Niederlage auch für die Brexit-Berichterstattung in Deutschland

Seite 2: Corbyns Fehler beim Brexit

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Dabei sollen die realen Fehler von Corbyn und seinen Beratern nicht unter dem Tisch fallen. Sein regressiver Antizionismus, der immer wieder berechtigen Anlass zur Kritik gab, ist da zu nennen. Wahlentscheidender aber dürften die Fehler der Labour-Regierung in der Frage des Brexit gewesen sein. Aber im Gegensatz zu dem, was die britischen Gesprächspartner in Sendern wie dem Deutschlandfunk häufig behaupteten, lag Corbyns Fehler nicht darin, dass er sich nicht vorbehaltslos zum Verbleiben in der EU bekannte, sondern im Gegenteil. Sein Fehler war, dass er einen neuen Vertrag mit einem neuen Referendum forderte.

Die Überlegungen dahinter scheinen plausibel, wenn die Welt so wäre, wie sie im Großteil der deutschen Medien dargestellt wurde. Da wurde das Bild einer britischen Bevölkerung gezeichnet, die schon längst bereut, dass sie 2016 für den Brexit gestimmt oder die Abstimmung ignoriert hat. Wir haben immer wieder Statements von jungen Leuten in Großbritannien gehört, die wütend erklärten, das Ergebnis des Brexit-Referendums raube ihnen die Zukunft in der EU. Sie würden alles tun, um das Ergebnis zu korrigieren. Wir sahen dann als der No-Deal-Brexit drohte, Großdemonstrationen und die entsprechenden Erklärungen der London-Korrespondenten, dass hier eine Bevölkerung gegen den Brexit aufstehe.

Wenn man die Statements hörte, vergaß man zeitweilig, dass der Brexit nicht mit Zwang in Großbritannien durchgesetzt wurde, sondern Ergebnis einer Volksabstimmung war. Wäre das in großen Teilen der Medien gezeichnete Szenario britische Realität, wäre die Taktik der Labourparty sinnvoll gewesen. Denn sie hat allen Brexit-Gegnern die Möglichkeit gegeben, das Ergebnis des Referendums zu korrigieren. Schließlich sah der Plan vor, auf jeden Fall eine zweite Volksabstimmung zu organisieren und das wäre die Chance für alle gewesen, die angeblich mit dem Brexit nicht leben können, bei diesem zweiten Referendum der Pro-EU-Position zum Siege zu verhelfen. Doch das Wahlergebnis zeigt, dass dieses Szenario von einer dem Brexit überdrüssigen Bevölkerung eine Chimäre war.

Niederlage der Liberaldemokraten

Nicht vom Brexit, sondern von der Brexit-Debatte wollte die Mehrheit der Bevölkerung nichts mehr hören. Daher waren ihr die von Labour in Aussicht gestellten neuen Verhandlungen mit der EU und ein zweites Referendum ein so großes Gräuel, dass sie rechts wählten. Das zeigt sich besonders in Hochburgen der alten Arbeiterbewegung, wo Labour die Sitze verlor.

Dass die Brexit-Erzählung in den Großteil der deutschen Medien eine Chimäre war, zeigt auch die reale Niederlage der Liberaldemokraten, also der Partei, die wie keine andere für eine Verbleiben in der EU stand. Wäre die Angst vor dem Brexit in Großbritannien so groß gewesen, wie es die Großbritannien-Korrespondenten der deutschen Medien und ihre Gesprächspartner immer wieder erzählt haben, hätte die Partei einen Erdrutschsieg einfahren und viele Mandate erzielen müssen. Zumal ihr Pro-EU-Politiker von den Torys und von Labour zuliefen. Doch die Partei gewann knapp 4 Prozent der Stimmen dazu, verlor aber noch Mandate.

Vor einigen Monaten wurde in Deutschland ernsthaft diskutiert, ob womöglich diese Liberaldemokraten den nächsten Premierminister stellen. Das Bild der Medien in Deutschland ist leicht zu erklären. Die Korrespondenten bewegen sich in der Regel in den proeuropäischen Zirkeln, von dort kommen dann auch die europafreundlichen Gesprächspartner, die dann auch immer betonen, wie schwer sie unter dem Brexit leiden. Bekannte Künstler und Musikbands, die nun mal berufsbedingt sehr international orientiert sind, bezeichneten den Brexit als große Schmach. Es ist natürlich völlig in Ordnung, dass diese Stimmen zu Wort kamen. Dumm nur, dass vergessen wurde, dass der Großteil der Bevölkerung dazu eine andere Meinung hat.

Einer der wenigen Journalisten, die darauf immer wieder hingewiesen hat, war der Auslandsressortleiter der taz, Dominic Johnson. Er, der sich auch in den Teilen Großbritanniens auskennt, die von deutschen Medienvertretern selten besucht wurden, hat immer der These widersprochen, dass in Großbritannien mittlerweile eine Mehrheit gegen den Brexit ist.

Es fragt sich nur, warum die Labour-Führung das nicht gemerkt hat, obwohl doch viele ihrer Abgeordneten vor der aktuellen Wahl aus abgehängten proletarischen Gegenden kamen. Die Labour-Führung hat so taktiert, als wäre sie auch ständig mit den Mythen konfrontiert gewesen, die in vielen deutschen Medien verbreitet wurden. Die Frage, warum das so ist, ist nicht schwer zu beantworten. Sie stammen eben aus den linksliberalen Kreisen, die immer die Pro-EU-Statements in die Mikrophone der verschiedenen Medien sprachen.

Chance für die Linke?

Wenn Dominic Johnson aber in seiner Nachwahlberichterstattung aus dem Ergebnis auch Chancen herauslesen will und über die Neuerfindung der Linken spricht, sollte man vorsichtig sein. Ist schon vergessen, dass auch in vielen englischsprachigen Medien wie im Magazin Jacobin gerade Corbyn als Beispiel dafür genannt wurde, dass man mit linkssozialdemokratischen Position auch heute noch erfolgreich sein kann? Die Neuerfindung der Linken könnte dann eher heißen, dass die marktliberale Blair-Riege wieder zurückkommt. Da Johnson in manchen außenpolitischen Fragen durchaus auf deren Wellenlänge lag, ist anzunehmen, dass er diese Entwicklung nicht bedauern würde.

Tatsächlich ist mit dem Abgang von Corbyn auch europaweit ein weiterer "Hoffnungsträger" der sozialdemokratischen Linken verschwunden. Auch in Großbritannien dürfte sich nach dem Streit um den Brexit nun die Debatte über die Übergangsphase und die Verhandlungen über die Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU an Bedeutung gewinnen. Hier sind noch viele Wendungen möglich und auch der No-Deal-Brexit ist nicht vom Tisch.

Mit dem Erstarken des schottischen Nationalismus und der Forderungen nach einen Unabhängigkeitsreferendum wird das nächste Gift für eine solidarische Klassenpolitik schon angerührt. Profitieren davon werden die Kapitalfraktionen und die Rechte nicht nur in Großbritannien. Für die deutsche Medienvertreter sollte das Ergebnis der britischen Wahl Anlass sein, die engen bürgerlichen Zirkel zu verlassen. Das wurde allerdings schon nach der Wahl von Trump auf die USA bezogen gefordert. Trump hatte, wenn es nach der deutschen Presseberichterstattung gegangen wäre, schon bei den Vorwahlen scheitern müssen.

Peter Nowak

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