O2 geht die Luft aus
Der Kundenservice des Telekommunikationsanbieters O2 ist seit Wochen kaum erreichbar - und im Handy- und DSL-Netz herrscht ebenfalls oft Funkstille
O2 wirbt mit seinem angeblich tollen Service, noch tolleren Tarifen und der tollsten Netzabdeckung Deutschlands. "O2 can do" lautet der dazugehörige Werbeslogan. In der Praxis muss man aber leider oft feststellen: "O2 can’t do".
Und wenn O2 nicht liefert, kann das weitrechende Konsequenzen haben: Zusammen mit E-Plus, Fonic, Base, Blau, Ortel Mobile und Ay Yildiz gehört O2 zur Telefónica Deutschland Holding AG - und die ist mit derzeit 5,1 Millionen Festnetz- und 44,1 Millionen Mobilfunkanschlüssen der größte Anbieter Deutschlands.
34,90 Euro monatlich für einen nicht funktionstüchtigen Festnetz- und DSL-Anschluss
Seit mehreren Wochen blinkt immer mal wieder das gefürchtete rote Licht meiner V-DSL-Box: Während des Surfens bricht die Internetverbindung zusammen, Telefonate enden im digitalen Nirvana. Dann baut sich die Verbindung wieder auf - manchmal hält sie ein paar Tage -, um dann wieder plötzlich abzubrechen. Und nein, es liegt nicht an meiner Box, meinem Telefon oder meinem Laptop, alles funktioniert - bis auf die besagte V-DSL-Verbindung. Ich bezahle 34,90 Euro monatlich für diese Verbindung und ich wohne in Berlin, innerhalb des S-Bahn-Rings - da sollte ein funktionierendes Festnetz doch möglich sein, oder?
Warten ohne Ende
Was also macht der gepeinigte Kunde? Er ruft bei der Service-Hotline von O2 an. Die Hotline für technische Fragen bestätigt mir per Roboterstimme: "In Ihrem Vorwahlbereich liegt eine Störung vor. Wir bitten um Entschuldigung und arbeiten daran, das Problem zu beheben." Dann werde ich aus der Leitung geworfen. Die Ansage kommt seit mehreren Wochen. Aber nichts passiert. Ich versuche, einen analogen Menschen zu erreichen und rufe - mehrmals und zu unterschiedlichen Uhrzeiten - bei der allgemeinen Hotline an. Eine Roboterstimme sagt mir:
Aufgrund der unerwartet hohen Anzahl von Kundenanfragen ist es uns derzeit nicht möglich, Ihr Anliegen zeitnah zu beantworten. Ihre voraussichtliche Wartezeit beträgt 45 Minuten.
(Automatische Telefonansage der Hotline von O2)
Nach über 45 Minuten Wartezeit stecke ich noch immer in der Warteschleife, kein Durchkommen. Nächster Versuch: Nach genau 60 Minuten Wartezeit schmeißt mich die Hotline aus der Leitung. Während die Dudelmusik der Warteschleife mein Hirn martert, empfiehlt mir eine Roboterstimme, den Live-Chat von O2 zu nutzen. Dort werde mein Anliegen "sofort" und "ohne Wartezeit" bearbeitet. Okay, versuchen wir’s. Ich logge mich ein, schildere mein Anliegen und warte auf eine Antwort. Nach 15 Minuten erscheint folgende Nachricht:
Bitte entschuldigen Sie: Unser Chat ist aktuell leider ausgelastet, so dass wir Sie zeitnah nicht bedienen können.
(Automatische Antwort des Live Chat von O2)
Am nächsten Tag versuche ich es noch einmal. Nach 10 Minuten Wartezeit kommt diesmal folgende Nachricht:
Bitte kontaktieren Sie unseren DSL-Kundenservice unter 089-787 979 400. Derzeit bieten wir keinen DSL Chat an. Wir bitten um Ihr Verständnis.
(Automatische Antwort des Live Chat von O2)
Was ist das bitteschön für ein mieser Teufelskreis? Die Hotline verweist auf den Chat, der Chat verweist auf die Hotline - und beide sind seit Wochen nicht erreichbar.
Bundesnetzagentur bestätigt bezüglich der "Erreichbarkeit der Hotline ein erhöhtes Beschwerdeaufkommen"
Anschließend wende ich mich gleichzeitig an die Pressestelle von O2 und die Pressestelle der Bundesnetzagentur. Die Bundesnetzagentur bestätigt mir, dass es bezüglich der "Erreichbarkeit der Hotline ein erhöhtes Beschwerdeaufkommen" gebe. Im Oktober 2016 wurde öffentlich, dass die Bundesnetzagentur erwäge, Maßnahmen zu ergreifen. Ist da inzwischen etwas passiert, möchte ich von der Pressestelle wissen. Nein, nichts. Offenbar fehlt eine Rechtsgrundlage, um Telefónica und andere Anbieter in die Schranken zu weisen. Tom Janneck, Mitarbeiter der Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein und Leiter des dort angesiedelten Marktwächter-Teams bestätigt gegenüber Telepolis, dass Telefónica massive Probleme hat:
In den Beratungsstellen der Verbraucherzentralen und in diversen Internetforen häufen sich weiterhin die Beschwerden von verzweifelten Kunden, die bei Problemen einfach keinen Kontakt zu ihrem Anbieter herstellen können. Die dahinterliegenden Gründe sind vielfältig und beziehen sich beispielsweise auf die Qualität der Dienstleistung oder Vertragsangelegenheiten. Für den Telekommunikationsbereich sind im bundesweiten Frühwarnnetzwerk der Verbraucherzentralen Beschwerden mit Bezug zum Kundenservice, insbesondere der Nichterreichbarkeit von Hotlines, jedoch mehrheitlich Telefónica und ihren Tochterunternehmen zuzuordnen.
(Tom Janneck, Leiter des Marktwächter-Teams)
Über die "Mitbewerber" wie beispielweise Vodafone oder Telekom gibt es natürlich vergleichbare Berichte - es ist kein Geheimnis, dass sich die hiesigen Telekommunikationsanbieter nichts schenken, was schlechtes Netz und schlechten Service anbelangt. Darunter leiden private Nutzer ebenso wie Unternehmer und Behörden, die auf das Internet angewiesen sind - oder Notärzte, deren Diensthandy nicht erreichbar ist. Doch offenbar ist O2 bundesweit führend, was die Anzahl der Beschwerden anbelangt.
Pressestelle antwortet mit PR-Textbausteinen
Die Pressestelle von O2 ist telefonisch genau so schlecht erreichbar wie die Hotline. Auf der Internetseite von Telefónica Deutschland sind 16 Mitarbeiter aufgelistet, doch niemand hebt ab. Also schreibe ich eine E-Mail. Keine Antwort. Ich schreibe eine zweite E-Mail mit der Bitte, endlich Stellung zu beziehen. Schließlich antwortet die Pressestelle mit den üblichen PR-Textbausteinen:
Bei der generellen DSL-Nutzung kann es natürlich vereinzelt bei verschiedenen Kunden zu individuellen Einschränkungen kommen, die nicht miteinander in Zusammenhang stehen. […] Die Aufstockung der Kapazitäten in den Service-Kanälen Hotline, Online-Chat und Social Media um bis zu 30 Prozent ist zum größten Teil umgesetzt. Auch der Online-Hilfe-Bereich sowie der Online-Selfcare-Bereich [sic] wurden überarbeitet und werden von den Kunden sehr rege genutzt. Die Erreichbarkeit der O2 und Blau Hotlines liegt inzwischen wieder auf einem sehr guten und stabilen Niveau.
(Erste Antwort der Pressestelle von O2)
Deutlicher kann man zigtausende O2-Kunden, die tagtäglich in der Warteschleife schmoren, nicht verhöhnen. Auf dem offiziellen Twitter-Kanal von O2 liest man natürlich auch nichts über die Warteschleifen und Ausfälle, stattdessen postet O2 belanglose Berichte über Sportverletzungen, Silvester Stallone und Geschenke zum Muttertag. Auf der Facebook-Seite bekommt man ebenfalls keine weiterführenden Informationen von O2. In den Kommentaren jedoch liest man teils massive Beschwerden von Vertragskunden, die sich mit falschen Rechnungen, unbeantworteten Kündigungen, Warteschleifen, defekten Routern und tage-, manchmal sogar wochenlangen Ausfällen plagen. Ich frage nochmal bei der Pressestelle nach, verbunden mit der Bitte, nicht mit Worthülsen zu antworten. Diesmal fällt die Antwort von O2 immerhin etwas konkreter aus:
An der Hotline für unsere O2 Mobilfunkkunden erreichen wir je nach Zeitpunkt des Anrufs inzwischen wieder durchschnittliche Wartezeiten von wenigen Minuten, wie es in der Branche üblich ist. An der DSL-Hotline gibt es weiterhin Wartezeiten, mit denen wir selbst nicht zufrieden sind. Hier konnten wir nicht schnell genug ausreichend Personal finden. Daran arbeiten wir mit Hochdruck. […] Aufgrund der Größe und Komplexität des Mobilfunk- und Festnetzes lassen sich vorübergehende lokale Störungen leider nie gänzlich vermeiden. In diesen Fällen analysieren wir mit Hochdruck die Ursachen und arbeiten daran, die Verfügbarkeit der Services für unsere Kunden schnellstmöglich wiederherzustellen. Längerfristige oder flächendeckende Störungen bilden jedoch eine Ausnahme und sind in der Tat selten.
(Zweite Antwort der Pressestelle von O2)
Zwar gibt O2 nun einige Versäumnisse zu. Doch O2 beteuert nun schon seit über einem halben Jahr, dass sie den Service ausbauen möchten - und noch immer ist keine Besserung in Sicht.
Diese Situation hat sich unserer Ansicht nach seit Oktober 2016 für die Verbraucher nicht wesentlich verbessert. Das Problem ist, dass es bisher keine rechtlichen Grundlagen für einen Minimalstandard zum Kundenservice im Telekommunikationsbereich gibt. Ein Anspruch auf eine Service-Hotline besteht für Verbraucher aktuell grundsätzlich erst einmal nicht. Das kann für Verbraucher schwerwiegende Folgen haben. Bei technischen Störungen, vertraglichen Problemen oder Kündigungen benötigen Kunden dringend einen zuverlässigen Ansprechpartner.
(Tom Janneck, Leiter des Marktwächter-Teams)
Massive und flächendeckende Probleme?
Wenn man sich umschaut und umhört, kommen einem Zweifel an den Aussagen der Pressestelle von O2: Sind die technischen Probleme tatsächlich "individuell" und "lokal"? Oder hat O2 massive flächendeckende Probleme was die Versorgung seiner Kunden anbelangt? Im Internet häufen sich Berichte darüber, dass bei zahlenden Nutzern immer wieder Internet und/oder Festnetz ausfallen oder, dass das Handynetz von O2 nicht funktioniert. Am 17. Mai beispielsweise waren die Ausfälle derart massiv, dass O2 selbst zugegeben musste, dass es derzeit zu einer "bundesweiten Störung im Bereich der Telefonie über VoLTE sowie über Festnetz (VoiP)" kommt."
Berlin, Alexanderplatz, 18. Mai 2017. Mein Smartphone kann keine Verbindung zum Internet aufbauen. Ein späterer Blick auf die Homepage von O2 und die dortigen Infos zur Netzverfügbarkeit klären mich auf:
Ergebnis für: 10178 Berlin: Wir haben Probleme an mehreren Basisstationen in der Nähe festgestellt. In diesem Bereich kann es Einschränkungen beim Telefonieren und Surfen geben.
(O2-Homepage)
Solche Fälle mehren sich in Berlin - und auch andernorts in Deutschland. Auf der Internetseite allestörungen.de liest man haarsträubende Berichte. Und die Live-Störungskarte für O2 zeigt klar, dass vor allem die Ballungsgebiete Hamburg, Berlin, Leipzig, München, Stuttgart, Frankfurt am Main und das Ruhrgebiet betroffen sind. In ländlichen Regionen hapert’s ja oft schon mit einer akzeptablen Verbindung; doch selbst wenn diese vorhanden ist, kommt es auch hier zu Ausfällen.
Die Telekommunikationsanbieter bieten einen miserablen Service, sahen aber gleichzeitig kräftig ab: Die Telefónica Deutschland Holding AG erwirtschaftete 2016 einen Umsatz von 7,5 Milliarden Euro. Es wird Zeit, dass die Bundesbehörden aktiv werden und "Maßnahmen" ergreifen. Die freie Hand des Marktes hat - wie so oft - Arthritis und kann die Dinge eben nicht zum Besten regeln. Die "Marktwächter" der Verbraucherzentrale haben am 23. Mai 2017 einen bundesweiten Verbraucheraufruf gestartet. Die "Marktwächter" möchten fundierte Beschwerden von O2-Kunden sammeln, "um mögliche rechtliche Schritte zu prüfen. Denn wir können die substantielle Verbesserung des Zustandes, von der das Unternehmen aktuell spricht, nicht erkennen.", so Tom Janneck.
Seit 2016 hat O2 übrigens einen neuen Werbeslogan: "You can do". Tja, wenn ihr mich lasst!
Patrick Spät lebt als freier Journalist und Buchautor in Berlin.