronischen Schäden und erschreckend vielen Todesfällen bei den Anwohnern.

Das Beispiel aus den USA zeigt wie unterschiedlich die akzeptale Quecksilberbelastung für den Menschen bewertet wird (FDA: Food and Drug Adminstration, EPA: Environmental Protection Agency) (Bild: National Institute of Environmental Health Sciences)

Organisches Quecksilber, das ins Meer abfließt, wird von den Fischen, wenn auch unterschiedlich, inkorporiert. Besonders quecksilberreich ist der Thunfisch mit 1000 mcg/kg, gefolgt vom Heilbutt (880 mcg/kg). Der Hai hingegen enthält gerade 40 Prozent der Quecksilbermengen des Thunfisches und weniger als Schleie und Hecht (500 mcg/kg). Die Wissenschaftler aus Kalifornien untersuchen Schwertfisch (Xiphias gladius), den atlantischen Sägebauch, (Hoplostethus atlanticus) und die Sandsole (Psettichthys melanostictus). Davon weist der Schwertfisch die höchste Quecksilberkonzentration auf, mit Werten, die geringer sind als beim Heilbutt und etwas höher als für Schleie.

Was muss sich ändern?

Für den Menschen fanden die Mediziner heraus, dass 90 Prozent der bisher bekannten organischen Quecksilberverbindungen vom Magen-Darm-Trakt resorbiert und vor allem bei Kindern, Jugendlichen und Schwangeren begierig ins Fettgewebe und ins Gehirn aufgenommen und dort jahrzehntelang gespeichert werden. Ferner besteht bei akuten Vergiftungen die Chance, das Quecksilber wieder auszuschwemmen. Dazu dienen schwefelhaltige Komplexbildner wie Dimercapto-propanol, -bernsteinsäure und -propansulfon. Und schließlich ist bekannt, dass Leberzytochrome, die den Abbau von Fremdstoffen bewerkstelligen, Cystein und Methionin an die Fremd- oder deren Abbaustoffe koppeln und damit sicherstellen, dass sie aus dem Körper eliminiert werden. Aus dieser Sicht ist der vermutete Nachweis von Methylquecksilber-Cystein im Fischmuskel ein höchst bemerkenswerter Fund.

Das Ergebnis wirft zum einen die Frage auf, ob die Cysteinmetaboliten bei den bisherigen chemischen Quecksilberbestimmungen erfasst wurden, oder aus vielerlei methodischen Gründen untergingen. Ferner gilt herauszufinden, ob die Cystein-Verbindungen des Quecksilbers analog zur biologischen Verarbeitung von Fremdstoffen beim Menschen erfolgt. Was wiederum bedeuten könnte, dass Methylquecksilbercystein eine weniger toxische Komponente ist. Ein Fingerzeig in diese Richtung ist die von den Autoren mit Verwunderung zitierte Beobachtung: 1-Tag alte Zebrafish-Larven, die vergleichend mit Methylquecksilber und Methylquecksilbercystein zusammengebracht werden, tolerieren bis zu 20fach höhere Konzentrationen vom Cysteinmetaboliten.

Geht man einen Schritt weiter, können die aufwendigen Untersuchungen des Centers for Disease Control (CDC) in Atlanta nicht mehr befriedigen. Noch im Januar gaben sie in ihrem "National Report on Human Exposure to Environmental Chemicals" eine Art Quecksilber-Entwarnung, weil repräsentative Stichproben aus Blut und Urin bei 1-49 Jährigen unter den Grenzwerten lagen. Eingedenk der Erfahrung, wonach Cystein-gekoppelte Stoffe und Arzneimittel üblicherweise zu 90 Prozent über die Galle und dann über den Stuhl ausgeschieden werden, könnten Blut- und Urinwerte nur die halbe Wahrheit sein. Ferner ist nicht auszuschließen, daß sich während der Passage die Darmbakterien mit einem ganzen Strauß von Reaktionen gütlich tun, und schlimmstenfalls dazu beitragen, dass Quecksilber nicht wirklich ausgeschieden, sondern wieder resorbiert wird.

Viele Gründe also, dem Quecksilber erneut Aufmerksamkeit zu schenken und das Verständnis über die Vergiftung neu zu überdenken.