Österreich: Türkis-grüne Koalition in spe beschließt vorab Maut-Abschied

Karte: TP

Mit dem Gebührenverzicht sollen Anlieger an Ausweichrouten entlastet werden

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Heute will der österreichische Nationalrat beschließen, dass auf fünf für den transnationalen Verkehr wichtigen Autobahnabschnitten in Tirol, Vorarlberg, Salzburg und Oberösterreich keine Maut mehr gezahlt werden muss. Ziel dieser Befreiung ist, dass die Belastung der Anwohner gebührenfreier Straßen in dieser Region abnimmt.

Bei diesen fünf Strecken handelt es sich um den Abschnitt Kufstein-Süd der Inntalautobahn A12, den Abschnitt Salzburg-Nord der Westautobahn A1, einen häufig für den Durchgangsverkehr von Deutschland in die Schweiz genutzten Teil der Rheintal/Walgau-Autobahn A14 zwischen Hörbranz und Hohenems und Abschnitte der Linzer Autobahn A26 und der Mühlkreisautobahn A7. Auf diesen relativ kurzen Strecken hatten bis vor sechs Jahren Ausnahmen von der Mautpflicht gegolten, die erst 2013 gestrichen wurden, als in Wien eine Große Koalition unter dem SPÖ-Kanzler Werner Faymann regierte.

Das österreichische Verkehrsministerium hat dem Entwurf zufolge darüber hinaus die Option, weitere Strecken in diese mautbefreite Gruppe aufzunehmen. Die Befreiung von der Maut soll am 15. Dezember 2019 beginnen und bis mindestens Ende 2021 dauern. Dann ist eine Evaluierung der Maßnahme vorgesehen.

Grüne wollen Zahl der "Vignettenflüchtlinge" verringern

Dass der Nationalrat dem von der ÖVP eingebrachten Entwurf heute zustimmt, gilt als sicher, weil am Montag im Haushaltsausschuss neben der Volkspartei auch die liberalen Neos und die Grünen dafür waren. Für letztere meinte der designierte Verkehrssprecher der Fraktion, Hermann Weratschnig, der Verzicht auf die Vignettenpflicht sei "zwar keine langfristige Lösung, aber angesichts der anstehenden Wintersaison die einzig temporär sinnvolle Maßnahme", um die Zahl der "Vignettenflüchtlinge auf den Ausweichrouten" zu verringern und die "stau- und lärmgeplagten Anrainer" dort zu entlasten.

Weratschnigs Partei ist sich aber nicht nur in dieser Sache mit der ÖVP einig. Am Sonntag beschloss ihr Bundesausschuss einstimmig, die Sondierungsgespräche mit der Volkspartei in offizielle Koalitionsverhandlungen münden zu lassen, welche gestern begannen. ÖVP-Chef Sebastian Kurz meinte zu dieser Koalitionsverhandlungspartnerwahl, die FPÖ habe sich ja ""selbst aus dem Rennen genommen und die Grünen seien "politisch berechenbarer als die SPÖ", bei der man nicht wisse, "wohin dort die Reise geht [und] wer sich dort am Ende durchsetzen wird".

Direkte und indirekte Kritik an Kurz' Koalitionsverhandlungspartnerwahl

Allerdings, so Kurz, werde er die Koalitionsverhandlungen mit den Grünen "ergebnisoffen" führen - und es wäre seinen Worten nach aufgrund der programmatischen Unterschiede "irrsinnig ambitioniert", zu glauben, sie könnten (wie das letzte Mal mit der FPÖ) bereits nach zwei Monaten abgeschlossen sein.

FPÖ-Chef Norbert Hofer, der sich in seiner Partei inzwischen durchgesetzt zu haben scheint, meinte zu den Koalitionsverhandlungen, die ÖVP solle sich "von der Illusion einer fruchtbaren Zusammenarbeit mit den Grünen" verabschieden, bevor Österreich Schaden nimmt. Gleichzeitig stellte er gegenüber Ö24 in Aussicht, in diesem Fall "den Bundesparteivorstand [seiner FPÖ] ein[zu]berufen und [zu] empfehlen, in Gespräche [mit der ÖVP] einzutreten".

Sprecher der SPÖ griffen die Koalitionsentscheidung gestern eher indirekt an, indem sie Kritik an der Zustimmung der Grünen zur Mautbefreiung übten: Ihr stellvertretender Fraktionschef Jörg Leichtfried meinte, der Gesetzentwurf könne durch die zu erwartenden Einnahmeverluste die Höhe der Mauten auf anderen Autobahnen steigen lassen und dafür sorgen, dass "eine Maut nach der anderen aufgehoben" wird. Anstatt einer Aussetzung der Mautpflicht auf bestimmten Autobahnabschnitten plädiert die SPÖ-Verkehrssprecherin Sabine Klausner für eine "flächendeckende Lkw-Maut". Die lehnt wiederum die Österreichische Wirtschaftskammer ab und warnt vor einem "negativen ökologischen Effekt", wenn Spediteure dann von großen auf kleine Transporter umsteigen.

Dem ehemaligen SPÖ-Verkehrsminister nach bedeutet die Wiedereinführung der 2013 von seiner Partei abgeschafften Ausnahmen "im Kern nur freie Fahrt für Deutsche auf österreichischen Autobahnen". Dass neben österreichischen Anliegern von Ausweichrouten vor allem deutsche Touristen von der Mautbefreiung profitieren werden, glauben aber auch deutsche Medien wie der Focus. Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Markus Söder sprach deshalb von einem "positiven Signal".