Nordkoreas Neue in der Dynastie?

Kim Yo Jong, als sie US-Außenminister Mike Pompeo im Oktober 2018 Fotos von einem Treffen überreicht. Bild: U.S. Department of State

Unabhängig vom Gesundheitszustand Kim Jong Uns könnte dessen Schwester Kim Yo Jong künftig eine wichtige Rolle in der Führung des Landes spielen

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Am Samstag den 11. April, vor zweieinhalb Wochen, wurde der nordkoreanische Staatschef Kim Jong Un zuletzt in der Öffentlichkeit gesehen. Danach fehlte der Kettenraucher mit einem Body-Mass-Index von 45 sowohl bei einer Sitzung der Ch'oego Inmin Hoeui, der "Obersten Volksversammlung" am 12. April, als auch beim drei Tage darauf gefeierten "Tag der Sonne", an dem seinem Großvater, dem Staatsgründer Kim II Sung, gehuldigt wird.

In diese auffällige Abwesenheit hinein meldete das von Exilnordkoreanern betriebene südkoreanische Portal Daily NK unter Berufung auf eine anonyme Quelle, der nordkoreanische Staatschef habe sich am 12. April einer Herz-Kreislauf-Operation unterzogen, von der er sich in Hyangsan erhole. Das ebenfalls nordkoreakritische Portal 38 North ging ebenfalls von einer Erkrankung aus, vermutete den 36-Jährigen aber in Wonsan, wo angeblich ein Zug der Herrscherfamilie gesichtet wurde. Andere Medien spekulierten sogar, dass sich Kim Jong Un nach der Operation in einem sehr schlechten Zustand befinden oder tot sein könne.

"Nachrichtendienstliche Erkenntnisse": "Am Leben und wohlauf"

Der südkoreanischen Einheitsminister Kim Yeon Chul verlautbarte dagegen mit Verweis auf "nachrichtendienstliche Erkenntnisse" und eine "umfangreiche Analyse", Kim Jong Un sei "am Leben und wohlauf" und "ungewöhnlichen Entwicklungen" gebe es in Nordkorea nicht. Parallel dazu kritisierte US-Präsident Donald Trump "unzutreffende" Berichte amerikanischer Medien und meinte, er könne sich gut vorstellen, wo Kim Jong Un jetzt ist, aber "nicht darüber reden". Später äußerte er sich zurückhaltender und meinte, niemand wisse, wo Kim Jong Un ist, aber er hoffe, es gehe ihm gut.

Aus China verlautbarte ein Sprecher des Außenministeriums bislang lediglich, man könne "keine Informationen" zum Aufenthaltsort und zum Gesundheitszustand des nordkoreanischen Staatschefs anbieten. Auch Medienberichte, wonach chinesische Ärzte und ein hochrangiges Mitglieds der Internationalen Verbindungsabteilung der KPCh nach Nordkorea reisten, will Peking nicht kommentieren.

Kim Jong Uns Sohn soll zu jung sein, um die Nachfolge zu übernehmen

Außer Spekulationen über Kim Jong Uns Gesundheitszustand beförderte seine auffällige Abwesenheit auch solche über mögliche Nachfolger. Die meisten Beobachter gehen dabei davon aus, dass die von Kim II Sung begründete Dynastie weiterhin an der Macht bleibt. Naheliegendster Nachfolger eines dynastischen Herrschers ist in den meisten Fällen eines seiner Kinder. Ob und wie viele Kinder Kim Jong Un hat, ist jedoch unklar. Die Spekulationen reichen von einem bis drei - aber sie gehen alle davon aus, dass keines älter als zehn Jahre ist.

In der Weltgeschichte gab es zwar durchaus Beispiele, dass Kinder in diesem Alter einen Thron übernehmen - ob man in Nordkorea diesen Weg beschreiten will, ist jedoch insofern fraglich, da man die bisherigen Nachfolgeregelungen nicht (wie beispielsweise in Tibet und Europa) mit einem Gottesgnadentum, sondern eher mit "Weisheit" begründete.

Vergiftet, hingerichtet, abberufen

Ein anderer Kandidat aus der Familie wäre Kim Jong Uns großer Bruder Kim Jong Chol. Gegen ihn spricht, dass man seinem kleinen Bruder nach dem Tod Kim Jong Ils 2011 den Vorzug gab, was angeblich damit zusammenhängt, dass er sich mehr für Rockmusik als für die Chuch'e-Selbständigkeitsdoktrin interessiert. Kim Jong Nam, ein weiterer Sohn Kim Jong Ils, wurde 2017 bei einem spektakulären Anschlag in Malaysia vergiftet (vgl. Mysteriöser Tod des Halbbruders von Kim Jong Un).

Kim Jong Uns angeheirateten Onkel Jang Song Thaek richtete man dagegen 2013 offiziell hin, nachdem man ihn "staatsfeindlicher Handlungen" beschuldigte. Einen anderen Onkel, Kim Pyong Il, holte Pjöngjang im letzten Jahr aus Prag zurück, wo er Botschafter war. Dass man danach nichts mehr von ihm hörte, wird unterschiedlich gedeutet: Einige Beobachter sehen ihn kaltgestellt, andere in einer unauffälligen Beraterposition.

"Bedingungsloses Vertrauen"

Als aussichtsreichste potenzielle Nachfolgerin gilt in dieser Situation Kim Jong Uns Schwester Kim Yo Jong. Die 32-Jährige besuchte dem vom Guardian befragten Nordkoreastudien-Forschungsstipendiaten Young Shik Bong nach in den 1990er Jahren zusammen mit ihrem Bruder ein Schweizer Internat und hat deshalb dessen "bedingungsloses Vertrauen".

In jedem Fall holte sie Kim Jong Un 2016 in das Zentralkomitee der Einheitspartei Choson Rodongdang. Kurz vor seinem Verschwinden stieg sie dem Nordkoreaexperten Robert Collins nach außerdem zur ersten Vizedirektorin der Organisations- und Führungsabteilung dieser Partei auf. Bei den Verhandlungen mit den USA soll sie ebenso eine wichtige Rolle gespielt haben wie bei der Organisation der gemeinsamen Olympischen Winterspiele mit Südkorea und während des ersten gesundheitsbedingten Ausfall Kim Jong Uns vor fünfeinhalb Jahren.

Darüber, was sie inhaltlich vertritt, ist wenig bekannt - weshalb deutsche Medien Bilder interpretieren, auf denen sie dem Tagesspiegel zufolge "oftmals kühl, distanziert und arrogant wirkt". Eine Beschreibung, die in Sozialen Medien naheliegende Scherze nach sich zog.

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