Ohne Plan und mit zweifelhaftem Erfolg
US-Verteidigungsminister Rumsfeld versucht sich in präventiver Schuldzuweisung für die "gemischten Ergebnisse" im globalen Krieg gegen den Terrorismus und denkt an die Einrichtung einer neuen Superbehörde
In einem Schreiben an Generalstabschef Dick Myers (Air Force), Paul Wolfowitz, Vize-Generalstabschef Pete Pace (Marine) und Doug Feith äußerte US-Verteidigungsminister Zweifel am bisherigen Verlauf des "globalen Kriegs gegen den Terrorismus. In dem Memo vom 16. Oktober, das USA Today zugespielt wurde, geht es um Fragen, die bei einem gemeinsamen Treffen erörtert werden sollten. Das Memo steht scharf im Gegensatz zu den öffentlich bekundeten Erfolgsmeldungen der US-Regierung.
Es steht tatsächlich nicht zum Besten. Zwar sind die beiden Kriege, die die Bush-Regierung im ausgerufenen Krieg gegen den Terrorismus bislang geführt hat, schnell gewonnen worden, doch die Situation nach dem Krieg zeigen nicht die erwarteten Erfolge. In Afghanistan ist das von der eingesetzten Regierung kontrollierte Gebiete noch immer eine Insel, während weiterhin die Warlords herrschen und die Taliban an Stärke gewinnen. Die Besatzung im Irak verlief wohl völlig anders als geplant. Die USA zahlen dafür mit Menschenleben und viel Geld, während durch Krieg, Besatzung und ebenso gescheiterter Nahostpolitik die gesamte Region instabil geworden ist.
Noch ist der Irak, was auch auf Afghanistan zutrifft, weit davon entfernt, die wirtschaftlich blühende und US-freundliche arabische Musterdemokratie zu sein, die nach der Dominotheorie durch ihr Vorbild die gesamte Region im Sinne der US-Regierung umkrempeln sollte. Doch der Aufbau im Irak geht nur langsam voran, er kostet weit aus mehr Geld als geplant, und täglich finden Angriffe auf die US-Truppen statt. Nach Ansicht des Kommandeurs der US-Truppen im Irak, General Ricardo Sanchez nehmen die Angriffe seit Oktober sogar noch zu. Waren es im Sommer täglich zwischen 10 und 15 Angriffe, so seien es im Oktober durchschnittlich zwischen 20 und 35. Mittlerweile wächst auch der Widerstand von schiitischer Seite. Nach Ansicht von Sanchez könnte die "Terroristen" gerade dann noch "radikaler und verzweifelter" werden, wenn die Besatzungstruppen sie dezimieren. Für Sanchez operiert al-Qaida zusammen mit Ansar al-Islam im Irak. Saddam Hussein wurde noch immer nicht gefunden, er soll aber jetzt erneut einen Brief geschrieben habe, in dem er zum Heiligen Krieg auffordert.
US-Verteidigungsminister Rumsfeld, neben Vizepräsident Cheney und Vize-Verteidigungsminister Wolfowitz einer der größten Falken in der Bush-Regierung, kritisiert in seinem Memo freilich nicht wirklich die von ihm selbst verantwortete Vorgehensweise für den mangelnden Erfolg. Allerdings scheint es zwischen ihm und Bush auch zu Differenzen hinsichtlich der Besatzung gekommen zu sein, nachdem der US-Präsident kürzlich - und offenbar ohne zuvor Rumsfeld zu informieren - seine Sicherheitsberaterin Rice an die Spitze der Koordinierungsgruppe für den Irak stellte. Zuvor war primär das Pentagon dafür verantwortlich.
Man werde zwar im Afghanistan und im Irak irgendwie und irgendwann gewinnen, stellt Rumsfeld fest. "Gemischte Ergebnisse" sieht er jedenfalls auch schon gegenüber al-Qaida, dem Hauptfeind. Man über zwar Druck aus, aber es seien noch immer viele unterwegs. Im Irak habe man zwar die meisten der 55 gesuchten Mitglieder des Hussein-Regimes gefangen, aber die Bekämpfung von Ansar al-Islam habe gerade erst begonnen. Mit den Taliban habe man wenig Erfolg vorzuweisen. Das aber verdankt sich wohl nicht zuletzt der Pentagon-Strategie, die Warlords als Bodentruppen eingesetzt und zudem gleich nach dem Afghanistan-Krieg den Irak ins Visier genommen zu haben. Und al-Qaida kann nun die von den USA geschaffene Operationsbühne im Irak benutzen.
Kosten-Nutzen-Verhältnis ist asymmetrisch
Insgesamt habe man keinen Bewertungsmaßstab, um Erfolg oder Misserfolg zu messen. "Sieht es gegenwärtig für uns so aus", fragt Rumsfeld. "dass wir umso stärker zurückfallen, je härter wir arbeiten?" Rumsfeld überlegt allerdings hauptsächlich in militärischen Kategorien, ob der Krieg gegen den Terrorismus es schaffe, "jeden Tag mehr Terroristen zu fangen, zu töten oder abzuschrecken, als sie von den Koranschulen und den radikalen Geistlichen rekrutiert, trainiert und gegen uns in den Einsatz geschickt werden?" Was Rumsfeld neben der direkten Bekämpfung einfällt, ist beispielsweise die Gründung einer "privaten Stiftung", um damit die radikalen Koranschulen zu einem "gemäßigteren" Kurs zu bringen. Geld soll dann wenigstens die Lehre beeinflussen, wenn die "strategische Kommunikation nichts fruchtet.
Ansonsten scheint Rumsfeld wenig Probleme mit der Politik zu haben. Allerdings hätten die USA - und damit sind wohl wieder andere in der Bush-Regierung, den Präsidenten eingeschlossen, gemeint - sich kaum um einen "breiten und umfassenden" bzw. "langfristigen Plan" zur Bekämpfung der Terroristen der nächsten Generation gekümmert, während man alles daran setzt, die Terroristen zu stoppen. Hier aber spreche das "Kosten-Nutzen-Verhältnis" dagegen: "Unsere Kosten gehen in die Milliarden, während die Terroristen nur Millionen brauchen." Das allerdings sollte von Anfang an klar gewesen sein, seit Jahren spricht man schließlich auch im Pentagon von den "asymmetrischen Konflikten".
Die nächste Generation der Terroristen, das sind eigentlich diejenigen, die nicht nur aus den Koranschulen kommen, sondern die auch in Reaktion auf das Vorgehen der USA und in der Folge von deren Terrorkrieg entstanden sind und entstehen. Tatsächlich hat man in der Bush-Regierung solche Gedanken, die Kritiker immer wieder gegen das primär militärische Vorgehen geäußert haben, ausgeblendet. Reflexion auf die Folgen der eigenen Handlungen scheinen dem Präsidenten der Supermacht, die mittlerweile wegen der Kosten an ihren Grenzen kommt und ihre Angewiesenheit nicht nur auf treue Vasallen, sondern auf die Weltgemeinschaft und andere Partner erkennen muss, sehr fern zu liegen.
Aber bei Rumsfeld scheint dies trotz Kritik auch nicht anders zu sein. Man muss den Krieg gegen den Terrorismus anders organisieren. Das Militär ist noch immer zu schwerfällig und auf den Kampf mit anderen Massenheeren ausgerichtet. Die von Rumsfeld propagierte große Transformation eines in kleinen Verbänden agierenden Hightech-Militärs nach dem Vorbild von Spezialeinheiten kommt nicht voran. Man habe auch keine "kühnen Entscheidungen" vollzogen. Anscheinend will Rumsfeld nun erwägen, ob er den Umbau der behäbigen Militärmaschinerie nicht aufgeben und dafür, ganz nach Vorbild des von Bush eingerichteten Heimatschutzministerium, eine neue Superbehörde gründen soll, die den Kampf gegen den Terrorismus zusammen mit anderen Ministerien und Behörden führt. Das klingt ganz nach klassischer Verschiebung im Rahmen der gewohnten Bürokratenstrategie, die vermutlich eher teurer kommen dürfte, aber deswegen nicht erfolgreicher wäre, da die Gründe für den Terrorismus - laut Bush "Hass" auf die Freiheit und die USA - weiterhin nicht angegangen und nur die Terroristen, also die "Symptome", bekämpft werden.
Die Sprecherin des Pentagon Larry Di Rita hatte gestern zu dem Memo Stellung genommen. Die Interpretation, dass die USA den Krieg gegen den Terrorismus verlieren könnten, entspreche in keiner Weise dem Inhalt. Rumsfeld stelle einfach "große Fragen" für die Zukunft. Es gehe ihm darum zu wissen, ob man für einen "langfristigen Kampf" schon richtig positioniert sei. Rumsfeld meinte, er habe Berichte von einigen Kommandeuren auf der ganzen Welt über den globalen Krieg gegen Terrorismus gehört und daraufhin einige Fragen notiert. Zudem würde er regelmäßig fragen, ob in einer solch großen Institution wie dem Pentagon alles richtig verläuft.