Offenes Wasser in der Nähe des Nordpols
Die Energie- und Klimawochenschau: Angesichts des Trommelfeuers, das derzeit auf die Energiewende und das EEG niedergeht, ist es schon erstaunlich, wie wenig die Auseinandersetzung im Wahlkampf eine Rolle spielt
Insbesondere bei den Grünen erstaunt es, wie wenig sie ein Kernanliegen ihrer Wähler in den Vordergrund stellen. Das ist umso verwunderlicher, als doch ihr Programm allerlei Interessantes zu bieten hat. Zum Beispiel den Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2030, ein ehrgeiziger, abgestufter Reduktionsplan, der die Treibhausgase bis 2050 auf fünf Prozent des 1990er Niveaus vermindern soll, und natürlich die Verteidigung des "Einspeise- Anschlussvorrangs" der erneuerbaren Energieträger.
Oder auch ein wichtiges Detail für alle, die sich über den umfangreichen Maisanbau der Biogasanlagen Sorgen machen: Das EEG soll so geändert werden, dass die Förderung von Biogasanlagen "künftig auf die Verwertung biogener Reststoffe konzentriert und Anreize geschaffen werden, von Monokulturen auf Anbau in Fruchtfolgen und auf ökologisch und landschaftlich attraktive Energiepflanzen (z.B. Blühpflanzenmischungen, Kleegras) umzustellen."
Aber aus nicht einsichtigen Gründen hält die Partei sich mit ihren Vorschlägen im Wahlkampf eher zurück, und lässt den interessierten Bürger weitgehend im Unklaren, wie sie sich in den sich abzeichnenden Konstellationen nach der Wahl, sei es in einer nicht ganz auszuschließenden Koalition mit der Union, sei es in Opposition zu einem Bündnis aus Union und SPD, verhalten wird. Auch im letzteren Fall gibt es über den Bundesrat, der einem Teil der Änderungen am EEG zustimmen müsste, noch Einflussmöglichkeiten, denn immerhin haben die Grünen derzeit bei 23 von 69 Stimmen in der Länderkammer ein Wörtchen mitzureden.
Doch während die Grünen sich, vielleicht aus Rücksicht gegenüber künftigen Koalitionspartnern, bedeckt halten, und in der Linkspartei, die zwar energiepolitisch eine nicht unähnliche Programmatik hat, das Thema innerparteilich eher als Randgruppenproblem behandelt wird, haben es vergangene Woche doch noch Bürgerinitiativen geschafft, ein paar Akzente zu setzen und das Feld nicht ganz den Industrielobbyisten zu überlassen.
Aktionstage gegen Atom und Kohle
Am Samstag gab es in einigen Städten Aktionen für einen schnelleren Atomausstieg. In Braunschweig beteiligten sich nach Angaben der Kampagne ".ausgestrahlt" mehr als 2.000 Menschen an einer Umzingelung der Firma Eckert&Ziegler, die ihre dortige Anlagen, in denen mit radioaktiven Substanzen umgegangen wird, in unmittelbarer Nachbarschaft einer Vorortsiedlung betreibt. An der Aktion beteiligte sich neben Bauern aus der Region auch die Gewerkschaft IG Metall, die Ärztevereinigung IPPNW und die Umweltorganisation Robin Wood.
Auch in Duisburg wird radioaktives Material in der Nachbarschaft von Wohnhäusern und einem Kindergarten bearbeitet. Die GNS (Gesellschaft für Nuklearservice) konditioniert dort in ihrem Werk direkt am Rhein radioaktiven Müll. 250 Atomkraftgegner protestierten am Samstag dagegen, berichtet die Zeitung "Neues Deutschland". Deren Autor weist außerdem dezent auf die Beteiligung der Grünen an dem Ausbau der Urananreicherungsanlage im nordrhein-westfälischen Gronau hin, gegen die in Duisburg ebenfalls protestiert wurde.
Eine weitere Demonstration im Rahmen des Anti-Atom-Aktionstages gab es im französischen Metz, an der auch deutsche AKW-Gegner teilnahmen. Gegenstand des Protests war das lothringische AKW Cattenom.
Es wird von Atomausstieg geredet, aber kein Problem ist vom Tisch und die Gefahren werden größer nicht kleiner. Wer mit uns über 1.000.000 Jahre Sicherheit beim Atommüll reden will, der muss erstmal nachweisen, dass er mit den Gefahren im Hier und Jetzt umgehen kann und dies auch tut. Jede neue Bundesregierung wird sich darauf einstellen müssen, dass die Auseinandersetzung um Atomenergie unvermindert weiter geht.
Peter Dickel, Arbeitsgemeinschaft Schacht Konrad
Eher klein fiel hingegen einen Tag zuvor eine hauptsächlich für die Presse gedachte Aktion der Klima-Allianz vor dem Reichstagsgebäude in Berlin aus. 40 Aktivisten schütteten dort eine Tonne Braunkohlebriketts ab, um gegen die fortgesetzte Verbrennung von Kohle und den Aufschluss neuer Tagebaue zu protestieren. "Wir brauchen eine klare und verlässliche Richtungsentscheidung für die dezentrale Energiewende in der Hand der Bürgerinnen und Bürger. Dies ist ökonomisch vernünftig und wichtig für die Akzeptanz vor Ort", meinte Thorben Becker Mitorganisator der Aktion und Sprecher der Kampagne "Die Wende - Energie in Bürgerhand".
Einwände gegen Tagebau
Auch die Klimaaktivisten veranstalteten am Samstag einen Aktionstag und man muss sich fragen, weshalb es keine Koordination mit den Anti-Atom-Protesten gab. Insgesamt soll es in 70 Städten Proteste gegeben haben. In Dresden demonstrierten zum Beispiel rund 300 Menschen gegen den Tagebau Nochten II, wie die "Dresdner Neueste Nachrichten" berichten. Mit dabei auch Dorfbewohner aus der Lausitz, deren Häuser dem Tagebau weichen müssten. Derzeit befindet dieser sich noch im Genehmigungsverfahren, und zwar länderübergreifend sowohl in Brandenburg als auch in Sachsen. Ein örtliches Bündnis fordert dazu auf, Einwendungen zu schreiben.
Der nördliche Teil des geplanten neuen Tagebaus liegt im Bundestagswahlkreis Cottbus-Spree-Neiße, der bisher von dem ausgesprochenen Braunkohlegegner Wolfgang Nešković vertreten wird. Er hatte das Direktmandat 2009 als Parteiloser auf dem Ticket der Linkspartei erobert, deren Fraktion aber inzwischen im Streit verlassen. Unter anderem kritisiert er die Anpassung der Partei, die in Potsdam gemeinsam mit der SPD regiert, an den Pro-Braunkohle-Kurs der Sozialdemokraten. Aus Rache hat diese ihn daher nicht wieder aufgestellt, weshalb er es am Sonntag nun als Unabhängiger versucht und dabei interessanter Weise prominente Unterstützung aus Berlin erhält.
Tropenstürme
Derweil wurden zu Beginn der Woche die japanischen Inseln von dem Taifun "Man-Yi" durchgepustet, wie unter anderem die Zeitung "The Mainichi" berichtetY. Demnach wären einige Hunderttausend Menschen aufgefordert worden, ihre Häuser zu verlassen und sich vor den schweren Regenfällen und nachfolgenden Überschwemmungen in Sicherheit zu bringen. An einigen Wetterstationen wurden 500 Millimeter Niederschlag und mehr gemessen.
Auch über dem Gelände der drei havarierten Reaktoren in Fukushima fielen schwere Niederschläge. Die Nachrichtenagentur "Bloomberg" berichtet, unter Berufung auf Betreiber Tepco, von 1.130 Tonnen oder 1,13 Millionen Regenwasser, die vom Gelände ins Meer geleitet wurden.
Annähernd zeitgleich wurde auch Mexiko von tropischen Wirbelstürmen heimgesucht, und zwar ungewöhnlicher Weise von zweien zur gleichen Zeit. An der Karibikküste wütete Hurrikan Ingrid, während etwas weiter im Westen die Pazifikküste vom Tropensturm Manuel durchgeschüttelt wurde. Ein Tropensturm zeichnet sich im Vergleich zum Hurrikan oder Taifun durch geringere Windstärken aus. Hurrikan und Taifun sind unterschiedliche Bezeichnungen für das gleiche Phänomen.
Mindestens 55 Menschen seien in Fluten und durch Erdrutsche ums Leben gekommen, berichten die "Nature World News". Besonders schwer wurde der Ferienort Acapulco an der Pazifikküste getroffen. Landesweit scheinen Schäden in Milliarden-Euro-Höhe entstanden zu sein.
Jahrtausendereignis
Schwere Überschwemmungen gab es auch weiter nördlich im US-Bundesstaat Colorado. Großflächige und mehrere Tage anhaltende extreme Niederschläge rund um die Universitätsstadt Boulder führten dort zu Chaos und Notstand. Mindestens fünf Todesopfer sind zu beklagen, rund 1500 Wohnhäuser wurden zerstört.
Die Niederschläge gelten als Jahrtausendereignis, aber ein ähnlich zerstörerisches Hochwasser hatte es auch 1894 gegeben. Wegen seiner ungünstigen Lage am Ausgang einer Schlucht kommt es in Boulder gelegentlich zu starken Überschwemmungen.
In diesem Jahr war das Besondere allerdings, dass die Stadt wie größere Teile des Mittleren Westen unter einer langanhaltenden Dürre litt. Die Niederschläge machen das Jahr schlagartig von einem der trockensten der je in Boulder beobachteten Jahre zum Niederschlag reichsten. Schon jetzt ist in diesem Jahr mehr Regen gefallen, als je in einem Jahr zuvor, schreibt Andrew Freedman auf "Climate Central". Ob damit auch die Dürre vorbei ist, muss sich erst noch zeigen. Für gewöhnlich fließen Starkniederschläge auf ausgetrocknetem, hartem Boden schnell ab.
Minimum erreicht
Derweil brachten die Unwetter auch die Arbeit am National Snow and Ice Data Center (NSIDC) zum Erliegen, das in Boulder beheimatet ist. Dort werden unter anderem die Satellitendaten aus der Arktis aufgearbeitet, die Auskunft über die Ausdehnung der Eisbedeckung des arktischen Ozeans und die Flächen geben, die auf Grönland tauen.
Inzwischen ist die NSIDC-Seite allerdings wieder online und die Daten aus Boulder zeigen erwartungsgemäß, wie auch die anderer Arbeitsgruppen, dass das Meereis vermutlich den Punkt seiner geringsten Ausdehnung erreicht hat. Die fällt in diesem Jahr etwas größer als im vorhergehenden Rekordjahr 2012 aus (Arktis: Neuer Minusrekord erreicht).
Nach einem vergleichsweise kühlen Sommer betrug am 16. September nach NSIDC-Angaben die Eisausdehnung noch 5,1 Millionen Quadratkilometer. In den nächsten Tagen kann es aufgrund von Winden noch einige Fluktuation geben, aber im Wesentlichen dürfte das das diesjährige Minimum sein. Zum ersten Mal seit mehreren Jahren blieb die Nordwest-Passage blockiert.
Die Nordost-Passage ist allerdings seit mehreren Wochen frei. Besonders auffällig: Nördlich von Franz-Josef-Land, zwischen 60 und 90 Grad östlicher Länge, hat sich die Eisgrenze besonders weit gen Nordpol zurückgezogen. Sogar jenseits des 85. Breitengrades gibt es noch offenes Wasser. Der Rückgang wird weiter gehen und mit ziemlicher Sicherheit in wenigen Jahren ein neuer Minusrekord aufgestellt werden.