"Nicht euer Ernst": Verzockt Die Linke ihre Bewährung?
Die Bundestagsfraktion könnte Ex-Parteichef Klaus Ernst zum Vorsitzenden des Ausschusses für Klima und Energie machen. Offener Protestbrief von Mitgliedern und Aktiven der Umweltbewegung
Von einer "Todesstrafe auf Bewährung" hatte der Bundesgeschäftsführer der Partei Die Linke, Jörg Schindler, gesprochen, nachdem sie bei der Bundestagswahl im September nur auf 4,9 Prozent gekommen war und durch drei Direktmandate trotzdem mit Fraktionsstatus im Parlament bleiben konnte. Von der "Wählerwanderung" hatten vor allem SPD und Grüne profitiert.
Schindler zählte daraufhin auch "die Dringlichkeit des Klimawandels" zu den zentralen gesellschaftlichen Konflikten, in denen sich seine Partei in letzter Zeit zu widersprüchlich präsentiert habe – trotz klarer Aussagen in ihrem Programm. Das geht nun aber in der verkleinerten Bundestagsfraktion munter weiter.
Doch dieses Mal steht nicht deren frühere Chefin Sahra Wagenknecht im Mittelpunkt, sondern Ex-Parteichef Klaus Ernst. Der frühere IG-Metall-Funktionär vertritt in Sachen Klimapolitik ebenfalls die Minderheitenposition innerhalb der Linkspartei, diese solle nicht versuchen, "grüner als die Grünen" zu sein. Trotzdem ist Ernst nun als Vorsitzender des Ausschusses für Klima und Energie im Bundestag im Gespräch.
Wenn enttäuschte Mitglieder der Grünen auf die Opposition setzen
Entsetzt reagierten darauf am Freitag sowohl Mitglieder der Linkspartei, die selbst in der Umwelt- und Klimabewegung aktiv sind, als auch Mitglieder der Grünen, die sich als Teil der Bewegung stark von ihrer Partei entfremdet und auf Die Linke als Korrektiv im Parlament gehofft hatten.
Denn "grüner als die Grünen" zu sein ist aus ihrer Sicht eine Notwendigkeit: "Jede Partei muss pariskonforme Klimapolitik machen", schreiben sie in einem offenen Brief mit der Überschrift "Nicht euer Ernst". Das Wortspiel, das sie als Überschrift gewählt haben, trendet auch als Hashtag bei Twitter, wo bereits ein erbitterter Streit tobt. In dem Schreiben heißt es weiter:
Klaus Ernst fordert in der Klimapolitik nicht auf Verbote, sondern auf ‚Anreize‘ und ‚Technologieoffenheit‘ zu setzen. Damit bedient er eher die Narrative von FDP und DAX-Chefs als die derjenigen, die für 1,5-Grad-konforme Klimapolitik kämpfen.
Aus: Nicht euer Ernst – Offener Brief an die Linksfraktion im Bundestag
Die Linke müsse "Klima und Soziales ohne Ausspielerei verbinden" und jemanden für den Ausschuss aufstellen, der oder die "Klimabewegung und Gewerkschaften schätzt, mit ihnen aktiv kooperiert und sie nicht gegeneinander ausspielt", so die Forderung.
Unterzeichnet haben sowohl der frühere klima- und energiepolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, Lorenz Gösta Beutin, als auch aktuelle Mandatsträger der Linken, wie etwa Ferat Kocak, der am 26. September ins Berliner Abgeordnetenhaus gewählt wurde, als auch bekannte Aktivistinnen von Fridays for Future wie Luisa Neubauer und Carla Reemtsma. Auch Aktive aus Gewerkschaftsgliederungen sind dabei.
Dass zum Beispiel Neubauer noch den Grünen angehört, sehen Kritiker der Aktion als Affront und als Einmischung in Parteiangelegenheiten der Linken: Die Grünen hätten doch nicht zu bestimmen, wen Die Linke in Ausschüsse schickt, heißt es. Allerdings dürfte es Neubauer und Co. gerade darum gehen, dass die Oppositionspartei den Spitzenpolitikern der Grünen und ihren Koalitionspartnern von SPD und FDP im Bundestag Dampf macht.
Der Ausschuss für Klima und Energie ist der einzige, den Die Linke überhaupt leiten darf – und theoretisch war es ein Glücksfall, dass er für sie "übrig blieb", nachdem die stärkeren Fraktionen schon zugegriffen hatten. Denn die Frage, ob und wie Deutschland einen fairen Beitrag zur Einhaltung der Pariser Klimaschutzziele leisten kann, wird in den nächsten Jahren eher noch an Bedeutung gewinnen – und das Programm der Partei Die Linke hatte diesbezüglich bei der Klimaschutzbewegung gut abgeschnitten.
Allerdings dürfte Die Linke mit einem Ausschussvorsitzenden, der bei diesem Themenkomplex gar nicht ihr Parteiprogramm vertritt, wenig Punkte sammeln können. In der kommenden Woche soll die Entscheidung in der Fraktion fallen. Lorenz Gösta Beutin, der dem Bundestag nicht mehr angehört, erklärte dazu gegenüber Telepolis:
Mit dem Aktionsplan Klimagerechtigkeit hat die Linksfraktion ein ambitioniertes Konzept für den sozial-ökologischen Umbau vorgelegt. In den nächsten vier Jahren wird der Fraktion eine besondere Verantwortung zukommen, mit linker Klimapolitik ein Gegengewicht zum ideenlosen "Weiter so" der Ampel zu bilden. Dafür müssen die klimapolitisch relevanten Positionen mit Personen besetzt werden, die für die Politik der Klimagerechtigkeit eintreten, wie sie im Wahlprogramm formuliert ist. Statt auf Anreize und Markt setzt linke Klimapolitik auf klare, gerechte Regeln, aus denen sich niemand rauskaufen kann.
Lorenz Gösta Beutin, ehem. klimapolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag
Geopolitische Erwägungen und ein Altkanzler als Lobbyist
Der innerparteiliche Streit um die Energiepolitik hat allerdings auch eine geopolitische Komponente: Teile der Linken werfen den Spitzen-Grünen – nicht völlig grundlos – vor, die Gaspipeline Nord Stream 2 nicht in erster Linie aus Klimaschutzgründen abzulehnen, sondern im Rahmen ihrer Konfrontationspolitik gegen Russland.
Klaus Ernst wiederum macht sich für Nord Stream 2 stark – und das auch mal gemeinsam mit seinem früheren SPD-Parteifreund Gerhard Schröder, der einst als Bundeskanzler für den Kosovo-Krieg und das Verarmungsprogramm der "Arbeitsmarkt- und Sozialreformen" der Agenda 2010 stand und später Lobbyist der russischen Öl- und Gasindustrie wurde.
Ernst habe in der letzten Wahlperiode als Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschaft und Energie "eine Politik der fossilen Konzerne vertreten" und mit "dem Gaslobbyisten und Agenda 2010-Kanzler Gerhard Schröder für Nord Stream 2 und Gas als Energiequelle geworben", wird nun im Schreiben an die Linksfraktion kritisiert.
Die Stimmenverluste der Linken bei der Bundestagswahl führt Ernst wie Sahra Wagenknecht vor allem mit der Enttäuschung der "kleinen Leute" zurück, die sich von dieser Partei vor lauter Klima und Antirassismus zu wenig wahrgenommen fühlten.
Diese Erklärung hat nur einen Haken: Warum hätten die derart Enttäuschten ausgerechnet in Scharen zur SPD und den Grünen abwandern sollen? Schließlich war die SPD zuletzt acht Jahre lang Teil der Großen Koalition – und bei den Grünen ist noch am ehesten der von Wagenknecht kritisierte Typus des "Lifestyle Linken" zu finden.
Vieles spricht eher dafür, dass sich Menschen, die wegen des Klimawandels ernsthaft besorgt sind, bei der Bundestagswahl zum Teil mit gemischten Gefühlen für die Grünen entschieden haben, weil sich Die Linke einfach zu zerstritten präsentiert hatte – während Menschen, die sich an erster Stelle eine sozialere Politik wünschten, aus demselben Grund mit sehr, sehr gemischten Gefühlen die SPD wählten.
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