Neun von zehn US-Amerikanern zweifeln an der Evolutionstheorie
Die Spannungen beim Thema Evolution in der amerikanischen Schulausbildung hinterlassen Wissenslücken
Im US-Bundesstaat Missouri wird ein Gesetzesentwurf zur Vorlage gebracht, wonach Schulleiter die Eltern informieren müssen, wenn Inhalte der Evolutionstheorie im Unterricht gelehrt werden. Zudem sieht das Gesetz vor, dass Eltern ihre Kinder von diesem Unterricht ausschließen können, wenn sie dies wollen. Die Lehre von Darwins Evolutionstheorie sei eine "absolute Verletzung des Glaubens", argumentiert der republikanische Abgeordnete Rick Brattin, der die Gesetzesvorlage unterstützt.
Eine ähnliche Meldung war Ende Januar zu lesen. Darin hieß es, dass sich Lehrer im US-Staat Virginia gegen einen Gesetzesentwurf aussprachen, der, wie die Washington Post berichtete, die Klassenzimmer für Unterrichtsthemen öffnet, welche die Evolutionstheorie in Frage stellt.
Die Lehrer wehrten sich dagegen, dass wissenschaftliche Beweise mit Glauben und Meinungen auf derselben Ebene abgehandelt würden. In Texas, schreibt eine Kolumnistin von Forbes, versucht eine starke Lobbygruppe seit mehreren Jahren, kreationistischen Inhalten in Schulbüchern und im Unterricht eine größere Präsenz zu verschaffen.
Meine Befürchtung ist, dass es (durch den Gesetzesentwurf in Missouri, Einf. d. A.) möglich ist, jede Erwähnung eines Fossils, jedes Unterrichtsgespräch üb er die Entwicklung von Organen und lebendigen Strukturen, jede einzelne Erwähnung über genetische Ähnlichkeiten, die wir mit anderen Organismen teilen, auf systematische Weise aus dem Lehrstoff zu entfernen. Daraus würden große Lücken in der Ausbildung enstehen, die Schüler nicht nur im Vergleich zu anderen, sondern auch zum Rest der Welt in weiten Rückstand bringen würden, den sie nicht so leicht wieder aufholen können.
Kommentar eines Studenten der University of Alabama
Wie sehr es darauf ankommt, welcher Status der Evolutionstheorie in der Schule gegeben wird - dass also die wissenschaftlichen Erkenntnisse klar gegen Glaubensinhalte abgegrenzt werden, zeigt sich aktuell an Untersuchungen aus den USA, die entsprechende Wissenslücken zutage fördern.
Jeder vierte weiß nicht, dass sich die Erde um die Sonne dreht
Das erste Umfrageergebnis, herausgenommen aus dem Bericht "Science and Engineering Indicators" der amerikanischen Vereinigung zum Fortschritt der Wissenschaften (American Association for the Advancement of Science, AAAS), sorgte am Wochenende für Belustigung im weltweiten Klassenzimmer, da daraus hervorging, dass jeder vierte Amerikaner nicht wusste, was Kopernikus vor beinahe 500 Jahren entdeckte: Dass sich die Erde um die Sonne dreht und nicht umgekehrt (vgl. One in four Americans 'do not know the Earth circles the Sun).
In der gleichen Studie wurde auch die Frage danach gestellt, ob "Menschen, wie wir sie kennen, von früheren Spezies von Lebewesen abstammen". 48 Prozent gaben an, dass dies stimmt. Bemerkenswert im Zusammenhang mit dem oben Erwähnten ist, dass der Prozentsatz auf 72 stieg, wenn die Aussage mit den Worten "gemäß der Evolutionstheorie" eingeleitet wurde. Ein ähnliches Phänomen zeigte sich übrigens bei der Frage nach dem Urknall. Für 39 Prozent der befragten Amerikaner ist dies der Anfang des Universums. Daraus werden 60 Prozent, wenn dem hinzugesetzt wird "according to astronomers."
Das Ergebnis wurde im Rahmen des gerade stattfindenden jährlichen Treffens der Wissenschaftsvereinigung vorgestellt. Dort wurde dann auch eine andere Studie mit interessanten Einblicken zum Stand der Kontroverse zwischen Wissenschaft und Religion vorgestellt. Besonders beim Thema Evolution gebe es echte Spannungen, stellte die Studienautorin Elaine Howard Ecklund von der Rice Universität fest.
Evangelikale konsultieren religiöse Bucher in Wissenschaftsfragen
Das Ergebnis, das über Nachrichtenagenturen die Runde machte: Neun von zehn Amerikanern haben Zweifel an der Evolutionstheorie. "Nur rund 9,5 Prozent seien davon überzeugt, dass Gott oder eine andere höhere Macht absolut keinen Einfluss auf die Entstehung des Universums und des menschlichen Lebens hatten."
Während in Europa die in den USA anscheinend weit verbreiteten Zweifel an der Evolutionstheorie den Kern der Meldungen bildeten, stellten amerikanische Publikationen anderes in den Mittelpunkt.
Beispielsweise der Bericht der Rice University, wo die Studie durchgeführt wurde, nämlich, dass Religiöse sehr viel stärker als die Mehrheit der Amerikaner davon überzeugt sind, dass Wissenschaft und Religion zusammenarbeiten können.
Wir fanden heraus, dass 50 Prozent der Evangelikalen der Auffassung sind, dass Wissenschaft und Religion zusammenarbeiten und sich gegenseitig unterstützen können. Das steht im Gegensatz dazu, dass nur 38 Prozent der befragten Amerikaner (Stichprobe: 10.000; Einf. d. A.) das Gefühl haben, dass Wissenschaft und Religion zusammenarbeiten können.
Elaine Howard Ecklund
Die Soziologin geht in der Interpretation der Studienergebnisse1 soweit, dass sie Medienberichte über Kontroversen zwischen den beiden Gruppen, Wissenschaftlern und Religiösen, für Überzeichnungen hält, die einem Steoreotyp geschuldet sind, der sich in Medien besser verlauft - "not very good information", da sich die beiden Gruppen in der wirklichen Welt häufig besser verstehen, als dies aus solchen Berichten hervorgehe.
Allerdings stellt auch sie fest, dass ein bestimmter Anteil in beiden Lager sehr wohl in Gegenpositionen verankert ist, was sich bei den Evangelikalen zum Beispiel daran zeige, dass sie mit doppelt so hoher Wahrscheinlichkeit als die Allgemeinbevölkerung "einen religiösen Text oder einen religiösen Führer aufsuche, um eine wissenschaftliche Frage zu klären".