Österreich: Verfassungsgerichtshof lässt neu wählen
Bundespräsidenten-Stichwahl ungültig
Heute Mittag hat der österreichische Verfassungsgerichtshof (VfGH) der Anfechtung der Bundespräsidenten-Stichwahl durch die FPÖ stattgegeben. Nun muss die Wahl nicht nur in einzelnen Bezirken, sondern in ganz Österreich wiederholt werden - wahrscheinlich im Herbst.
Grundlage der Entscheidung des Gerichts sind zahlreiche Regelverstöße bei der Auszählung der Briefwahlstimmen, die den 144.006-Stimmen-Vorsprung des FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer am Montag nach der Wahl in einen 30.863-Stimmen-Rückstand verwandelt hatten. Die Freiheitlichen fochten die Stichwahl an und begründeten dies mit Regelverstößen in 94 von insgesamt 117 Wahlbezirken. Bei der Befragung von 67 Zeugen erhärtete sich dieser Verdacht.
Bundeswahlbehördenleiter Robert Stein zeigte sich nach der Zeugenanhörung "erstaunt" über das "fehlendes Unrechtsbewusstsein" bei manchen Auszählern, die Regelverstöße mit der Bemerkung rechtfertigten, das habe man schon immer so gemacht. Ein Wahlleiter verweigerte die Aussage, weil er sich nicht selbst belasten wollte. Das Aufdecken dieser Zustände dürfte mit der Anlass dafür gewesen sein, dass Gerhart Holzinger, der Präsident des Verfassungsgerichtshofs, in seiner heute verkündeten Entscheidung auch Schulungen für die Wahlbeisitzer empfahl.
Zu den Regelverstößen zählen unter anderem die vorschriftswidrige Lagerung Hunderttausender Wahlkarten, die verfrühte Öffnung von Kuverts, die verfrühte Auszählung, das Auszählen ohne oder mit zu wenigen Beisitzern, "Auszählungsvorarbeiten" wie das Vorsortieren in gültige und ungültige Karten ohne Information und ohne Beisein der Beisitzer, die Nichtladung von Beisitzern, das Wegwerfen von Kuverts wegen Zähldifferenzen, das Ignorieren von verschlampten und erst später wiedergefundenen Wahlkarten und das verbotene Delegieren von Aufgaben. Einige Beisitzer unterschrieben Sitzungsprotokolle, obwohl sie bei der Auszählung gar nicht zugegen waren. Ob FPÖ-Beisitzern der Zugang zu Räumen verweigert wurde, blieb strittig.
Möglichkeit der Manipulation durch Regelverstöße reicht
Georg Bürstmayr, der Anwalt des ehemaligen Grünen-Chefs Alexander van der Bellen betonte bereits vor Bekanntgabe der heutigen Entscheidung, es sei kein Wahlbetrug festgestellt worden. Der Nachweis einer Manipulation ist für das Ungültigsein der Wahl auch gar nicht nötig: Es reicht die bloße "Möglichkeit dazu", wie Holzinger hervorhob.
Diese Möglichkeit sieht der VfGH in mindestens 14 der Wahlbezirke vorliegen, weil dort nachweislich "Wahlkarten außerhalb einer Sitzung der Bezirkswahlbehörde geöffnet" und damit "Rechtsvorschriften verletzt wurden, die unmittelbar auf die Vermeidung von Wahlmanipulationen gerichtet sind". Obwohl die Regelverstöße nur die Briefwahl in diesen Bezirken betreffen, muss die ganze Wahl wiederholt werden, weil Wahlkarten in jedem Stimmbezirk abgegeben werden können.
Wahlwiederholung im Herbst
Die ursprünglich für den 8. Juli angesetzte Vereidigung von Alexander van der Bellen als Bundespräsident wird nun nicht stattfinden. Stattdessen wird es wahrscheinlich am 25. September oder am 2. Oktober eine Wahlwiederholung geben. Diese beiden Termine hat sich das Innenministerium Medienberichten nach dafür reserviert. Bis dahin wird das Nationalratspräsidium "als Kollegialorgan die Geschäfte des Staatsoberhaupts übernehmen".
Dem Kurier zufolge trifft die heutige Gerichtsentscheidung auch die Grünen nicht unvorbereitet: Sie haben im Geheimen angeblich schon einen zweiten Stichwahlkampf vorbereitet und Geld dafür beiseite gelegt.
Die heutige Ungültigerklärung der Wahl ist in Österreich kein Novum, aber der bislang umfassendste Fall: In den beiden anderen Fällen - den Parlamentswahlen 1970 und 1995 - mussten die Wahlen nur in Teilgebieten wiederholt werden. Beide Anfechtungen führten dazu, dass die Freiheitlichen ein Mandat dazugewannen und die ÖVP eines abgeben musste.
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