Omikron: Deutschland plant Dienstag neue Maßnahmen

Expertenrat sieht Krankenhäuser, Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienst, Telekommunikation, Strom- und Wasserversorgung in Gefahr

Impfen allein genügt nicht mehr. Das ist die Quintessenz aus der ersten Stellungnahme des Expertenrats der neuen Bundesregierung vom vergangenen Wochenende. Dort geht es darum, wie die Politik auf die Coronavirus-Variante Omikron/ B1.1.529 reagieren soll. Der Expertenrat spricht von einer "Omikronwelle" und macht gleich zu Anfang klar, dass derzeit sinkenden Infektionszahlen zum Trotz der Eindruck einer Entspannung "nicht gerechtfertigt" sei.

Die erst kürzlich identifizierte Omikron-Variante bringe eine "neue Dimension in das Pandemiegeschehen", heißt es in dem Papier.

Omikron zeichnet sich durch eine stark gesteigerte Übertragbarkeit und ein Unterlaufen eines bestehenden Immunschutzes aus. Dies bedeutet, dass die neue Variante mehrere ungünstige Eigenschaften vereint. Sie infiziert in kürzester Zeit deutlich mehr Menschen und bezieht auch Genesene und Geimpfte stärker in das Infektionsgeschehen ein. Dies kann zu einer explosionsartigen Verbreitung führen: In Dänemark, Norwegen, den Niederlanden und Großbritannien wird bereits eine nie dagewesenen Verbreitungsgeschwindigkeit mit Omikron-Verdopplungszeiten von etwa 2-3 Tagen beobachtet.

Erste Stellungnahme des Expertenrates zur Omikronwelle

Kaum im Amt gerät die neue Regierung ("Mehr Fortschritt wagen") unter verstärkten Coronakrisen-Druck, der die Sicht auf die kommenden Tage und Wochen konzentriert, auf Weihnachten und die Zeit danach. Wann kommen welche Maßnahmen zur Kontaktbeschränkung, die auch Geimpfte und Genesene betreffen?, heißt die Frage vor den Feiertagen und Ferien.

Karl Lauterbach hat die Rolle geändert. Er ist vom Talkshow-Warner, der manches für die Galerie schnell dahinsagte, ohne es genauer geprüft zu haben, etwa ob jetzt wieder, wie schon Tanten und Onkels in den Siebzigern erzählten, Heroin ins Haschisch gepackt wird, an die Spitze des Gesundheitsministeriums gewechselt. Dort ist er vorsichtiger in seinen öffentlichen Äußerungen geworden. Er muss mehr Rücksichten auf die Stimmung nehmen.

Am Wochenende gab es mehrere gut besuchte Demonstrationen gegen die Coronamaßnahmen in mehreren deutschen Städten und sogar der bayerische Innenminister Hermann wollte die Teilnehmer an den Protesten nicht mehr über einen Kamm scheren ("Die große Mehrzahl der Demonstranten vom Sonntag seien nicht radikal"). Er warnte die protestierenden Bürger davor, sich den Radikalen anzuschließen.

Lauterbach: Kein Lockdown wie in den Niederlanden

Für die Festtage will Gesundheitsminister Lauterbach harte Maßnahmen ausschließen: "Nein, einen Lockdown wie in den Niederlanden vor Weihnachten - den werden wir hier nicht haben", verkündete Lauterbach gestern Abend via ARD. Am Samstag war in niederländischen Städten, wie an dieser Stelle berichtet, Chaos ausgebrochen, nachdem der geschäftsführende Ministerpräsident Mark Rutte neue Maßnahmen angekündigt hatte (Last-Minute-Lockdown in Niederlanden löst Chaos in Städten aus).

Selbstverständlich warnt auch Lauterbach vor der neuen Welle: "Wir werden eine fünfte Welle bekommen. Wir haben eine kritische Zahl von Omikron-Infizierten überschritten - somit lässt sich diese Welle nicht mehr komplett aufhalten." Der Druck, die Maßnahmen zu verschärfen, kommt einstweilen vor allem vom grünen Koalitionspartner – und vom Expertenrat.

Dessen Stellungnahme beunruhigt durch den Hinweis auf mögliche Auswirkungen der Omikronvariante auf die kritische Infrastruktur und das Gesundheitssystem.

Schnell steigende Inzidenzen bergen hohe Risiken für die kritische Infrastruktur (KRITIS) in Deutschland. Hierzu gehören unter anderem Krankenhäuser, Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienst, Telekommunikation, Strom- und Wasserversorgung und die entsprechende Logistik. Deshalb bedarf es einer umfassenden und sofortigen Vorbereitung des Schutzes der kritischen Infrastruktur unseres Landes.

Erste Stellungnahme des Expertenrates zur Omikronwelle

Daraus ergebe sich Handlungsbedarf "bereits für die kommenden Tage", so die einstimmig unterzeichnete Stellungnahme des Expertenrats, in dem sich mit dem Virologen Hendrik Streeck ein Experte findet, der während der Corona-Krise mit kritischen Einwänden zu einer härteren Maßnahmenpolitik aufgefallen ist.

Wie die "wirksamen Gegenmaßnahmen" zur Kontrolle des Infektionsgeschehens, die nun laut Expertenrat vorzubereiten sind, konkret aussehen sollen, wird nicht präzisiert. Es sollen "insbesondere gut geplante und gut kommunizierte Kontaktbeschränkungen" sein.

Impfen: Das Motivationsproblem

Das große Motivationsproblem, vor dem die Politik steht, betrifft ganz konkret die Impfungen. Momentan sind laut Impfdashboard mit Zahlen vom Ende der vergangenen Woche 70 Prozent der Gesamtbevölkerung geimpft. Es sollten aber, um den Schutz vor schweren Verläufen zu erhöhen und damit die Infrastruktur-Krisen, vor denen gewarnt wird, zu vermeiden, mehr werden - und dies angesichts der Unsicherheit darüber, wie sehr die Impfstoffe vor der neuen Variante schützen und wie gefährlich die Omikron-Variante ist.

Für den Virologen Alexander Kekulé ist, wie er im Fokus äußert, klar, "dass Omikron sowohl von Covid Genesene als auch vollständig Geimpfte befallen kann. Zweitinfektionen und Impfdurchbrüche gibt es auch bei Delta, insofern ist dieses Phänomen nicht grundsätzlich neu. Allerdings belegen die derzeit in Südafrika, dem Vereinigten Königreich, Dänemark und Norwegen beobachteten Ausbreitungsgeschwindigkeiten der Mutante, dass Omikron Geimpfte und Genesene nahezu genauso effektiv infiziert wie Menschen ohne Immunschutz".

Doch auch er geht davon aus, dass die Impfung einen Schutzeffekt hat:

Ob die wesentlich höhere Impfquote in Deutschland einen vergleichbaren Immunschutz bewirkt, ist noch nicht geklärt. Vorläufige Untersuchungen deuten zumindest darauf hin, dass bestimmte Abwehrzellen (T-Zellen), die bei Geimpften und Genesenen fast immer vorhanden sind, vor schweren Verläufen durch Omikron schützen. Es gibt deshalb Grund zur Hoffnung, dass das Risiko für Infizierte, im Krankenhaus zu landen oder an Covid zu sterben, mit der neuen Variante deutlich abnimmt.

Alexander Kekulé

Er befürchtet anderseits, dass durch "unverhältnismäßig scharfe Gegenmaßnahmen des Staates" das Vertrauen der von den Freiheitsbeschränkungen zermürbten Bevölkerung "nachhaltig Schaden nehmen" könnte. Ein Appell an Vernunft und Eigenverantwortung also.

Einher geht er mit mehr Tests.

Aufgrund der immunologischen Besonderheiten der Omikron-Variante sind Geimpfte und Genesene nicht ausreichend vor Infektion und Weitergabe des Erregers geschützt. Der Verzicht auf Schnelltests und eine Begrenzung der Teilnehmerzahlen für 2G-Veranstaltungen war wegen der häufigen Impfdurchbrüche bereits bei Delta ein Fehler; in der bevorstehenden Omikron-Welle wäre dies absolut unverantwortlich. (…)

Alexander Kekulé

Am morgigen Dienstag beraten Bund- und Länder-Vertreter.