Nukleare Abrüstung: Perspektive in Zeiten schwerer Rückschläge
Nach der Staatenkonferenz zum Atomwaffenverbotsvertrag und vor der Konferenz zum Atomwaffensperrvertrag – von Wien nach New York
Wohl selten ist eine Weltkonferenz mit so wenig Hoffnung und Empathie vorbereitet worden wie die diesjährige Atomwaffensperrvertragskonferenz, die am 1. August 2022 in New York beginnt und knapp vier Wochen dauern soll.
Hoffnungen auf ein Ergebnis, das auch nur in Ansätzen einer Evaluation und einer Umsetzung des Atomwaffensperrvertrages entspricht, sind gleich null. Selbst einer Initiative für ein Verbot des Ersteinsatzes wird keinen Erfolg beschieden werden, über Rüstungskontrolle oder gar Abrüstung brauchen wir erst gar nicht zu reden.
Die Konferenz steht unter dem Eindruck des völkerrechtswidrigen Krieges Russlands gegen die Ukraine, der immer wiederkehrenden Drohung mit einem möglichen Einsatz von Atomwaffen, der umfassenden Modernisierung dieser Waffen in allen Atomwaffenstaaten, der technologischen Entwicklung von "Mini-Atombomben" ("mini nukes") als Gefechtsfeldwaffen oder auch – genereller formuliert – der weltweit aggressiv ausgetragenen geostrategischen Konfrontationen.
Ist es vorstellbar, dass angesichts von militärischen und Wirtschaftskriegen (und beides geht weit über den Ukraine-Konflikt hinaus) über Rüstungskontrolle, atomwaffenfreie Zonen und Abrüstung ernsthaft verhandelt wird? Realistisch ist das nicht.
Globaler Süden aktuell zu schwach
Die Akteure vor allem aus dem Globalen Süden, die in Richtung Verhandlungen, Rüstungskontrolle und Abrüstung drängen könnten, sind leider politisch zu schwach, zu wenig koordiniert und gehen auch immer noch mit zu wenig Eigeninitiative ans Werk.
Erste Ansätze wie die Beteiligung am Atomwaffenverbotsvertrag der Vereinten Nationen (TPNW) sind noch keine eigenständige weltpolitische Rolle, die mit der Rolle der nicht-paktgebundenen Staaten in den 1960er- und 1970er-Jahren vergleichbar wäre. Nur mit diesem Willen zur Unabhängigkeit von den Machtzentren und nur in Verbindung mit einer weltweiten aktiven Zivilgesellschaft für Abrüstung (an der es auch mangelt) wäre eine friedenspolitischer Alternativansatz überhaupt denkbar.
Stattdessen sind wir damit konfrontiert, dass die Atomkriegsgefahr noch nie so hoch und so brandgefährlich war wie jetzt. Die "Doomsday Clock", die "Weltuntergangsuhr" des Bulletin of the Atomic Scientists steht auf 100 Sekunden vor 12 Uhr und ist nur der zugespitzte Ausdruck des täglichen atomaren Wahnsinns. Und auf 100 Sekunden vor 12 Uhr wurde sie bereits vor Beginn des Ukraine-Krieges gestellt!
Die Atomwaffenverbotskonferenz im Juni in Wien, gegen den Willen der Atomwaffenstaaten und der Länder mit nuklearer Teilhabe erfolgreich erstritten, zeigte nur erste Ansätze für eine alternative Politik der nuklearen Abrüstung.
Ja, es ist erfreulich, dass die Zahl der ratifizierenden Staaten steigt, dass das Engagement von Regierungen, Parlamenten und Zivilgesellschaften für den Vertrag zunimmt. Hervorzuheben ist sicher auch die Konkretisierung der Vertragsformulierungen und die Betonung der Gemeinsamkeiten für zukünftiges Handeln gegen die humanitären Folgen der Atomwaffen. Besonders erfreulich sicher auch die politische Einordnung des Atomwaffenverbotsvertrages (TPNW) in das Ringen um eine Politik der gemeinsamen Sicherheit.
Noch keine weltpolitische Weichenstellung in Richtung Frieden
All dies ist aber noch keine weltpolitische Weichenstellung in Richtung Frieden. Diese strategische Weiterentwicklung des humanitären Engagements zu einem politischen Alternativkonzept verdeutlicht, dass Sicherheit heute nur noch gemeinsam erreicht werden kann. Dabei ist die nukleare Abrüstung ein Kettenglied für kooperatives Handeln. Nur bei der Überwindung der politischen Konfrontation zwischen Nato und Russland bzw. USA und China sind auch wieder Schritte zur atomaren Abrüstung möglich.
Deshalb sind auch Maßnahmen des Dialogs und der Vertrauensbildung zentral für eine Politik, deren langfristiges Ergebnis eine Welt ohne Atomwaffen sein soll. Das ist ja das offiziell erklärte Ziel selbst der Nato-Staaten. Kooperation ist nicht nur zur Überwindung der dramatischen Atomkriegsgefahr zentral, sondern auch unabdingbarer Bestandteil, wenn die Klimakatastrophe noch abgewendet werden soll. Zurzeit steuern wir mit einer ungeheuren Dramatik auf die doppelte Katastrophe – die atomare und die klimatische – zu.
Um diese Zusammenhänge zu verdeutlichen und die Alternative der gemeinsamen Sicherheit als geostrategisches Konzept zu diskutieren, veranstalten Friedensgruppen wie das internationale Netzwerk Peace and Planet sowie das Internationale Friedensbüro (IPB) in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung am 30. Juli in New York die internationale Konferenz zur "geostrategischen Unordnung und friedenspolitischen Perspektiven".
Auch das IPB ist auf der Atomwaffensperrvertragskonferenz (NPT-Konferenz) mit zwei Rahmenveranstaltungen vertreten – zu Atomwaffen in Europa und zu den technologischen Herausforderungen eines neuen Wettrüstens –, um zu unterstreichen, dass die Abwehr der Atomkriegsgefahr eine zentrale Herausforderung für die weltweite Friedensbewegung ist.
Dabei muss es um mehr Aufklärung und mehr Aktion gehen, um den medialen und politischen Kurs Richtung Aufrüstungswahn und Krieg zu stoppen. Ein weltweiter sozialer, ökologischer und ökonomischer Tsunami wird die Folge sein, wenn diese Politik, für die sämtliche Atommächte sowie die Nato-Staaten mit "nuklearer Teilhabe" stehen, nicht gestoppt wird. Die Atomwaffensperrvertragskonferenz kann daher vielleicht doch dazu beitragen, die so notwendige weltweite "Koalition der Vernunft" auf die Tagesordnung zu setzen.
Reiner Braun ist Executive Director des International Peace Bureau (IPB)