Notenbank will unbegrenzt Staatsanleihen kaufen

Spanien versucht, gute Konditionen für seinen Rettungsantrag durchzusetzen, Kanzlerin Merkel setzt auf strenge Sparauflagen

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Es war kein Zufall, dass der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy und Bundeskanzlerin Angela Merkel am Donnerstag in Madrid vor die Presse getreten sind, während auch der EZB-Präsident schwere Geschütze angekündigt hat. Mario Draghi hat, wie von Spanien gefordert wurde, unbegrenzte Ankäufe von Staatsanleihen angekündigt. Mit der Hoffnung, dass hohe Zinsen für Spanien nachhaltig gesenkt werden können, soll es dem Land schmackhaft gemacht werden, nun den Rettungsantrag zu stellen, um das große Problemland zu stabilisieren. Das ist die Bedingung, die schon vor einem Monat aufgestellt worden war.

Mit zunehmender Abneigung ist Bundeskanzlerin Angela Merkel am Donnerstag in der spanischen Hauptstadt empfangen worden. Die Empörten-Bewegung hatte am Abend zu Protesten aufgerufen. "Merkel go home", schallte es am Abend durch die Straßen Madrids, denn die Kanzlerin wird für eine Politik verantwortlich gemacht, die dem Land "über die Beschneidung von Grundrechten aufgezwungen werden soll", schrieb die Plattform "Wahre Demokratie Jetzt" in ihrem Aufruf. Gesprochen wurde vom "sozialen Genozid", für den neben Banken auch die Troika aus Europäischer Zentralbank (EZB), EU-Kommission und Internationalem Währungsfonds (IWF) verantwortlich seien.

Dass die "Herren in den schwarzen Anzüge", vor denen mit Blick auf die Troika sogar die konservative Regierung noch kürzlich Link auf www.heise.de/tp/blogs/8/152136, längst im Land sind, davon gehen viele aus. Ein Video verweist ausdrücklich auf den Besuch von Merkel hin. Dass die Troika nach diesem Donnerstag bald auch in Spanien den Ton angeben wird, gilt als ausgemacht. Die Konservativen stimmen längst die Bevölkerung auf den bevorstehenden Rettungsantrag ein.

Doch ganz wohl ist dabei auch vielen Konservativen um Ministerpräsident Mariano Rajoy nicht. Wenn die Mikrofone ausgeschaltet sind, dann wird auch heftige Kritik an der Berliner Spanien-Politik laut. Man fühlt sich vor dem Kopf gestoßen. Der harte Sparkurs, zu dem man aus Berlin und Brüssel verpflichtet werde, würde dort nicht honoriert. Außenminister José Manuel García Margallo wurde im Interview am Donnerstag sogar ziemlich deutlich. "Wir müssen Merkel klarmachen, dass es mit schönen Worten nicht getan ist."

Wie die spanische Wunschliste aussieht, daraus machte er keinen Hehl. Es könne nicht sein, dass Spanien das viele eingesparte Geld wieder für die hohen Zinsen ausgeben müsse. "Nur die EZB kann uns helfen", betonte Margallo kurz vor dem Merkel-Besuch. Es reiche nicht von der Kanzlerin gelobt zu werden, wenn man schnell Geld brauche. Spanien hat die letzten Wochen immer wieder gefordert, die EZB solle unbegrenzt Anleihen kaufen, um die Kosten für den Schuldendienst zu senken.

Im Interview mit der Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) pochte auch Rajoy gut verständlich darauf. "Jetzt sollte man berücksichtigen, dass, wenn jemand große Anstrengungen unternimmt und das gleiche Ziel hat, nämlich die Konsolidierung der Staatsfinanzen, man ihm auch eine Chance geben muss, voranzukommen." Bisher habe er diesen Eindruck nicht, polterte Rajoy. "Die Risikoaufschläge und die Zinsdifferenzen machen unsere Anstrengungen zunichte", fügte er an, um außerordentliche Maßnahmen von der EZB zu fordern. Er tat so, als hätten hohe Zinsen nichts mit der fatalen wirtschaftlichen Situation zu tun, welche die Arbeitslosigkeit nach dem Platzen der Immobilienblase sogar auf über 25% katapultiert hat. "Die Risikoaufschläge sind nicht das Ergebnis der Fundamente der spanischen Wirtschaft, sondern der Zweifel am Euro", tat er so, als steckte Spanien nicht in der Rezession und als müssten dort keine Banken und ganze Regionen gerettet werden.

Das Drehbuch, das nun befolgt wird, ist schon in den letzten Wochen geschrieben worden

Dem angeschlagenen Rajoy wurde vor den vorgezogenen Neuwahlen im Baskenland und Galicien erlaubt, noch einmal stolz die Brust herauszustrecken. Beim Merkel-Besuch in Madrid wurde nur festgezurrt, was längst auf den Weg gebracht war. Deshalb traten Merkel und Rajoy gemeinsam vor die Presse, als auch die EZB nach ihrer Ratssitzung die Ergebnisse verkündete - und die haben es in sich. Doch äußern wollten sie sich zu der EZB-Entscheidung nicht. "Die EZB reagiert unabhängig und im Rahmen ihres Mandates", ließ sich Merkel nur entlocken.

Nun wird die Notenbank das umstrittene Programm zum Ankauf von Staatsanleihen gegen den Widerstand der Bundesbank wieder aufnehmen. Die Bedingung ist und war längst so definiert, dass ein Land vor dem Kauf seiner Anleihen einen Rettungsantrag in Brüssel stellt. Draghi betonte mit Blick auf Merkel immer wieder das Wort "Konditionalität", was neue Sparauflagen, Reformen und Kontrollen bedeuten soll. Das ist der Teil, den Merkel braucht, um für die Zustimmung in Deutschland zu werben und so zu tun, als habe sie sich durchgesetzt. Wie die Bundesbank stehen viele einer Staatsfinanzierung durch die Notenbank skeptisch gegenüber. Immer wieder hat die Kanzlerin wie beim letzten EU-Gipfel aber beschworen, "Haftung und Kontrolle gehören zusammen".

Spanien hatte aber stets einen Anleihekauf ohne eine Ausweitung des Rettungsantrags über die Bankenrettung hinaus gefordert, um eine stärkere Kontrolle zu umgehen. Um Madrid nun den Rettungsantrag richtig schmackhaft zu machen, fährt die EZB die von Spanien geforderten großen Geschütze auf. Präsident Mario Draghi kündigte deshalb unbegrenzte Aufkäufe an. Denn nur damit besteht überhaupt eine Chance besteht, die hohen Zinsen für Spanien nachhaltig zu senken. Denn obwohl bis ins Frühjahr die EZB schon für mehr als 200 Milliarden Euro an Risiken auf die Notenbank verlagert hat. Doch der Anstieg der Zinsen konnte damit nicht verhindert werden und in den Fällen von Griechenland, Irland und Portugal auch nicht, dass sie komplett unter den Rettungsschirm gehen mussten.

Kritik an der Entscheidung der EZB

Doch, so ist es nicht nur die Ansicht von Bundesbank-Präsident Weidmann, überschreitet die EZB damit ihr Mandat. Schließlich sei ihre Aufgabe, für Geldwertstabilität zu sorgen. "Egal, ob es um Zinsen geht oder um irgendwelche Sondermaßnahmen - am Ende läuft es immer darauf hinaus, dass die Notenbank für Ziele der Fiskalpolitik eingespannt werden soll", sagte er kürzlich im Interview. Die Politik überschätze die Möglichkeiten der Notenbank, weil man ihr unterstelle, sie könne neben Preisstabilität auch für Wachstumsförderung, Abbau der Arbeitslosigkeit oder Stabilisierung des Bankensystems genutzt werden. Weidmann warnte auch von einer Staatsfinanzierung über die EZB, die könne "süchtig machen wie eine Droge".

Man darf gespannt sein, wie lange Weidmann noch auf seinem Posten weilen wird. Seit Tagen halten sich Gerüchte, dass er wegen den Differenzen schon wie sein Vorgänger zurücktreten wollte. Auch Jürgen Stark hatte etwas gegen das Aufkaufprogramm und das massive Anwerfen der Notenpresse, weil damit die Inflationsgefahren steigen.

Kritik an dem Programm kommt auch von der Linken. Die Partei wirft Merkel vor, "Milliardenrisiken bei der EZB zu verstecken". Weil sie im Parlament keine Mehrheit für eine weitere Aufstockung der Euro-Rettungsschirme habe, würden mit Hilfe von Draghi nun erneut "Milliardenrisiken in die Bilanz der Europäischen Zentralbank geschoben". Es sei "unerträglich, dass die Bundesregierung zu der damit verbundenen Umgehung des Parlaments und möglichen Konflikten mit dem Grundgesetz nicht Stellung nimmt", kommentierte Sahra Wagenknecht. "Für die Übernahme von Risiken durch die EZB, für die Deutschland zu 27 Prozent haftet, gibt es keine hinreichende demokratische Legitimation."

Die Vizevorsitzende der Partei spricht vor einer "skandalösen Aushebelung der Parlamente" und hält es für falsch. Mit dem frischen Zentralbankgeld werde dem im aufgeblähten "Finanzsektor der Anreiz zum Zocken erhöht", wiederholt sie ein ihrer zentralen Kritiken. Stets hatte die Regierung zuvor versprochen, dazu werde es nicht kommen.

Mehr Klarheit wird es ohnehin erst geben, falls das deutsche Verfassungsgericht dem dauerhaften Rettungsschirm (ESM) am 12. September einen Segen erteilt, denn erst dann wird über die Rechtmäßigkeit entschieden. Denn der ESM ist in der Dreh- und Angelpunkt der Rettungsarchitektur. So wird erst beim Treffen der Eurogruppe am 14. September über die Kriterien der Spanien-Rettung gesprochen werden. Deshalb hat sich Rajoy auch noch nicht auf einen Antrag festgelegt. Er will derweil versuchen, möglichst gute Bedingungen herauszuschinden.

Für das viertgrößte Euroland sollen erneut Extrawürste gebraten werden. Das erlaubte Defizit wurde von der EU-Kommission schon in zwei Stufen von geplanten 4,4% schon auf 6,3% erhöht. Zudem wurde dem Land, schon bevor es unter den Rettungsschirm schlüpft, schon ein Jahr mehr Zeit eingeräumt, um wieder die Stabilitätsmarke einzuhalten. Auch die Kriterien für die Sonderregelung, die für einen begrenzten Rettungsantrag zur Bankenrettung im vergangenen Jahr in den EFSF eingefügt wurden, hat Spanien nie erfüllt. So ist kaum glaubhaft, dass die neuen Kriterien eingehalten werden, wenn wieder einmal demnächst eine "alternativlose" Situation entsteht.