Operettenimperialismus

Zu Emmanuel Todds Nachruf auf die Weltmacht USA

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Allenthalben hört man von der unendlichen Überlegenheit der USA, von ihrer ökonomischen Übermacht, ihrer waffentechnischen Einzigartigkeit, ihren unendlichen Ressourcen. An einem beliebigen TV-Abend hört man dieses Mantra mindestens ein dutzendmal, teilweise drei- viermal kurz hintereinander. Im scharfen Kontrast zur angeblichen Allmacht der USA stand das Vorspiel zum Irak-Krieg im UN-Sicherheitsrat: Die USA und Großbritannien standen allein. Mexiko, Chile und Deutschland sagten nein, selbst politische und wirtschaftliche Zwerge wie Angola muckten auf und zum Schluss verweigerte gar die Türkei die Gefolgschaft. Und auch jetzt geht das Gezerre in der UNO munter weiter. Zwei Fragen drängen sich auf: Sind die USA wirklich so mächtig? Braucht die Welt diese Macht überhaupt?

Emmanuell Todd, französischer Demograf und Historiker, der in einer Studie schon 1976 den Untergang der Sowjetunion vorhergesehen hat, beantwortet in seinem Essay "Weltmacht USA. Ein Nachruf", beide Fragen mit einem klaren Nein. Das Buch wurde bisher schon in 11 Sprachen übersetzt und hat eine lebhafte Debatte ausgelöst. Unter anderem auf der webpage der schweizer Wochenzeitung WOZ.

Die globale Schwäche der USA

Das Buch steht in einer Reihe verschiedener Theoretiker, für die die USA sich eher im Niedergang als im Aufstieg befinden. Erinnert sei an einige Stimmen aus den letzten Zeit (s. a. Defense Strategy Review):

  1. Immanuel Wallerstein, einer der führenden Historiker an der Yale-Universität, schrieb in der Zeitschrift Foreign Policy einen langen Aufsatz The Eagle Has Crash Landed unter der Frage: "Werden die Vereinigten Staaten lernen, ruhig zu verblassen, oder wird der Widerstand der Konservativen den langsamen Niedergang in einen raschen und gefährlichen (für die ganze Welt gefährlichen) Fall verwandeln?"
  2. Anatol Lieven von der Carnegie-Stiftung beschreibt das Dilemma eines amerikanischen Imperiums: Er ist entweder zu teuer, oder es funktioniert nicht.
  3. Charles Kupchan, Professor an der Georgetown University stellt die Frage nach dem Ende des Westens und dem Beginn einer Entfremdung zwischen Europa und den USA mit ungewissen Ausgang für die USA.
  4. Martin Walker, Fellow am World Policy Institute, spricht von Amerikas virtuellem Imperium aus Microsoft und Coca Cola, und warnt vor dem Bestreben nach einem realen Imperium, das dann ebenso verwundbar wird, wie alle Imperien die in der Geschichte schon untergegangen sind.
  5. Michael Hardt warnt die globalen Eliten, dass der US-Imperialismus nicht in ihren Interesse ist, da er dem alten und stets gescheitertem hybriden Glauben eines jedem Imperialismus folgt, er könne die Welt nach seinem Bilde formen.

Todd sieht in dem martialischen Auftreten der USA auf der Weltbühne den Versuch die eigene Schwäche zu überspielen und sich unentbehrlich zu machen. Tatsächlich brauche die Welt die USA nicht als Weltmacht, auch nicht im Kampf gegen den Terrorismus. Dieser werde sich ganz von selbst erledigen, meint Todd.

Der weltweite Sieg der Demokratie

Für Todd befindet sich die Welt auf einem eigentlich guten Wege. Es gibt einen gewaltigen kulturellen Fortschritt, der alle Länder, auch und gerade die ärmsten, erreicht hat, die anhaltende Alphabetisierung und die Geburtenkontrolle. Im gleichen Maße, wie die Alphabetisierungsquote weltweit gestiegen ist, ist die Geburtenrate weltweit gesunken.

Beide Tendenzen zusammen bewirken eine kulturelle Revolution, die die Menschen aus ihren traditionellen Verwurzelungen heraus- und sie hineinreißt in eine Übergangskrise aus Orientierungslosigkeit und Leid sowie Aufbruch und Hoffnung. Diese Übergangskrise ist nicht sehr verschieden von der Krise, die wir in Europa vor 200, 300 Jahren durchlebt haben. An Ende dieser Übergangskrise, die in den islamischen Ländern den Terrorismus hervorgebracht hat, wird ebenso wie in der europäischen Vergangenheit eine Stabilisierung und eine Demokratisierung eintreten, in welcher Form auch immer. Der Terrorismus ist ein vorübergehendes Phänomen, das in nächster Zukunft von selber verschwinden wird, ganz ohne jegliche Intervention von außen. Die Welt befindet sich unaufhaltsam auf dem Weg zu Demokratie und Liberalität. Todd fügt mit diesen Überlegungen demografisches Fleisch an die dürren, spekulativen Thesen Francis Fukuyamas .

Für die USA bedeutet dieser Prozess der Demokratisierung der Welt eine ernsthafte Bedrohung: Sie wird als Weltpolizist überflüssig.

Verlust der Hightech-Überlegenheit

Zu diesem Funktionsverlust kommt nach Todd noch eine weitere Kränkung hinzu: Die USA befinden sich wirtschaftlich in einer Situation zunehmender Schwäche. Todd begründet dies mit dem schon vielfach diskutiertem Fakt des immensen Außenhandelsdefizits. Dieses Defizit wird in der deutschen linken Debatte gerne als Menetekel des bald bevorstehenden endgültigen Zusammenbruchs des Kapitalismus angesehen, Todd interpretiert es jedoch auf eine neue und theoretisch interessante Weise.

Zum Verständnis des Außenhandelsdefizits der USA bieten wir im folgenden einige Grafiken, wirtschaftliche Daten und zusätzliche Überlegungen, die sich zwar nicht bei Todd finden, die uns aber die Darstellung seiner Überlegungen erleichtert.

Die deutschen Lohnstückkosten sinken mit geringen Schwankungen, seit 1993 kontinuierlich, die Folge der stetig steigenden Produktivität und der stagnierenden Löhne. Das Resultat ist der deutsche Exportboom und der deutsche Kaufkraftschwund.. Die US-Lohnstückkosten dagegen steigen im gleichen Zeitraum, ihre Produkte sind auf dem Weltmarkt nicht konkurrenzfähig.

Eigene Grafik nach Daten des Bureau of Economic Analysis

Als Folge bleibt das Wachstum der industriellen Güterproduktion der USA seit Mitte der 1980er Jahre hinter den anderen Branchen, insbesondere Handel, Dienstleistungen und Finanzdienstleistungen weit zurück.

Im gleichen Maße wächst das Handelsbilanzdefizit. Es hat im letzten Jahr die astronomische Summe von 500 Milliarden $ pro Jahr angenommen.

Diesen Daten entspricht auch die Alltagserfahrung: Computer stammen aus Taiwan. Werkzeugmaschinen und Autos stammen aus Deutschland. Roboter stammen aus Japan.

Einzig in dem schmalen Segment der CPUs halten die USA noch ein Monopol und auch Microsoft behauptet sich noch im Markt der Betriebssysteme und Bürosoftware, obgleich bedroht von Linux und Konsorten. Ansonsten kämpfen die USA um ihre Pfründe aus vergangenen Zeiten, um Urheberrechte und Patente. Der amerikanische Kapitalismus ist auf dem Weg in den Rentierkapitalismus. Die USA haben ihre Produktion ausgelagert, damit aber haben sie auch ihren Entwicklungsvorsprung verloren.

Die USA haben ihre Überlegenheit auf dem Hightech-Sektor nicht kampflos aufgegeben, sie haben alles, was ihnen möglich war, versucht: Geheimhaltung, Exportbeschränkungen, Industriespionage. Es hat alles nichts genutzt. Grund war vermutlich, neben rein ökonomischen Faktoren, ein kultureller Faktor.

"Ökonomie" ist nach unserer Überzeugung keine ontologische Wesenheit, die man aus sich selbst heraus begreifen könnte, sondern bestenfalls eine Betrachtungsweise mit begrenzter Aussagekraft. In das tatsächliche Wirtschaften gehen politische, mentale, demografische etc. Faktoren mindestens gleichgewichtig ein.

Am Beispiel der Softwareentwicklung wird dies anschaulich. Im US-amerikanischen, wenn auch vielleicht nicht im kalifornischen Verständnis ist Software, wie jede andere geistige Schöpfung auch, eine Ware wie alle anderen, verdammt dazu, ein Handelsartikel zu sein und seinem Produzenten Geld, möglichst viel Geld einzubringen. In einem alteuropäischen und auch asiatischen Sinn ist eine geistige Schöpfung, also auch Software, Gemeineigentum der Menschheit. Dieser geistige Krieg zwischen einem proprietären und besitzegoistischen und einem universalistischen und kooperativen Verständnis der neuen Technologien ist unserer Überzeugung nach im Begriffe, zugunsten des universalistischen und kooperativen Zugangs auszugehen.

Neue Technologien, also wissensbasierte Technologien, üben einen stummen Zwang zur Kooperation, zum Universalismus aus. Kein Konzern, kein Land kann sich dieses Wissen monopolistisch aneignen. Ein Unilateralismus auf dem Gebiet des Hightech ist nach unserer Überzeugung zum Scheitern verurteilt. Im Fall der USA ist dieser Versuch bereits geschehen. Da dies der neoliberalen Ideologie, dem Glauben an die Macht des Egoismus und der Abgrenzung widerspricht, dürfte diesem Glauben auch keine große Zukunft beschieden sein.

Der amerikanische Aktienboom

Die USA haben ihren technischen Vorsprung auf fast allen Gebieten eingebüßt. Todd erwähnt in seinem Buch exemplarisch das europäische Satellitennavigationssystem Galileo und die Stärke von Airbus.

Die USA sind den Weg der geringsten Mühen gefolgt. Sie haben ihre Position als letzte Supermacht sowie die Rolle des US-Dollar als faktische Weltwährung ausgenutzt und eine Politik des starken Dollar verfolgt. Dieser schwächte zwar die US Industrieproduktion und begünstigte die Importe, mit der Folge eines wachsenden Handelsbilanzdefizits, auf der anderen Seite aber war der US-Dollar ein natürlicher sicherer Hafen, eine globale Anlagewährung. Die USA konnten so ihre defizitäre Handelsbilanz über Kapitalimport finanzieren, mit der Folge stetig steigender Aktienkurse, was wiederum neues Kapital anlockte und die Kurse weiter in die Höhe trieb. Ein über 10 Jahre sich ständig selbst verstärkender Kreislauf. Die Kurve des Dow Jones Index zeigt dies anschaulich. Man erkennt deutlich den seit Mitte der 80er Jahre stetig ansteigenden Kursverlauf (aufsteigender Korridor) und den Bruch in dieser Kurve seit Ende 1999. Die Kurve bewegt sich "seitwärts", aber mit deutlichem Trend nach unten (rot gezeichneter Korridor).

Quelle: Grafik nach Elliott Wave Technical Analysis and Market Timing for Dow Jones

Die USA exportieren keine Waren, sie exportieren Aktien. Dieser Export stieg von 35 Milliarden US-Dollar im Jahre 1991 auf 502 Milliarden US-Dollar im Jahre 2001. Der Kauf einer Aktie ist aber nur in Ausnahmefällen, bei den eher seltenen Aktienemissionen, eine Investition in ein Unternehmen. In den meisten Fällen ist der Aktienhandel ein Second-hand-Handel, der Kauf einer Aktie von einem Vorbesitzer. Und dieser kann sich für das Geld dann Beliebiges kaufen, Truthahnbraten, Rotwein oder auch einen neuen Porsche. Das Resultat ist eine historisch bisher einzigartige Situation: Die USA bilden den globalen Endverbraucher im Sinne der Keynesschen Theorie, der die ganze Welt für sich arbeiten lässt und diesen Megakonsum mit dem Profit der Eliten der anderen Länder finanziert. Dieses Geld fehlt dann trivialerweise in den anderen Ländern, mit der Folge, dass dort die Nachfrage zusammenbricht. Diese schwelende Deflation kann jederzeit in eine akute deflationäre Abwärtsspirale umschlagen.

Todd beschreibt das als eine globalen keynesianischen Situation: Das weltweite Zinskapital wird von den USA aufgesogen und in Konsum verwandelt. Diese Interpretation der amerikanischen Verschuldung erscheint uns bemerkenswert. Sie beantwortet eine Reihe von ansonst nicht beantwortbaren Fragen:

  1. Warum befinden sich alle Industrieländer, außer den USA, hart am Rande der Deflationskrise?
  2. Warum scheitern alle Versuche, wirtschaftspolitisch von den USA zu lernen?
  3. Warum gibt es keine keynesianische Wirtschaftspolitik mehr in Europa?
  4. Warum scheint Deutschland in einer unaufhaltsamen Abwärtsbewegung gefangen zu sein?

Die Situation der USA erinnert an das römische Imperium. Auch Rom hat die Produkte der ganzen damaligen Welt konsumiert und selbst nichts produziert, jedoch mit einem wesentlichen Unterschied: Die damaligen unterworfenen Völker, ihre Eliten ebenso wie deren Untertanen, wussten sehr genau, welchen Tribut sie Rom entrichten mussten. Heute wird stattdessen in populistischen Wirtschaftsmagazinen der naive Glauben genährt, das Geld, das an die Wallstreet fließt, würde in produktive Anlagen investiert. Ein Glaube, der unserer Ansicht nach, durch diverse Mythen noch verstärkt wird:

Der Mythos von der postindustrielle Gesellschaft

Die Mythen über das Wunder der amerikanischen Wirtschaft lassen sich in eine einfache Formel fassen: Wir sind noch nicht so weit. Man stilisiert die einzigartige Situation der USA zum historischen Trend, liest etwa aus dem Niedergang der amerikanischen Industrie und dem Aufblähen des Dienstleistungssektors und des Konsums eine neue historische Epoche heraus und erfindet eine neue Gesellschaftsformation: Die postindustrielle Dienstleistungsgesellschaft.

Tatsächlich bedeutet der technische Strukturwandel das Ende der fordistisch organisierten Industrie. Also nicht die Abkehr von der Industrie überhaupt, sondern eine anders organisierte Industrie. Ihre Kennzeichen sind enge kooperative Strukturen aus Grundlagenforschung, Entwicklung und Produktion, organisiert in kleinen, flexiblen Einheiten.

Der Untergang der fordistischen Industrie hat eine immense Zahl von Arbeitskräften in die Arbeitslosigkeit entlassen. Ob die neuen Produktionsstrukturen eine gleichwertige Zahl neuer Arbeitsplätze schaffen, ist noch offen, auf jedem Fall wird sich das Qualifikationsprofil entscheidend wandeln. Für unqualifizierte Hilfskräfte besteht kaum noch Bedarf.

Die verselbständigten Kapitalströme hingegen verzerren das Bild, sie bewegen sich konträr zur tatsächlichen wirtschaftlichen Entwicklung.

Die Krise der New Economy hat gewisse Zweifel geweckt an der Zukunftsfähigkeit der US-Ökonomie. Der Enron-Skandal, der Offenbarungseid des US-Besitzegoismus beim Umgang mit den neuen Technologien, demonstrierte den Eliten der Vasallen die Brüchigkeit der amerikanischen Wunder (vgl. den roten Korridor in der Kurve des Dow Jones oben).

Die amerikanische Paranoia

Das Resultat der Entwicklung der letzten 15 Jahre ist für Todd eine allseitige wirtschaftliche Abhängigkeit der USA. Sie sind abhängig vom Warenimport, nicht nur beim Öl, sondern bei allen Produkten und sie sind abhängig vom Kapitalimport. Diese Abhängigkeit ist für die USA eine neue Erfahrung. In ihrer gesamten bisherigen Geschichte waren sie wirtschaftlich autark. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam zu dieser Stärke, die aus der Autarkie stammte, noch ihre Rolle als Schutzmacht der kapitalistischen Nationen gegenüber der Sowjetunion hinzu. Sie waren stark und sie wurden gebraucht. Mit dem Ende der Sowjetunion haben sie ihre Funktion als Schutzmacht verloren und ihre Autarkie eingebüßt.

Der bequeme Weg, den die USA nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gegangen sind, führte sie in eine kontradiktorische Situation. Die Auslagerung der Produktion in die Peripherie widerspricht dem Wunsch nach Beherrschung der Peripherie.

Die Peripherie gewinnt technische Kompetenz und damit Macht und Selbständigkeit, die Zentrale des globalen Kapitals verliert dagegen ihre Suprematie. Mit dem Euro droht der Verlust des US-Dollar-Monopols und damit das mögliche Ende des scheinbar unendlichen Kapitalimports. Europa entgleitet der Kontrolle, Russland erholt sich wieder, China entwickelt sich unaufhaltbar zur Wirtschaftsmacht und Japan ist unverwüstlich.

Dies stürzt die USA in eine tiefe paranoide Krise. Ihre Antwort ist der verzweifelte und hybride Wille zur imperialen Weltgeltung.

Innenpolitisch schwindet das universelle, der Gleichheit zugewandte Bewusstsein, es steigt die Diskriminierung, etwa der Schwarzen und der Hispanos. Dieser innenpolitische Rassismus geht einher mit dem Willen nach imperialer Herrschaft über die Welt. Israels Diskriminierung der Palästinenser wird so zum Vorbild. Bemerkenswerterweise nutzt die ZEIT in ihrer Rezension vom 27. März 2003, die die wesentliche Argumente noch nicht einmal zutreffend referiert, diese kritische Beobachtung von Todd, um den Autor als "antiamerikanisch" und "antiisraelisch" abzuqualifizieren.

Jedoch reicht die tatsächliche Stärke der USA zu einem offenen, weltweiten Imperialismus nicht aus. Aus dieser Schwäche heraus und dem paranoiden Wunsch nach Stärke folgt eine theatralische Simulation der Überlegenheit, ein theatralischer Mikromilitarismus. Die USA haben keine imperiale Strategie, sie schaffen nur, wo sie können, Unordnung, um sich dann als angeblich unverzichtbare Ordnungsmacht ins Spiel zu bringen. Es war unserer Ansicht nach schon immer eine Strategie der USA, die eigene Stärke durch die Schwächung des Gegners zu sichern. Diese Strategie setzt aber eine tatsächliche eigene Stärke voraus. In dem Maße, in dem diese schwindet, wird diese Strategie irrational.

Der theatralische Mikromilitarismus der USA treibt die euroasiatischen Mächte in ein gemeinsames Boot.

Absehbare Folge wird eine multipolare Welt sein, in die sich auch die USA einordnen werden. Die regionalen Wirtschaftszentren werden wieder einen eigenen Keynesianismus entwickeln müssen, samt einem die Demokratie fördernden neuen wirtschaftlichen Protektionismus. Die UNO wird zukünftig eine wesentlichere Rolle spielen

Damit wird aber der globale Wallstreet Keynesianismus unhaltbar. Die USA werden sich also umorientieren und wieder selbst produzieren müssen. Todd sieht dies aber nicht als prinzipielles Problem an. Zwar schätzt er, dass der Lebensstandard der USA um 15 bis 20 Prozent sinken dürfte, wenn es sein Handelsbilanzdefizit ausgleichen muss, weil der Kapitalimport ausbleibt. Die amerikanische Flexibilität wede auch dieses Problem meistern. Wir denken, dass man an diesem Punkt skeptischer sein sollte. Immerhin gibt es in den USA einen recht militanten bewaffneten Rassismus.

Die USA besitzen vielleicht noch die globale Lufthoheit, auch in den Köpfen, aber auf dem Boden sieht es schon anders auf. Diese Kluft zwischen theatralischem Auftreten und beschworenem Bewusstsein und der tatsächlichen Stärke erinnert fatal an die letzten Jahre der Sowjetunion. Die Gebetsmühle von der "transatlantischen Freundschaft" weckt Assoziationen zur "unverbrüchlichen Freundschaft mit der Sowjetunion". Die Ähnlichkeit geht bis in die Details der Wortwahl. Todd sieht diese Parallele bei den Wirtschaftdaten der USA: Sie sind heute ähnlich zuverlässig wie die Planziffern der späten UdSSR.

Eine Alternative Sichtweise: Neoliberale Diktatur der Eliten

Die Züricher WOZ hat eine Debatte über das Buch von Todd eröffnet. Den Anfang macht ein Artikel von Oliver Fahrni Die Burg zieht die Zugbrücke hoch. Die Grundthese ist: Es geht nicht primär um die USA, sondern um den Weltbürgerkrieg einer globalisierten Elite gegen den Rest der Menschheit.

Tatsächlich ist Globalisierung ein soziales Erdbeben: die Lösung eines entscheidenden Teils des Kapitals von ihren Gesellschaften, also die Emanzipation von jener Form der politischen Organisation der Menschheit, die das Kapital mitgeschaffen hatte. Zwischen 1985 und 1995 entstanden mehr transnationale Konzerne als in den zweihundert Jahren zuvor. Sie erwirtschaften heute fünfzig Prozent der Wertschöpfung. Da ist eine Ökonomie entstanden, die sich jedem politischen Zugriff entzieht. (...)

Die rechten Revolutionäre um Wolfowitz & Kristol glauben, dass die Menschheit vor der Alternative steht, entweder mit der Marktwirtschaft zu brechen - was sie nicht wollen - oder mit zunehmenden sozialen Differenzen, zunehmender Gewalt, dem molekularen Bürgerkrieg zu leben. Dafür rüsten sie. Die Burg zieht die Zugbrücke hoch. Gated Communities sind das künftige Lebensmodell für die Eliten. Amerika sucht keine territoriale Ausdehnung. Sein Imperialismuskonzept ist nicht mehr amerikanisch - es ist das Unterfangen, sich den globalisierten Eliten als Gewaltmonopolist anzubieten. Um das durchzusetzen, werden Feinde geschaffen.

Wir haben an diesen Überlegungen unsere Zweifel. Ist "Marktwirtschaft" dasselbe wie Globalisierung? Wie sollen die strukturellen Nachfrageprobleme der Marktwirtschaft gelöst werden, ohne keynesianische Lösung, wie auch immer sie aussieht, also ohne Transformation des Zinskapitals in Konsumnachfrage? Dies ist die Stärke der Toddschen Überlegungen, auf die Oliver Fahrni leider nicht eingeht. Eine Diktatur der Elite bringt zur Lösung dieses prinzipiellen Problems nichts

Kann eine postfordistische Industrie als Diktatur einer Elite funktionieren? Gibt es kooperative Strukturen in einer neoliberalen Situation? Technologisch führend sind Japan und Deutschland, also Länder, in denen der Neoliberalismus umstritten ist. Die "Gated Communities" gibt es in den USA und in einigen Ländern Südamerikas, also Ländern mit ruinierter bzw. mit schrumpfender Industrieproduktion.

Emmanuel Todd: Weltmacht USA. Ein Nachruf. Piper. 265 Seiten. EUR 13,-