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Ohne Bodenreform keine Agrarwende: Warum man sich von Illusionen lösen muss

Landwirtschaft im Wandel: Mähdrescher auf deutschem Ackerland

Bauern kämpfen für "Gemeinwohlverpachtung" und Agrarstrukturgesetze. Widerstände der Grundeigentümer sind stark. Der (neue) Kampf um den Boden. (Teil 3 und Schluss)

Im vorangegangenen Teil dieser Seite (Teil 2 [1]) wurde dargestellt, dass für eine nachhaltige Nahrungsproduktion mehr Fläche benötigt wird. Gleichzeitig wird landwirtschaftlich nutzbarer Boden für viele unbezahlbar (Teil 1 [2]).

Die Fehlentwicklungen am deutschen Bodenmarkt sind keineswegs neu. Schon kurz nach der Finanzkrise 2008 kursiert das (etwas schiefe) Schlagwort vom "land grabbing in Ostdeutschland". Statt wie im Globalen Süden enteignet, werden Landwirte aus dem Bodenmarkt gedrängt oder stöhnen unter immer höheren Pachtpreisen.

Aber obwohl diese Entwicklung allgemein beklagt wird, von Bauernverbänden über die Agrarminister bis hin zu den Umweltorganisationen, kommen Gegenmaßnahmen nicht in Gang.

Seit der Föderalismusreform 2006 sind die Länder zuständig für den landwirtschaftlichen Grundstücksverkehr. 2015 erarbeitete eine Arbeitsgruppe Bund und Ländern Grundlagen für eine bessere Bodenpolitik [3].

Neue Agrarstrukturgesetze wurden in vielen Bundesländern angekündigt, sie stehen sogar in den Koalitionsverträgen sämtlicher ostdeutscher Landesregierungen. Seit Jahren liegen Entwürfe in den Schubladen der Agrarministerien ("Agrarstruktursicherungsgesetze", "Agarsicherungsgesetze").

Diese Gesetze sollen den Vorrang für Landwirte im Grundstücksverkehr sicherstellen. Sie enthalten Anzeigepflichten, Obergrenzen für die Preiserhöhung bei Kauf und Pacht (vergleichbar mit den städtischen Mietpreisbremsen oder Mietspiegeln), teilweise auch Einschränkungen von Anteilkäufen.

Diese Entwürfe wandern aber regelmäßig wieder zurück in die Schublade, weil der Widerstand zu stark ist. Er kommt von der Finanzbranche, die um ihr lukratives Geschäftsfeld kämpft, und von den Bauern, die wie bisher an den Meistbietenden verkaufen wollen. Diese Position vertritt insbesondere der Bauernverband, in Westdeutschland eng verwoben mit CSU und CDU, in Ostdeutschland auch mit der Linken.

In Niedersachsen wird das Gesetz seit mittlerweile fünf Jahren immer wieder überarbeitet [4]. In Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg treiben die Landesregierungen den Prozess einfach nicht voran. Lediglich in Sachsen besteht überhaupt noch eine Chance [5], dass das Gesetz vor den nächsten Wahlen verabschiedet wird.

Die Landesregierungen zögern, zaudern und verwässern. Die Gesetzesentwürfe sind mittlerweile von fast allen Erfolg versprechenden Maßnahmen gereinigt worden. Mit der Ausnahme von Brandenburg werden Anteilskäufe, die den Preisanstieg antreiben, überhaupt nicht mehr reguliert.

In Thüringen sieht der Entwurf lediglich vor, dass die Behörden über Anteilskäufe informiert werden müssen. Eine moderate Kauf- und Pachtpreisbremse soll eingeführt werden. Dennoch läuft der dortige Bauernverband Sturm [6]. Das ganze Vorhaben Gesetz sei nicht verfassungsgemäß [7], und überhaupt: "Was in Thüringen verfassungswidrig ist, ist es in ganz Deutschland!"

Dabei beruft sich der Bauernverband auf ein Gefälligkeitsgutachten [8], das an dem Gesetzesentwurf kein gutes Haar lässt: ungeeignet, zu unbestimmte Rechtsbegriffe, nicht verfassungsgemäß, überhaupt seien die Bundesländer nicht zuständig.

Gezerre in einem kommerzialisierten Agrarsystem

Vielleicht wird das Bundesverfassungsgericht tatsächlich zu derselben Einschätzung kommen und die Agrarstrukturgesetze kassieren. Das Vorhaben berührt zentrale Rechtsgüter in Deutschland und der Europäischen Union: die Vertrags-, Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit und die freie Verfügung über das Eigentum. Allerdings stellt sich die Frage, ob eine Agrarreform überhaupt gelingen kann, wenn sie Eigentum und Kapital nicht berühren darf?

Auf die Gerichte sollten sich die Befürworter einer Agrarwende jedenfalls nicht verlassen. Das Problem besteht darin, dass die geplanten Gesetze eine bestimmte Käufergruppe diskriminieren, was natürlich begründungsbedürftig ist. Allein rechtssicher zu definieren, wer zu den (erwünschten) Landwirten zählen darf und wer als (unerwünschter) Investor gilt, ist schwierig.

In der Debatte ist oft die Rede von "landwirtschaftsfremden" Käufern oder "Nichtlandwirten". Aber das Leitbild eines "familiengeführten Betriebs" taugt längst nicht mehr, schon gar nicht in Ostdeutschland, wo der durchschnittliche Betrieb 224 Hektar groß ist.

Warum, fragen neoliberale Agrarökonomen [9] nicht ganz zu Unrecht, sollen ausgerechnet in der Landwirtschaft Eigentum und Besitz in einer Hand liegen, wenn das in anderen Branchen auch nicht der Fall ist?

Welche Rolle die Investoren in der Praxis spielen, ist umstritten. Jan Brunner [10], Geschäftsführer des Vereins Arbeitsgemeinschaft kleinbäuerliche Landwirtschaft (ABL) Mitteldeutschland, hält ihre Geschäftsmodelle für besonders rabiat [11]. Sie seien "gewinnorientierter", würden sich stärker auf bestimmte Produkte spezialisieren und teilweise auf eine weitere Steigerung der Bodenpreise spekulieren.

Anders schätzt es das Thünen-Institut ein [12]:

Bei genauerer Betrachtung unterscheiden sich die Produktionsmodelle der überregionalen Agri-Holdings und der meisten lokalen Holdings, aber auch der Familienbetriebe kaum.

Die Holdings orientieren sich bei der Bewirtschaftung offenbar eher am maximalen Ertrag. Ob sie in Biomasse, Photovoltaik oder Kartoffeln machen, ist ihnen tendenziell gleichgültiger. Aber auch auf die Handvoll bäuerlicher Familienbetriebe, die es noch gibt, wirken die gleichen Marktkräfte wie auf Agrarunternehmen.

Das Narrativ, wonach Investoren über eine ländliche Idylle herfallen, verzerrt die Wirklichkeit. Es verharmlost die Verhältnisse im kommerzialisierten Agrarsystem. Lohnarbeit spielt bei allen Betriebsformen eine wachsende Rolle (in Gestalt hoch qualifizierter Auftragnehmer und weniger qualifizierter, meist migrantischer Erntearbeit).

Begleitet vom Mantra "Wachsen oder Weichen" wurden aus Bauern Agrarunternehmer. Viele führen mittelständische Unternehmen, um konkurrenzfähig zu sein. Manche Bauern haben sich gegen die politisch gewollte Spezialisierung und Konzentration gesperrt, andere vorgedrängelt, die meisten den Beruf gewechselt. Es gibt die kleinbäuerlichen Familienbeitriebe nicht mehr, die die breite Bevölkerung versorgen könnten.

Dies spricht natürlich nicht gegen Bodenpreisbremsen, um die Grundrenten zu senken. Aus sozialer und ökologischer Perspektive hat sie verheerende Folgen. Gesine Langlotz, eine Sprecherin der AbL Mitteldeutschland, formuliert es so [13]:

Dieser Preis wird durch Übernutzung, Verschmutzung oder die Ausbeutung von Arbeitskräften an die Umwelt sowie an die osteuropäischen Saisonarbeiterin weitergereicht.

Der wachsende Anteil der Grundrente in der Landwirtschaft ist insofern nicht produktiv, sondern destruktiv. Er spannt die Erzeuger noch fester ein in das Laufrad der Rationalisierung und (Selbst-)Ausbeutung.

Politische Blockaden

Die geplanten Agrarstrukturgesetze werden an den Verhältnissen in der Landwirtschaft allerdings kaum etwas ändern. Die geplanten Änderungen sind nicht gerade unbedeutend, aber sicher auch nicht durchgreifend.

Die Bodenpreisbremse beispielsweise würde den erlaubten Anstieg auf 20 Prozent über dem aktuellen Verkehrswert festsetzen. Sie sind, bildlich gesprochen, ein Pflaster auf eine klaffende Wunde. Die Folgen der jahrzehntelangen Marktliberalisierungen sollen zurückgedrängt, etwas abgemildert werden, aber ohne einen Marktakteur zu verprellen.

Die AbL hat unterdessen eine Kampagne für "Gemeinwohl-Verpachtung" gestartet. Die Verpächter sollen soziale und ökologische Kriterien [14] anlegen, wenn sie ihr Land überlassen.

In einem Interview [15] erklärt Gesine Langlotz von der AbL die Idee:

Wenn etwa ein bestehender Pachtvertrag endet, sollte es transparente Bewerbungsverfahren geben. (…) Wer das Konzept mit den meisten Gemeinwohlpunkten vorlegt, bekommt den Pachtvertrag. Bewertet werden etwa Biodiversität und Klimaschutz, Arbeitsplätze pro Hektar, Tierwohl oder Direktvermarktung.

Der Kampagne ist es gelungen, die Evangelische Kirche Mitteldeutschland und die Diözese Münster von der Idee zu überzeugen. Auch Thüringen wird die landeseigenen Flächen in Zukunft gezielter verpachten, wobei Kriterien wie Direktvermarktung, die Zahl der Arbeitsplätze und die Kombination aus Tierhaltung und Ackerbau berücksichtigt werden.

Die Gemeinwohl-Verpachtung betrifft allerdings nur die öffentlichen Eigentümer – maximal zehn Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche.

Eine einvernehmliche Agrarwende ist Traumtänzerei

Die öffentliche agrarpolitische Debatte ist unterdessen auf das Niveau eines antiautoritären Kindergartens ab: "Verbieten verboten!" Den Agrarunternehmen Vorschriften zu machen, ist verpönt. Stattdessen sollen sie belohnt werden, wenn sie einmal etwas (ökologisch) richtig gemacht haben. Und viel Lob und Anerkennung natürlich, das brauchen sie auch. Die Infantilisierung überdeckt den handfesten Interessenkonflikt.

Weil Verzweiflung und Zynismus grassieren, muss unbedingt darauf hingewiesen werden, dass es eine Vielzahl konkreter Möglichkeiten in der Landwirtschaft gibt, der ökologischen und sozialen Krise zu begegnen.

Ohne Steuerung der Bodennutzung wird die sogenannte Agrarwende allerdings bloßes Gerede bleiben. Die marktliberal-ökologische Agrarpolitik, wie sie in Deutschland primär von Grünen (und auf Landesebene von der Linken) betrieben wird, scheut den Konflikt mit den Grundbesitzern und den Erzeugern.

Aber dass diese sich mit ein bisschen Grünlandprämie hier und etwas Tierwohl-Label da "mit ins Boot holen" lassen, wie die gängige Floskel lautet, ist Traumtänzerei.

Ist überhaupt eine Frage bedeutsamer als die, wem Grund und Boden gehören? Grundeigentum bedeutet Macht und politischen Einfluss, Einnahmen und Subventionen.

Grundbesitzer können über ihre Lobby politische Entscheidungen lenken oder wenigstens umlenken, aber ihre Macht wirkt auch ganz praktisch. Wenn sie sich sperren, sind Reformen in der Landwirtschaft oder bei der Energiegewinnung aussichtslos.

Das Privateigentum an Grund und Boden bedeutet insofern nicht weniger als die Verfügungsgewalt über unsere Lebensgrundlagen. Nie zuvor war dieser Widerspruch so krass wie heute und so wenigen Menschen bewusst.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-9357327

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/tp/features/Klimawandel-und-Landwirtschaft-Fruchtbares-Ackerland-in-Deutschland-wird-knapp-9357323.html
[2] https://www.heise.de/tp/features/Finanzkapital-auf-dem-Acker-Ein-Trend-seit-der-Finanzkrise-9357319.html
[3] https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/_Landwirtschaft/Flaechennutzung-Bodenmarkt/Bodenmarkt-Abschlussbericht-Bund-Laender-Arbeitsgruppe.html
[4] https://www.ml.niedersachsen.de/startseite/aktuelles/pressemitteilungen/den-wandel-zu-mehr-nachhaltigkeit-gemeinsam-voranbringen-219961.html
[5] https://www.bauernstimme.de/news/details/sachsen-agrarstrukturgesetz-auf-dem-weg
[6] https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/mitte-thueringen/erfurt/agrarstrukturgesetz-bauernverband-landtag-beschluss-100.html
[7] https://www.tbv-erfurt.de/component/k2/item/1880-medieninformation-thueringer-agrarstrukturgesetz-in-weiten-teilen-verfassungswidrig
[8] https://tbv-erfurt.de/files/downloads/themen/Agrarstrukturgesetz/Gutachten_ThuerAFSG.pdf
[9] https://www.researchgate.net/publication/371242675_Stellungnahme_zum_Entwurf_des_Gesetzes_zum_Erhalt_und_zur_Verbesserung_der_brandenburgischen_Agrarstruktur
[10] https://www.abl-mitteldeutschland.de/ueber-uns/vorstand-und-geschaeftsfuehrung
[11] https://econpapers.repec.org/paper/zbwglocrs/3.htm
[12] https://www.thuenen.de/de/newsroom/presse/pressearchiv/pressemitteilungen-2013/investoren-wollen-beim-einstieg-in-agrarunternehmen-das-sagen-haben
[13] https://www.blaetter.de/ausgabe/2023/september/nicht-vermehrbar-der-ausverkauf-des-bodens
[14] https://www.abl-ev.de/apendix/news/details/gemeinwohlverpachtung-kriterienkatalog-fuer-flaechenbesitzerinnen-und-besitzer
[15] https://zeitschrift-luxemburg.de/artikel/ackerland-gerecht-verteilen/