Nürnberger Geschichten

Projekt "Virtueller Arbeitsmarkt" - Wenn Florian Gerster eine Ausschreibung macht

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Während Florian Gerster noch damit befasst ist, seine bisher bekannt gewordenen Finanzeskapaden und Beraterverträge der Bundesregierung, dem Parlament und der Öffentlichkeit zu erläutern, wertet die Union bereits weiteres Material aus. Diesmal in Form einer Regierungsantwort auf 66 Fragen. Antworten, die es in sich haben.

Gerster hatte gerade angekündigt, Einzelheiten seines Beratungswustes demnächst zu veröffentlichen. Auffällig ist, dass er mit Firmen wie Berger und McKinsey, die gleichzeitig Vertreter in der Hartz-Kommission hatten, Beraterverträge schloss, denen zufolge diese Firmen nun an den Ergebnissen eben dieser Kommission recht gut verdienen. Er kann gleich weitermachen und die Kostensteigerung im Projekt VAM (Virtueller Arbeitsmarkt) erläutern.

In ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zum Thema "Vergabepraxis der Bundesanstalt für Arbeit: Teil I Kommunikationsberatung und virtueller Arbeitsmarkt" , BT-Drucksache 15/2281, versucht die Bundesregierung in Person des Wirtschafts-Staatssekretärs Rudolf Anzinger vor allem eines - Klarheiten erst gar nicht aufkommen zu lassen und gleichzeitig irgendwie zu begründen, warum ein Vertragsvolumen innerhalb weniger Monate von zunächst 35 Mio. auf schließlich 56, dann 77 und vielleicht auch 100 Mio. Euro ansteigen konnte, ohne dass eine weitere Ausschreibung erfolgte.

Es geht um "den Auftrag, einen virtuellen Arbeitsmarkt zu errichten", der an die Firma Accenture vergeben wurde. Diesmal gab es zwar eine Ausschreibung - doch lediglich im ersten Anlauf, als es noch um ein Vertragsvolumen von 35 Mio. Euro ging.

Ganz furchtbar kompliziert muss alles gewesen sein. Deshalb vermag der Staatssekretär auch eine recht einfache Frage nicht einfach und verständlich zu beantworten. Die Frage Nr. 44 lautete:

Ist es korrekt, dass Accenture die Ausschreibung mit einem Angebot gewonnen hat, das ein Kostenvolumen von 35 Mio. Euro vorsah, wenn nein, mit Angabe welcher Kosten hat Accenture das Ausschreibungsverfahren für sich entschieden?

Die Antwort beginnt verständlich: "Nein." Und weiter heißt es:

Die Vergabe wurde nach Angaben der BA nach geltendem Vergaberecht im Wege eines Verhandlungsverfahrens mit vorgeschaltetem, europaweitem Teilnahmewettbewerb nach § 3 a Nr. 1 Abs. 4 Buchstabe c VOL/A aus folgenden Gründen durchgeführt:
Die Komplexität der Leistung lässt die Erstellung einer Leistungsbeschreibung im Sinne der §§ 8 und 8a VOL/A nicht zu, die so eindeutig und erschöpfend ist, dass alle Bewerber diese im gleichen Sinne verstehen, um den Auftrag in Übereinstimmung mit dem formstrengen Vorschriften über Offene oder Nichtoffene Verfahren vergeben zu können. Vielmehr wurde von den Bietern eine Konzeptlösung für die Realisierung erwartet.
Nach Bewertung der Teilnahmeanträge erfüllten nur vier Bewerber die in der Veröffentlichung im EU-Supplement und im Bundesausschreibungsblatt dargestellten Mindestkriterien. (...) Die ersten Angebote der vier Bieter -darunter das der Firma Accenture in Höhe von ca. 35 Millionen Euro ohne Mehrwertsteuer - waren jedoch nicht vergleichbar. Den Bietern wurde daher mit Schreiben vom 14. Januar 2003 nochmals die Ausgangssituation dargestellt und auf die wesentlichen Punkte hingewiesen. Daneben wurde allen Bietern nochmals eine Tabelle zur Eintragung der Preise zur Verfügung gestellt. Die Nachfrage bei allen Bietern diente dazu, die Angebote vergleichbar zu machen. Neben diesen Anforderungen an alle Bieter wurde den einzelnen Bietern jeweils noch konkrete Fragen zu ihrem Angebot gestellt, die zur Klarstellung dienten. Daraufhin erhöhte sich das Angebot der Firma Accenture auf ca. 57,5 Millionen Euro inkl. Mehrwertsteuer. Auch die anderen Bieter erhöhten ihre Angebotspreise im Rahmen dieser schriftlichen Verhandlung....

Und so weiter. Also alles ganz furchtbar schrecklich kompliziert...

Jedenfalls wurde, statt direkt klar formulierte Aufgaben zu be- oder umschreiben, offensichtlich so lange hin und her geschrieben, bis aus den läppischen 35 Mio. ein ordentlicher Auftragswert entstanden war. Im weiteren Text "hat sich das Angebotsvolumen schließlich auf 65,5 Mio. Euro inklusive Mehrwertsteuer erhöht." Doch damit noch nicht genug.

Das vereinbarte Entgeld zum Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung betrug nach Angabe der BA 65,5 Millionen Euro inklusive Mehrwertsteuer.

Doch auch da ließ sich noch etwas machen - schließlich geht es um Großes. In Frage Nr. 50 wollte die CDU/CSU wissen:

Ist es korrekt, dass die offiziellen Kosten für diesen Auftrag derzeit sich auf rd. 77 Mio. Euro belaufen, und wenn ja, warum wurde keine neue Ausschreibung in Gang gesetzt?

Die zunächst erstaunlich verständliche Antwort beginnt mit einem "Dies trifft laut BA aus folgenden Gründen zu..." Im weiteren folgen nicht nur einzelne Nebelkerzen, sondern ganze Nebelbänke, die man dann benötigt, wenn aus einer einfachen und klaren Antwort jedem deutlich würde, was wirklich gelaufen ist...

Immerhin ergibt sich aus der Antwort, dass man eben nicht neu ausgeschrieben hat, obwohl es die letzte ordentliche Ausschreibung, wir erinnern uns, für ein Auftragsvolumen von lediglich 35 Mio. Euro gegeben hatte. Mittlerweile ging es um mehr als das Doppelte. Doch - so Anzinger - alles egal, auch andere wären teurer geworden.

Für die zusätzlichen Leistungen wurde der Vertrag ohne Neuausschreibung entsprechend angepasst, da vergleichbare Kosten auch bei anderen potentiellen Auftragnehmern angefallen wären...

Woher Anzinger und sein Gerster dies ohne weitere Ausschreibung wissen wollen, bleibt unklar.

In Frage Nr. 52 wurde gefragt, ob es korrekt sei, "dass der BA ein sog. Change Request (Änderungsvorschläge) von Accenture vorliegt, der das Volumen auf 88 Mio. Euro ausweitet, und wenn ja, aus welchen Gründen sich diese Kostensteigerung ergab?" Die Antwort darauf ist keine und lautet:

Bei bisher noch nicht beauftragten, aber fachlich erforderlichen zusätzlichen Leistungen wird geprüft, ob eine gesonderte Vergabe erforderlich ist.

Auch die Frage Nr. 53: "Ist es korrekt, dass innerhalb der BA bereits mit Kosten in Höhe von rund 100 Mio. Euro für den VAM (virtueller Arbeitsmarkt) gerechnet wird, und wenn ja, warum wird kein neues Ausschreibungsverfahren in Gang gesetzt?" wird nicht beantwortet, sondern es wird auf die vorherige Nichtantwort verwiesen.

Immerhin verweigert Staatssekretär Anzinger - aus leidvollen Erfahrungen mit seinem Vorgesetzten Florian Gerster wohl klug geworden - einen deutlichen Persilschein für den BA-Chef. Auf Frage Nr. 54:

Hält die Bundesregierung die von der BA betriebene Auftragsvergabe für mit den Regeln der Vergabeordnung in Einklang, und wenn ja, warum?

heißt die Antwort nicht etwa "Ja, aber natürlich!" Nein, sie ist gar keine inhaltliche Antwort und lautet ganz vorsichtig:

Der Bundesregierung liegen derzeit keine Informationen dazu vor, dass die Auftragsvergabe nicht mit dem Vergaberecht im Einklang steht.

Solche Sätze werden nicht flott dahingeschrieben, hier zählt jedes Wort - man beachte insbesondere das an sich harmlose Wörtchen "derzeit". Jede kleine Agenturmeldung kann die Situation für jenen Mann ändern, den Kanzler Schröder schon seit längerem für eine Fehlbesetzung hält. Dumm nur, dass er sie selbst zu verantworten hat.