Nordsyrien: Unhaltbare Zustände im IS-Gefängnis

Deutscher Arzt berichtet von grassierender Tuberkulose und Gewalt in Lagern von inhaftierten IS- Anhängern. Westen soll seine Bürger zurückholen.

Telepolis berichtete Ende Januar über den vom IS organisierten Gefängnisaufstand im Gefängnis Sinar in Hasaka im Januar dieses Jahres. Nun ist in dieser Einrichtung Tuberkulose ausgebrochen.

Die IS-Gefängnisse sind tickende Zeitbomben: die autonome Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien wird von der internationalen Gemeinschaft bei der Bewachung, sowie medizinischen und humanitären Versorgung allein gelassen. Noch immer sitzen in den Gefängnissen tausende ausländische IS-Terroristen. Die Rückhol-Bereitschaft der Herkunftsländer ist äußerst gering. Doch nun hat Deutschland zehn IS- Anhängerinnen und 27 Kinder zurückgeholt.

Katastrophale Zustände in den IS-Gefängnissen

Immer wieder bittet die autonome Selbstverwaltung um internationale Unterstützung bei der Versorgung der über 60.000 inhaftierten IS-Anhänger mit ihren Kindern. Angesichts der sich verschlechternden Versorgungslage der Bevölkerung im Nordosten Syriens durch das anhaltende Embargo gegen das Land, ist die Selbstverwaltung kaum noch in der Lage, die Gefängnisse mit dem Nötigsten zu versorgen.

Nun ist im Gefängnis Sinar in Hasaka Tuberkulose ausgebrochen. Telepolis erreichte nun ein aktueller Bericht des deutschen Arztes Michael Wilk, der sich gerade in der Region aufhält und das Gefängnis knapp zwei Monate nach dem Ausbruchsversuch der IS-Terroristen besuchen konnte. Darin heißt es:

Meterhohe Mauern, Natodraht, Wachtürme, im Innern des festungsartigen Geländes mehrstöckige fabrikähnliche Gebäude, bewaffnete Posten allerorten. Das Gefängnis Sinar in Haseke ist schwer gesichert- aus gutem Grund. Mitte Januar dieses Jahres war der Knast schwer umkämpft, der IS wagte einen Aufstand und einen Befreiungsversuch. Mitglieder der Djihadisten-Miliz, die zwar weitgehend militärisch zerschlagen wurde, aber noch über zahlreiche Schläferzellen in der Region verfügt, hatten einen Angriff von außen organisiert, der zum Massenausbruch und zu fast zweiwöchigen heftigen Kämpfen führte.

Das aus kurdischen Kämpfern bestehende Militärbündnis SDF (Syrien Demokratic Forces) habe mit amerikanischer Luftunterstützung den Aufstand niedergerungen und die entkommenen Islamisten wieder festgesetzt. Dabei starben nach Angaben der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte insgesamt 373 Menschen, davon 268 IS-Anhänger, 98 kurdische Kämpfer und sieben Zivilisten.

Wie viele IS Anhänger in Sinar einsitzen ist nicht bekannt. Berichtet wurde mir von 4.200, die genaue Zahl kann höher oder niedriger liegen, sie wird aus Sicherheitsgründen nicht genau benannt. Die Inhaftierten gelten als fanatisch und brandgefährlich, auch führende Köpfe des IS sitzen in Sinar ein. In einem von den Erwachsenen separierten Block des weitläufigen Areals, werden um die 700 Minderjährige unter 18. Jahren festgehalten.

Nun plage ein anderes gefährliches Problem die Verantwortlichen des Gefängnisses. Bei Hunderten der Inhaftierten sei Tuberkulose diagnostiziert worden, bei vielen weiteren bestehe der Verdacht. Auch die Jugendlichen seien massiv betroffen. Der kurdische Rote Halbmond sei deshalb um Unterstützung bei der Behandlung gebeten worden.

Schon die Diagnostik der der Erkrankung ist nicht einfach, die Behandlung zudem komplex und langwierig. Sie dauert in der Regel mindestens ein halbes Jahr, in dieser Zeit müssen bis zu vier Antibiotika eingenommen werden, die Gefahr von Nebenwirkungen ist erheblich. Die Separierung von Betroffenen und Verdachtsfällen ist notwendig. Das Auftreten von Tuberkulose ist bei auf engem Raum lebenden Menschen, mit zudem geschwächter Konstitution, ein Klassiker.…

Beides, die Revolte und die grassierende Erkrankung, stünden beispielhaft dafür, wie mit dem "IS- Problem" umgegangen werde. Nach der militärischen Zerschlagung des "Islamischen Staates" habe es geschienen, die Gefahr für die internationale Koalition sei vorerst gebannt. Sie habe sich schließlich weitgehend aus der Verantwortung gezogen. Nicht zuletzt seien die seit Jahren unhaltbaren Zustände im Lager al-Hol "eine wahre Brutstätte der IS-Ideologie" und immer wieder käme es dort zu Gewaltausbrüchen. Noch immer würden dort über 50.000 Frauen und Kinder des IS leben.

Die Rückführung des großen Anteils von ausländischen Terroristen in ihre Heimatländer, sowie die Einrichtung internationaler Gerichte, stehen auf der langen Liste der unerledigten Aufgaben der sogenannten Staatengemeinschaft…

Michael Wilk ist Notarzt, Psychotherapeut und Buchautor, der seit 2014 regelmäßig nach Nordsyrien reist und die Arbeit des Kurdischen Roten Halbmonds ‚Heyva Sor a kurd‘ unterstützt. Er ist Herausgeber des im März 2022 im Verlag Edition AV erschienen Buches "‘Erfahrung Rojava‘ – Berichte aus der Solidaritätsarbeit in Nord-Ostsyrien", in dem verschiedene Personen über ihre Solidaritätsarbeit in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen berichten.

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