Nicht Cyborg, sondern Affe
Friedrich Kittler, Professor für Ästhetik und Geschichte der Medien an der Humboldt-Universität Berlin über die Rechtschreibung
Sie scheint sonderbar unzeitgemäß, diese Rechtschreibreform am Ende der Gutenberg-Galaxis? Wozu denn noch? Das Leitmedium Buch ist durch den Computer abgelöst. Vielleicht gehen wir gar auf den Tag zu, da Computer eine durchgängig computerisierte Umwelt steuern. Aber so sehr wir uns danach sehnen, wir werden diesen Tag nicht als Cyborg erleben. Einfach, weil sich Silizium und Kohlenstoff nicht miteinander vertragen.
Der Mensch bleibt ein Affe, in den der Virus namens Sprache eingedrungen ist. Und deshalb will er sich von „bundesdeutsch verfetteten Gesäßen in den Ministerien“ nicht diktieren lassen, wie er zu schreiben hat, sagt Friedrich Kittler, Professor für Ästhetik und Geschichte der Medien an der Humboldt-Universität Berlin.
Warum denn noch eine Rechtschreibreform, wenn die Schrift nunmehr nur noch eine Unterkategorie des alphanumerischen Codes ist?
Friedrich Kittler: Das stammt von Vilem Flusser, glaube ich.
Sollte man also nicht besser über die Funktionslosigkeit der Sprache sprechen?
Friedrich Kittler: Hat jemals jemand je gesagt, die Sprache wäre nicht das Haus des Seins?
Klar, Drucke, Schriften und auch Alphabete sind alle irgendwelche Galaxien, Medien, lang vor Gutenberg und lange nach ihm. Aber nur soweit sie diesem Haus des Seins, des Gliederns, Scheidens, Fügens irgendwie entsprechen, find ich, sollten bundesdeutsch verfettete Gesäße in den Ministerien weniger an ihnen rühren dürfen als wir alle. Wir werden im Moment von Leuten aus dem zweiten Bildungsweg regiert und die möchten unsere Bildung aus dem ersten Bildungsweg abschaffen.
Vielleicht gibt es diese Reform, nicht weil sie nötig ist, sondern weil sie möglich ist.
Wollte man Programmiersprachen einer vergleichbaren Reform unterziehen, es wäre unmöglich.
Friedrich Kittler: Wenn ich manchen meiner Bücher „daß“ erlaube, in anderen nur „dass“, spür ich schon den Unterschied. In Pascal, C, Intel-Assembler wögen solche Unterschiede noch viel schwerer. Statt eines Kommas einfach ein Semikolon gesetzt zu haben, kann mörderisch sein. Es gibt Semikola, die das Programm in Endlosschleifen stürzen. Irgendwie muss man dann mit < kill > dazwischengehen. Diese Schreibsysteme, die Sie mit Recht alphanumerisch nennen, sind eineindeutig und jedes Element ist wichtig, unersetzlich und unänderbar. Jedes Element, jedes kleinste Element trägt eine mathematische oder logische Bedeutung. Das ist eine neue, ganz strenge Orthografie. Insofern kann man kein Jota oder kein Tüpfelchen dran ändern, wie es Jesus von Nazareth in Bezug auf das hebräische Alphabet gesagt hat. Und umgekehrt hat die deutsche Rechtschreibung eine sehr, sehr lange Geschichte. Man könnte sie im Ganzen erzählen, was sehr lustig wäre.
Eine entscheidende, für uns historisch wichtige Etappe ist die gewesen, als die Hierarchien des späten Mittelalters in die Schrift hineingegossen wurden. Im Unterschied zum Beispiel zum Französischen schreiben wir ja sämtliche Hauptworte, diese Nominalsubstantive, groß, um die Fürsten, die Bischöfe und die Heiligen zu ehren. Das waren die ersten. Im frühen Barock, also um Sechszehnhundert, war es schon so dramatisch, dass die sozialen oder die kulturellen Hierarchien in der deutschen Großschreibung abgebildet waren. Für Gott den Herrn, der noch höher war als alle anderen Wesen, mussten eben die beiden ersten Buchstaben groß geschrieben werden. Also HErr mit groß H und groß E und klein rr, um die besondere Signifikanz zu zeigen.
Es ist ja bekannt, dass die Reformer die Abschaffung der Großschreibung zu ihrer allerdringlichsten Aufgabe gemacht haben. Das haben sie nicht durchgekriegt. Den politisch sozialen Grundgedanken der Rechtschreibreform sieht man in diesem Teil, der nicht durchgesetzt wurde, am deutlichsten. Es ging um die Abschaffung des Hierarchischen am Deutschen und das kann man ja schon deshalb nicht abschaffen, weil die Ministerpräsidenten der Bundesländer de facto die direkten Rechtsnachfolger der Fürsten sind und diese verhalten sich in der Förderalismusdiskussion ganz so, als ob sie immer noch der Herzog von Sachsen oder von Baden oder von Bayern wären.
„Unsere westliche Werteskala, die auf dem geschriebenen Wort aufbaut, ist durch Telefon, Radio, Fernsehen ins Wanken geraten. Vielleicht ist das der Grund, warum so viele sehr gebildete Leute in unserer Zeit es schwierig finden, diese Frage zu beantworten, ohne dabei moralisch in Panik zu geraten.“
Dieses Argument von Marshall McLuhan findet sich bei den Reformbefürwortern in gewisser Weise wieder. Streitpunkt seien nicht die einzelnen orthografischen Änderungen. Es geht um die Krise der Schrift selbst, so das Argument. Es gehe um Macht. Die Intellektuellen sehen ihre Seins- und Schaffensgrundlage in Gefahr. Deshalb schimpfen sie so auf die Rechtschreibreform.
Friedrich Kittler: Niemand würde an dieser Stelle McLuhan mehr zustimmen und mit vielleicht besseren Gründen von McLuhan als den von Ihnen vorgelesen Sätzen. Es wäre schön, wenn wir alle unsterblich wären und Platon reden hören könnten. Er würde uns seine Meinung selber sagen. Aber nein, er ist tot und so muss er schreiben. Aus dem einfachen Grund, weil Überlieferung ohne Symbole nicht funktioniert. Und deshalb ist die Krise nicht so riesig wie sie McLuhan beschreibt.
Aber es gibt eine ernsthafte Krise der Schrift.
Friedrich Kittler: Ich sehe es nicht so recht. Wir können rüber gehen und ich zeige Ihnen endlos viel Code, den ich in meinem Leben geschrieben habe und der macht schöne Bildchen und Töne. Ich generiere mit Schrift das Gegenteil.
Bilder und Töne.
Friedrich Kittler: Das ist der Punkt, den McLuhan noch nicht begriffen hat, weil er an der Schwelle des Computerzeitalters seinen Blackout gehabt hat, glaube ich. Ich schreibe einfach Buchstaben und Zahlen und am Ende sehe ich ein Stück Natur als simuliertes Bild. Aber das ist nicht die normale Schrift. Das ist nicht die Schrift von Herrn Schröder und nicht die Schrift unserer Kultusminister und nicht die Schrift unserer Dichter.
Wer beherrscht schon Programmiersprachen oder hat auch nur Zugang zu Programmen. Es führt dazu, dass die Welt als Computersimulation erlebt wird.
Friedrich Kittler: Das ist von Baudrillard.
Und Sie greifen es auf.
Friedrich Kittler: Es kann niederschmetternd sein, dass man nicht mehr weiß, was simuliert ist und was nicht. Einige Bilder sind einfach gefilmt, andere berechnet. Der normale Zuschauer soll keinen Unterschied sehen und sieht ihn wohl auch nicht. Filme wie Matrix ziehen ihre ganze Faszination daraus und aus dem Drohgehabe, das solchen Filmen immer innewohnt.
Sie haben sich in einem Interview mit Alexander Kluge darüber unterhalten, wie sich Computer einordnen lassen. Tote Arbeit im marxschen Sinne, „dass, wenn sie in eine Maschine hineinschneiden, das Blut der Arbeiter, die sie gebaut haben, herausfließt“, scheinen diese Computer jedenfalls nicht nur zu sein, meinte Kluge.
Friedrich Kittler: Blut?
Ja, weil Computer heute von Computern gebaut werden, nicht von Menschen und Computer zuallererst mit Computern verschaltet sind und nicht mit Menschen. Besonders traurig scheinen Sie darüber nicht zu sein. Sie mögen den Cyborg-Gedanken nicht besonders.
Friedrich Kittler: Da haben Sie völlig recht. Ich sehe nicht, warum zwischen menschlichem Fleisch, zwischen Kohlenstoffverbindungen und diesem Silizium und Siliziumdioxid-Geschichten ständig Brücken gebaut werden sollen, damit auch noch diese Grenze verschwindet. Das ist ja der Traum vom Cyborg.
Der Mainstream der Hardwareentwicklung, der Siliziumchipentwicklung hat sich in keinster Weise cyborgmäßig in den letzten 50 Jahren bewegt, sondern kitzelt immer dringlicher die Grundstruktureigentümlichkeiten von Silizium heraus. Es gibt Überlegungen, zu Kohlenstoff überzugehen und nicht mehr auf der Ebene von vielen Molekülen, sondern von Einzelmolekülen die Welt sich rechnen zu lassen.
Aber Quantencomputer sind theoretisch viel, viel interessanter. Die organischen Computer würden die Dinge nur linear verbessern. Woran wir heute einen Tag rechnen, daran würden Kohlenstoffcomputer eben einen halben Tag rechnen. Die Quantencomputer würden statt an einem Tag in drei Sekunden fertig sein. Das ist theoretisch absolut sicher.
Sie haben einmal gesagt, wir steuern auf den Tag zu, da Computer eine durchgängig computerisierte Umwelt steuern.
Friedrich Kittler: Das ist etwas tendenziell gesagt, damit die Leute etwas erschrecken. Als Fluchtlinie habe ich das gesagt.
Mich würde interessieren, was ist der Mensch in dieser Welt, wenn er kein Cyborg ist?
Friedrich Kittler: Am liebsten würde ich ja mit William Burroughs antworten: Er ist ein Affe, wie alle anderen Affen, aber von einem fremden Planeten ist der Virus namens Sprache in den Menschen eingedrungen.