Nicht einmal über Google zu finden
Aspekte des Lebens im Google-Zeitalter
Die wachsende Macht, die Internet-Suchmaschinen auf die Meinungsbildung ausüben, ist kaum untersucht und wird von Medienforschern als problematisch eingestuft. Auch über die Auswirkungen ist nicht viel bekannt. Selbst bei Google und Co, die normaler Weise „alles“ wissen, sucht man vergeblich nach Antworten. Fest steht, dass Google den Umgang und die Beschaffung von Informationen verändert hat, somit auch die Wahrnehmung der Welt. Und immer häufiger nimmt die Welt uns ebenfalls anders wahr.
Google ist eine Erfolgsstory, die den Mythos des amerikanischen Traums nährt wie kein anderes Unternehmen, das in den letzten zehn Jahren gegründet worden ist. 1998 von Larry Page und Sergey Brin offiziell als Firma angemeldet und on air gegangen, hat man binnen kürzester Zeit die Welt erobert. Ohne große Werbekampagnen, mehr oder weniger basierend auf Mund-zu-Mund-Propaganda. Heute verzeichnet Google weltweit 280 Millionen Suchanfragen täglich, verdient pro Anfrage angeblich 12 US-Cent und spielt daher in der Top-Liga mit Microsoft.
Das Superhirn
Wir haben uns daran gewöhnt, dass das Superhirn Google in Bruchteilen einer Sekunde zu jedem Suchbegriff eine Liste an Internetseiten ausspuckt, selbst wenn der Begriff keinen Sinn ergibt oder die Erklärungen auf den ersten Blick nicht zum Suchbegriff passen. Die Seiten, die am häufigsten abgefragt und verlinkt sind, kommen zuerst. Was wir wirklich suchen, erscheint oft viel zu weit hinten im Ranking, gar nicht oder wird vergessen, weil wir woanders hängen bleiben.
Unvergessen bleibt allerdings die so genannte Google-Bombe aus dem Jahr 2003. Als Toptreffer für die Suchbegriffe „miserable failure“ erschien die offizielle George-Bush-Biographie des Weißen Hauses auf Platz 1. Eine Meldung, die um die Welt ging und Bush-Befürworter bald zum Gegenschlag ausholen ließ. Auch sie haben die Suchmaschine manipuliert und dieselben Begriffe mit Michael Moores Website verknüpft. Eine Zeitlang war es richtig amüsant zu beobachten, welcher der beiden Herren gerade das Ranking anführte. Ja, und irgendwann begannen Meldungen und Berichte über die Google-Bombe das Ranking anzuführen. Google ist nicht zu toppen, bis heute.
Weniger amüsant ist es jedoch, wenn Boshaftigkeiten dieser Art im Kleinen und ohne Manipulation der Suchmaschinen stattfinden. Jeder Internetnutzer hat schon einmal seinen Namen bei Google eingegeben und die gefundenen Einträge studiert. Auch Anna Muhr (Name geändert) macht das regelmäßig. Da sie als Dramaturgin arbeitet und immer wieder an öffentlichen Diskussionen teilnimmt, findet Google eine ganze Reihe an Internetseiten, die ihren Namen anzeigen. Blöd nur, dass das Ranking von einem fiesen Kommentar über sie angeführt wird, der bereits auf der Google-Seite zu lesen ist. Gepostet von einem anonymen Leser der österreichischen Tageszeitung „Der Standard“.
Anna Muhr hat sich über diese Entdeckung geärgert. Nicht, weil sie Angst hat, falsch wahrgenommen zu werden, von Auftraggebern, von Bekannten oder all jenen, denen sie noch begegnen wird. Sie hat sich geärgert, weil sie beschrieben ist, unangenehm, und sie diese eigenartige Form von Öffentlichkeit als Privatmensch bedroht.
Mit der Google-Brille betrachtet
Viele verheimlichen oder bestreiten es und für ebenso viele ist es selbstverständlich, den Namen eines Arbeitskollegen oder anderen Bekannten in das Suchfeld von Google zu klopfen und zu recherchieren, wie viele Einträge es über ihn gibt. Die Eindrücke, die uns Google da vermittelt, mögen alles Mögliche sein, doch ganz sicher schildern sie nur eine virtuelle Wirklichkeit.
Fakt ist trotzdem, dass nach Abschicken der Suchanfrage zwei Szenarien eintreten. Szenario 1: Google listet viel oder wenig Wortmaterial auf, was mit mehr oder weniger Häme betrachtet wird. Mit etwas Glück finden sich auch noch ein paar Bilder. Szenario 2: Google findet nichts, weil ein Mensch im Google-Universum nicht existiert.
Die Kunstkuratorin Helene Lindtner (Name geändert) organisiert regelmäßig kleinere und größere Ausstellungen. Manche Projekte werden öffentlich ausgeschrieben, bei anderen lädt sie persönlich ein – Künstler, die sie kennt oder die ihr empfohlen werden. Google ist ihr längst zu einem wichtigen Arbeitsbehelf geworden. Wo jemand ausgestellt hat, die Website eines Künstlers und Presseberichte interessieren sie und dienen einer ersten Meinungsbildung. Derzeit arbeitet sie an einer Ausstellung für einen kleinen Wiener Wirtschaftsverein. Sie bemüht sich, den Wünschen und Interessen des Vereins bestmöglich entgegen zu kommen, hat aber schon bei Auftragsübernahme klar gestellt, dass Gefälligkeit Grenzen hat und Ansprüche gewahrt bleiben müssen. Nicht gerecht wurde diesen Kriterien eine Malerin, die ihr vom Obmann des Vereins besonders ans Herz gelegt worden ist. Denn: „Sie ist nicht mal über Google zu finden.“
Ein ganz anderer und für den Künstler letztlich erfreulicher Fall ist der von Alexander Martin (Name geändert), einem Theaterstückeschreiber und Schauspieler, der das Internet kaum benutzt. Als er von der Wundersuchmaschine Google hörte, gab er gemeinsam mit einem Freund seinen Namen ein und staunte, wie viel Informationen Google über ihn gespeichert hatte. Noch mehr staunte er allerdings, als er von der Premiere eines seiner Stücke las. Die Premiere hat vor einem halben Jahr in einem kleinen Landestheater im Osten Deutschlands stattgefunden. Der Verlag hat ihn weder informiert, noch Tantiemen überwiesen. Man hat wohl darauf vertraut, dass der Autor auch weiter einen Bogen um das Internet zieht und sich in Tirol schwer eruieren lässt, was irgendwo in Deutschland passiert.
Doch nicht nur im Berufsalltag sorgt Google regelmäßig für Überraschungen. Petra Kogler benutzt die Suchmaschine seit zwei Jahren als Kochbuch, weshalb ihr Notebook oft am Küchentisch steht. Manchmal sucht sie gezielt nach Rezepten. Manchmal gibt sie Zutaten als Suchbegriff ein und wartet auf Vorschläge, die sie dann auch fast immer ausprobiert. Und ihr Mann kocht mit. Er war ein Google-Fan der ersten Stunde. Google sei Dank hat er zwei aus den Augen verlorene Freunde wieder gefunden, mit denen er jetzt wieder regelmäßig Kontakt hat. Manchmal ärgert es ihn fast, dass er sein Erlebnis nicht rechtzeitig verwertet hat. Er hätte der Erfinder der Freunde-Suchmaschine sein können, die seiner Meinung nach auf Erlebnisse wie das seine und Google zurückzuführen ist.
Das Spiel der Supermächte
Google hat die Welt komplexer, Informationen demokratischer und deren Auswertung komplizierter gemacht. Parallelwelten sind entstanden, die manches erleichtert, manches erschwert und einiges problematischer gemacht haben. So oder so ist Google aus dem Alltag jedoch nicht mehr wegzudenken, wie sich auch in der Sprache widerspiegelt.
Es gibt eine ganze Reihe von Begriffen, für die Google Pate stand: Google Spamming zum Beispiel. So werden Manipulationen genannt, die Websites auf die ersten Rankingplätze hieven. Oder Google-Bowling. Das sind Manipulationen, die Websites aus den Rankings rauskegeln. Allen voran aber steht das Googeln selbst. Im Sommer 2004 wurde „googeln“ in die 23. Auflage des Dudens aufgenommen, im Sommer letzten Jahres war es dann in England so weit. „To google“ hat Eingang ins Oxford Dictionary gefunden. Google will nun rechtlich klar stellen, dass diese Begriffe nur in Verbindung mit der Suchmaschine korrekt sind. Im Übrigen auch seit letztem Sommer.
Französische Unterstützung wäre Google gewiss, kämpft man dort doch seit jeher gegen englischsprachige Verunglimpfungen. Und wie könnte es anders sein? – Natürlich auch gegen Google! Der Leiter der französischen Nationalbibliothek in Paris träumt schon länger von einem europäischen Pendant – diese staatlich kontrollierte Suchmaschine soll Quaero heißen, was „ich suche“ bedeutet. Das Projekt hätte mit deutscher Teilhaberschaft realisiert werden sollen. 2005 haben Jaques Chirac und Gerhard Schröder die gemeinsamen Pläne dazu bekannt gegeben. Gut eineinhalb Jahre später ist die Zusammenarbeit jedoch geplatzt. Im Dezember letzten Jahres trennten sich die Wege. Deutschland entwickelt jetzt eine eigene Suchmaschine, Theseus, Frankreich arbeitet weiter an Quaero, Yahoo und Microsoft optimieren ihre Suchmaschinen und alle hoffen, eines Tages selber Supermacht zu spielen.