Olympia ’36: Wenn deutscher Größenwahn nach Erneuerung lechzt
Ernsthaft wird über eine Olympiade 2036 in Berlin diskutiert. Das zeigt das Ausmaß der Geschichtsvergessenheit. Woran das Vorhaben scheitern sollte. Ein Kommentar.
Eine neue Olympia-Bewerbung Berlins? Die Diskussion darüber gibt es schon seit Jahren. Doch solange Grüne und vor allem Die Linke in der deutschen Hauptstadt mitregierten, war dies schwerer umzusetzen.
Denn in beiden Parteien gibt und gab es aus unterschiedlichen Gründen Kritik an solchen Plänen. Doch jetzt, wo SPD und CDU in Berlin regieren, sehen beide Parteien nicht nur die Chance, den Autobahnbau voranzutreiben. Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) verkauft eine neue Olympia-Bewerbung als Chance für Berlin und ist sich darin mit seinem Koalitionspartner einig.
Auch die Sportverbände in Deutschland haben schon Zustimmung signalisiert. Dort wird zudem die Bundesregierung aufgefordert, sich ebenfalls für eine Olympia-Bewerbung einzusetzen. Das ist natürlich eine Herausforderung an die Grünen, die ökologischen und stadtentwicklungspolitische Bedenken gegen eine Olympiade lieber aus der Opposition heraus äußern.
Sind die Grünen in Regierungsverantwortung, dann wird von ihnen betont, wie innovativ und ökologisch doch das jeweilige Olympia-Konzept ist. Im Fall einer Bewerbung müssen die Grünen den Spagat hinkriegen, in Berlin als Opposition die Bedenken zu betonen und als Teil der Bundesregierung die Chancen herauszustellen.
Doch darin sind die Grünen sehr geübt. Sie wollten schließlich auch gerne in Berlin mit der CDU regieren und hätten ein solches Bündnis an der Olympia-Frage bestimmt nicht scheitern lassen.
Opposition gegen Olympiade in Berlin
Es ist schon klar, woran eine Olympia-Bewerbung Berlins am ehesten scheitern würde: Wenn in Berlin wieder eine NOlympia-Bewegung wie vor 30 Jahren entstehen würde, von der außerparlamentarische Bewegungen in anderen Olympia-Kandidatenstädten inspiriert wurden.
Welchen Stellenwert der Widerstand gegen die Olympiade in Berlin damals für die außerparlamentarische Linke hatte, lässt sich in dem Buch "Rebellisches Berlin" nachlesen, in dem für die autonome Linke wichtige Kämpfe dokumentiert sind.
Damals ging es um die Bewerbung für Olympia 2000, ebenfalls von einer von einem von CDU bestimmten Senat. Auf zehn Seiten wird geschildert, wie die Olympia-Gegner mit kreativen Protestformen Erfolg hatte. Im letzten Absatz des Buchbeitrags wird die Abschlusserklärung des Initiativkreis "Olympia verhindern – überall!" zitiert:
Auch ohne Olympia steigen die Mieten, gibt es täglich rassistische Übergriffe, Polizeigewalt ist an der Tagesordnung, soll eine bescheuerte Autobahn mitten durch die Stadt gebaut werden. Es gibt auch ohne Olympia viel zu tun – packen wir es gemeinsam an, und verwirklichen eine Stadt für Alle!
Aus der Abschlusserklärung des Initiativkreises Olympiade verhindern – überall
Olympia in Berlin: Nie wieder?
Das übergeordnete Motto der Berliner Olympia-Gegner bedeutet eine große Aufgabe auch für die Zukunft. Das lautete: "Olympiade in Berlin – Nie wieder". Doch Ende der 1980er, Anfang der 1990er-Jahre gab es in ganz Berlin noch eine starke außerparlamentarische Bewegung, wie der Widerstand autonomer Gruppen in Westberlin gegen den damals dort tagenden IWF-Kongress 1988 gezeigt hatte.
Im Osten hatte eine staatsferne Linke gezeigt, wie schnell die autoritäre SED-Herrschaft ins Wanken zu bringen war. Die linke DDR-Opposition hatte damals noch nicht vergessen, dass sie nicht in den autoritären Kapitalismus eintauchen wollte – und sie zeigte das auch auf der Straße. Diese Erfahrungen von selbstbewussten Widerstandsbewegungen zeigten sich dann auch in der Bewegung gegen Olympia in Berlin.
Wenn es demnächst ernst wird mit der erneuten Olympia-Bewerbung in Berlin, müsste sich erst zeigen, ob erneut eine solche Bewegung entstehen kann. 30 Jahre Niederlagen linker Bewegungen und der damit verbundene Aufstieg einer populistischen Rechten sprechen dagegen.
Dafür spricht, dass die Bewegung gegen Olympia eine der letzten großen Erfolge der außerparlamentarischen Linken in Berlin war, die sie auch der besonders ungeschickten Pro-Olympia-Kampagne des Berliner Senats zu verdanken hatte.
Olympia 2036 – weil Deutschland zeigen will, was es gelernt hat?
Ein kleinerer Teil der Olympia-Gegner beschäftigten sich vor 30 Jahren auch mit der deutschen Geschichte. Für sie war in Deutschland ein solches Sportevent auch deshalb nicht mehr möglich, weil es in Berlin untrennbar mit den vom Naziregime dominierten Spielen 1936 verbunden war.
Seitdem versuchen alle Befürworter einer Olympiade zu betonen, dass man zeigen müsse, dass Deutschland daraus gelernt hat. Vor 30 Jahren – und auch noch vor zehn Jahren – lehnten auch Olympia-Befürworter eine Olympiade 2036 in Berlin strikt ab. Nur ultrarechte Nostalgiker konnten sich überhaupt vorstellen, dass man genau 100 Jahre nach den NS-Spielen erneut eine Olympiade in der deutschen Hauptstadt abhalten könnte.
Das ist heute anders: " Olympia 2036 in Berlin – so olympiareif ist die Hauptstadt" titelte die BZ vor wenigen Tagen. Auch der Berliner Senat hält die Spiele 2036 in Berlin nicht mehr für tabu.
Unterstützung kommt vom taz-Korrespondenten Stefan Alberti. Er findet die Vorstellung, die Olympiade 2036 oder 2040 in der Stadt zu haben, "einfach faszinierend". Einen entsprechenden Kommentart schließt er mit dem Absatz:
Kurzum: toller Sport und wirtschaftlicher Gewinn für die Stadt bei minimalen neuen Eingriff in die Natur. Bleibt der schon mehrfach geäußerte Einwand, dass die Spiele in Berlin 2036 genau 100 Jahre nach den Nazi-Spielen an gleicher Stelle stattfinden würden. Dabei ist das umso mehr ein Anlass, sich gerade für jenes Jahr zu bewerben: Um selbst dem Letzten zu zeigen, der es bisher nicht glaubt, dass Berlin es anders kann als 1936.
Stefan Alberti, taz
Dass heute überhaupt ernsthaft diskutiert wird, die Olympiade zum 100. Jubiläum der NS-Spiele wieder nach Deutschland zu holen, zeigt das Maß an Geschichtsvergessenheit, das sich in den letzten Jahrzehnten hierzulande breitgemacht hatte. In dieser Zeit hat Deutschland schließlich vieles, was die Nazis verbrochen haben, besser gemacht.
Dazu gehören gemeinsame Kriegseinsätze mit westlichen Staaten, die im Zweiten Weltkrieg zur Anti-Hitler-Koalition gehörten. Wenn nun Deutschland zum 100. Jubiläum der NS-Spiele in Berlin erneut fast alle Staaten der Welt zu Gast hat, ist es endgültig wiedergutgemacht.
In einer Replik auf Alberti antwortet die taz-Journalistin Marie Frank sehr treffend:
Heute sind die Olympia-Gegner:innen nicht mehr so militant wie 1993. Leider. Denn die Argumente von damals gelten heute umso mehr: Die stets klamme Hauptstadt kann sich diese Milliarden-Euro teure Prestigeveranstaltung einfach nicht leisten. Und sollte es auch gar nicht wollen.
Denn bei der Frage, wer von diesem nationalistischen Massenspektakel 100 Jahre nach den Nazi-Festspielen von 1936 überhaupt profitiert, fällt die Bilanz für Berlins Bevölkerung überhaupt nicht gut aus: Während der für Untreue, Vetternwirtschaft und Korruption berühmt-berüchtigte IOC eine Gewinngarantie hat und riesige steuerfreie Profite erhält, ohne jegliche finanzielle Haftung übernehmen zu müssen, bedeutet Olympia für die Steuerzahler*innen vor allem hohe Kosten mit zweifelhaftem Nutzen.
Marie Frank, taz
Olympiade nirgends
Welcher Grad von historischer Amnesie dabei ist, zeigt sich auch bei Alberti, wenn er über die verbreitete Olympia-Ablehnung in vielen Ländern schreibt:
Das führte dazu, dass selbst Olympische Winterspiele an Peking vergeben wurden. Was dann wiederum für viel Kritik sorgte. "Wenn wir wollen, dass die Spiele in stabilen Demokratien stattfinden, dann müssen sich diese Länder auch bewerben", sagte Berlins Regierungschef Kai Wegner am Dienstag – zu Recht.
Stefan Alberti, taz
Hier wird auch das eurozentristische Weltbild deutlich, das hinter manchen Kampagnen gegen Olympiaden oder Fußball-Weltmeisterschaften in Ländern des globalen Südens steht. China zumindest hat keine Shoah verbrochen und wurde vor über 120 Jahren beim Boxer-Aufstand Opfer schwerster Menschenrechtsverletzungen durch die deutsche Kolonialmacht.
Mit einer ähnlichen Arroganz maßen sich auch andere ehemalige Kolonialmächte heute das Monopol von Menschenrechtsverteidigung an, wenn gegen Länder des globalen Südens geht. So konnte man kürzlich in allen Medien lesen, dass die französische Justiz Anklage gegen Verantwortliche des Assad-Regimes wegen Menschenrechtsverletzungen eingeleitet hat. Die Angeklagten haben es sicher verdient.
Doch eine Frage bleibt: Warum gelingt der französischen Justiz nicht eine Anklage gegen französische Verantwortliche von Kolonialverbrechen, beispielsweise in Algerien?
Doch das nun kein Plädoyer, die Olympiade mit all ihren negativen Folgen für die ärmere Bevölkerung, die Marie Frank in Bezug auf Berlin aufgezählt hat, in ein Land des globalen Westens auszulagern. Es sollte vielmehr ein Ende dieses anachronistischen Events diskutiert werden.
Das ist eine Forderung, die in den 1920er- und 1930er-Jahre in der Arbeiterbewegung mit Arbeiter-Olympiaden schon umgesetzt wurde. Dabei kann man durchaus an die Ziele der NOlympia-Bewegung in Berlin vor über 30 Jahren anknüpfen. Die Olympiade mit den üblichen Profiteuren sollte es an keinem Ort der Welt und nie wieder in Deutschland geben.