Österreich im Wahlkampf: Ibiza à gogo
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Die FPÖ lässt unmittelbar vor dem Ende des Wahlkampfs die Kommentarspalten fluten. Die neuen Enthüllungen rund um Erpressungen, Spesenkonten und Sporttaschen voller Geld überfordern eine längst abgestumpfte Öffentlichkeit.
Der neue Vorsitzende und ehemalige Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer richtet sich flehentlich an seine österreichischen Mitbürger: "Lassen Sie nicht zu, dass Kriminelle Sie in ihrer Wahlentscheidung beeinflussen." Dieser Satz kann sehr unterschiedlich interpretiert werden. Denn wer genau die "Kriminellen" sind, ist nämlich noch ein wenig unklar. Fraglos befinden sie sich in der FPÖ.
Für Hofer sind sie dort - in nicht ganz leicht erklärbarer Weise - hineingeschmuggelt worden, um die Partei, das Land (genannt "unsere Heimat") und die Demokratie zu "zerstören". Andere, der Partei weniger wohlgesonnene Beobachter, nehmen hingegen an, die Kriminellen stammen aus dem FPÖ-eigenen Anbau und all das, was nun in einer neuen Welle der Enthüllungen zu Tage trete, zeige eben, wie in dieser Partei agiert werde.
Weil im Wahlkampf, insbesondere in dessen letzter und heißester Phase alle Ereignisse nur Kanonenfutter im Spiel um die Deutungshoheit sind, ist die juristische Aufarbeitung vollkommene Nebensache. Die Frage ist vielmehr, wer kann wem was anhängen und welche Erzählung greift. Ganz unabhängig davon, wie weit diese von der Realität entfernt sein mag.
Ich ist ein anderer
Nach dem Auftauchen des berüchtigten Ibiza-Videos trat Heinz-Christian Strache als Parteiobmann und Vizekanzler zurück. Er bat Familie und Öffentlichkeit um Verzeihung. Diesen Schritt bereute er wenig später und begann sich um ein zügiges Comeback zu bemühen. Offenbar hatte die FPÖ die Wirkung des Videos falsch eingeschätzt, oder sie befürchtete, dass noch mehr Material dieser Art ans Tageslicht käme. Nachdem Neuwahlen ausgerufen waren und der Wahlkampf begann, zeigte sich, dass die im Video zur Schau gestellte Bereitschaft zur Korruption von Strache und Johann Gudenus, dem damaligen FPÖ-Klubobmann, sich nur wenig in der öffentlichen Meinung verfing.
Es sei halt ein vom Alkoholeinfluss getrübtes falsches Bild entstanden. Strache meinte, beim Anschauen des Videos würde er sich selbst nicht erkennen: "Das bin nicht ich." Den intellektuelleren Flügel des Wiener Zeitungsboulevards verleitete die Aussage zu längeren Abschweifungen über Jaques Lacan. Die breitere Öffentlichkeit registrierte lediglich, dass noch die fadenscheinigste Ausrede ziehen kann. Parteipolitische Überzeugungen oder auch nur Neigungen werden durch Skandale eben kaum in Frage gestellt. Dem großen französischen Psychoanalytiker Lacan muss dieses Faktum bei der Analyse der menschlichen Persönlichkeit leider entgangen sein.
Eine aberwitzige persönliche Identifizierung und Solidarisierung mit Strache war in Österreich zu beobachten, die der Formel folgte: "Entwickeln wir nicht alle, wenn wir alkoholisiert sind, dezidierte und ausführliche kriminelle Pläne zum Ausverkauf der Republik an ausländische Oligarchen und arbeiten monatelang an deren Umsetzung?"
Keine Argumentation war zu weit hergeholt und den Rest besorgte ein zünftiges Menscheln. Der Boulevard zeigte harmonische Bilder von Strache und Gudenus mit ihren treuen Lebenspartnerinnen, die wiederum gerne für die kleinen Hoppalas ihrer Männer Erklärungen lieferten. Philippa Strache soll für ihre Mühen um ihr "kleines Monster" sogar mit einem Nationalratsmandat belohnt werden.
"Kriminelle Netzwerke"
Wichtiger aber war ein zweiter Kniff. Die wahren Kriminellen seien jene, die das Video gemacht haben. Strache und Gudenus seien heimtückisch in eine Falle gelockt worden und dort illegal, heimlich und gegen ihren Willen gefilmt worden. Man denke sich dies einmal!
Die Erklärung passte sehr gut in das von Konservativen und Rechten bediente Schema einer "dunklen Bedrohung". Es wurde sich nämlich gegen Österreich verschworen. Flüchtlinge, Ausländer und all das ungewünschte Fremde, holt das Publikum gut bei seinen Emotionen ab. In Zeiten, in denen den von Spindoktoren entworfenen Politikern und deren Aussagen kaum geglaubt werden kann, sticht die Angst vor dem Unbekannten alles andere aus.
Die Bedrohung wird dann übersteigert zu einem geheimen Plan. Die Gespenster der "Überfremdung" oder des "Bevölkerungsaustausches" sollen einem Skript folgen, das die meisten Politiker und Journalisten verschweigen würden. Diese Argumentation ist in tückischer Weise unwiderlegbar, denn wie soll bewiesen werden, dass es etwas nicht gibt, wenn diejenigen, die es an die Wand malen, von dessen Nichtaufdeckbarkeit überzeugt sind? Beweise sind sinnlos, denn dass die Verschwörungen nicht aufgedeckt werden können, ist der Beleg für die Richtigkeit ihrer Annahme. Existenz wird somit durch Nicht-Existenz bewiesen.
An dieser Stelle hilft tatsächlich nur mehr Lacan. Diese archaisch anmutenden Gefühlslage, die gerade die österreichische Öffentlichkeit im Griff hat, kann man sich vielleicht so vorstellen: Die reale Bedrohung durch einen (zum Beispiel) Höhlenbär kann bekämpft werden. Man mag den Kampf gegen das Tier verlieren, aber es erlaubt geistige und physische Gegenwehr. Der Kampf gegen das Bild des Höhlenbären ist aussichtslos, dem kann man sich nur unterwerfen. Ebenso verhält es sich mit den Kriminellen. Das Bild des dunklen Kriminellen ist stärker als jeder Beleg faktischer krimineller Umtriebe.
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