Orwell lässt grüßen: China vor dem Nationalen Volkskongress
Mit einer App buhlt die kommunistische Führung um die Loyalität ihrer Untertanen, aber der Anspruch ist in Wahrheit wenig "smart"
In den letzten Jahren hat die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) zunehmend Anstrengungen unternommen, junge Chinesen mit modernen Methoden zu gewinnen, etwa durch Rap-Songs, Comics oder WeChat-Sticker. Im Herbst 2018 startete ein lokaler Fernsehsender in der Provinz Hunan eine Spieleshow, deren Ziel hauptsächlich darin bestand, die Teilnehmer auf ihr Wissen über die Ideologie der Partei zu testen. Und auf der allseits beliebten Video-Site Bilibili begann gar die Ausstrahlung einer siebenteiligen Cartoon-Folge über den "sozialistischen Revolutionär" Karl Marx.
Die Stimme der Partei
Zunehmend setzt die Partei bei ihren Propagandafeldzügen auf das Internet. Das wurde in China immer stark zensiert, aber jüngst kam von höchster Stelle die Forderung, "the voice of the party can reach all kinds of user terminals directly". Was die Propagandaspitzen dazu veranlasste, Spezialisten für neue Medien zu rekrutieren - die sollen einen zeitgemäßen Beitrag dazu leisten, die Parteilinie mittels Plattformen zu fördern. Die Erkenntnis dahinter ist einfach: Die Chinesen sind smartphone- und social-media-bewusste Bürger einer technikversessenen Nation.
Zur beliebtesten Smartphone-App in China ist so binnen Kurzem ein Programm namens Xue Xi Qiang Guo (学习强国) aufgestiegen. Die App war zeitweise das in China am häufigsten heruntergeladene Element aus dem App Store, und sie übertrifft die unter den jüngeren Chinesen begehrten Social-Media-Anwendungen WeChat oder TikTok. Und das will schon was heißen. Für viele Staatsbedienstete ist sie allerdings auch einfach verordnetes Pflichtprogramm - eine Methode, sie auf die neu definierten Ziele des Sozialismus einzuschwören.
"Xue Xi Qiang Guo" (auch: Xuexi Qiangguo, engl: "study powerful country") heißt übersetzt so viel wie "Mächtiges Land studieren" oder: "Lerne über das starke Land". Mit dem eingängigen Slogan soll zweifellos das Image von Xi Jinping aufgewertet werden.
"Xue Xi Qiang Guo" wurde im Januar von der Werbeabteilung der Partei veröffentlicht. Es verlangt, dass sich die Benutzer mit ihren Handynummern und Klarnamen anmelden. Den Glücklichen dient es sodann als Plattform für Nachrichten, Artikel, Videoclips und für nicht enden wollende Dokumentationen über die politische Philosophie von Staats- und Parteipräsident Xi Jinping. Der Kult um seine Person wird wieder unübersehbar sein, wenn in Peking in dieser Woche der Jahr für Jahr stattfindende Nationale Volkskongress (NPC) beginnt.
"Lerne über Xi"
Xis politische Theorie, die offiziell "Xi Jinping Thought on Socialism with Chinese Characteristics for a New Era" genannt wird, stellte der große Vordenker bereits auf dem Kongress der Kommunistischen Partei 2017 vor (Neues hinter Altem). Inzwischen ist das "Xi-Jinping-Denken" in Form einer Leitlinie sogar Teil der Staats- und Parteiverfassung. Das "Xi" im Namen der App ist insofern folgerichtig auch auf den Namensträger gemünzt. Die Botschaft lautet also auch: Lerne über Xi.
Entsprechend geht es in der App im Kern um ihn - seine Auftritte, seine Reden, seine Theorien zur "Neuen Ära des Sozialismus". Benutzer, die sich in der App registrieren, Artikel lesen, alle Tage Kommentare abgeben und sich Multiple-Choice-Tests über die offiziell erwünschten Leitlinien unterziehen, können Boni verdienen (sog. "Study Points"). Die soll man später sogar gegen Geschenke eintauschen können.
Millionen sind schlicht begeistert. Wu Meisheng etwa, ein 66-jähriger Dorfbewohner aus der östlichen Küstenprovinz Shandong, sagte der South China Morning Post zufolge, dass er sein erstes Smartphone für die Nutzung von Xue Xi Qiang Guo gekauft habe. Lokale Medien berichteten auch über Yu Chunying, eine junge Kadermitarbeiterin, die sich entschieden habe, ihre Dates am Wochenende abzusagen, damit sie die App bewerben kann.
Im Dienste der Kontrolle
Der chinesische Staats- und Parteichef Xi Jinping, bekennender Marxist, ist seit dem Volkskongress vom vergangenen Jahr Staats- und Parteivorsitzender mit unbegrenzter Amtszeit. Die Führung der Partei über den Gesetzgebungsprozess und die Ausgestaltung des Justizwesens wurde verstärkt. Eine eigene Kommission ("Parteikommission zur umfassenden Herrschaft mittels des Rechts") überwacht unter Leitung Xis sämtliche Gesetzesinitiativen, wie das Mercator Institute for China Studies (MERICS) in Berlin ausführt. Die KPCh gibt demzufolge die Richtung der Gesetzgebung vor, der Nationale Volkskongress führt die Direktiven aus. Auf der Sitzung der Parteikommission Ende Februar wurde die Gesetzgebungsagenda für das laufende Jahr 2019 festgelegt.
Die politische und weltanschauliche Digital-Offensive ist so gesehen in schwierigen Zeiten auch der Versuch, gegen schwindendes Vertrauen anzugehen. Dabei benutzt die Partei geschickt die Begeisterung ihrer Landsleute für die neuen Medien. Jedoch sind die Parteikader kaum an echtem Diskurs interessiert. Alle Anzeichen deuten vielmehr darauf hin, dass es um Überwachung geht, das Internet bietet hier willkommene Ansätze zur Ausweitung und Perfektionierung der Kontrolle. Onkel Orwell lässt grüßen.
China hat im vergangenen Jahr in mehr als 20 Millionen Fällen Menschen verboten, mit dem Zug oder Flugzeug zu reisen, wie jüngst die Tagesschau berichtete. Der Grund: Die Betroffenen hatten ein zu schlechtes Sozialpunkte-Konto (Was es heißt, auf die Blacklist des chinesischen Sozialkreditsystems zu kommen).
In dieser Woche beginnt der Nationale Volkskongress 2019. "Xue Xi Qiang Guo" dient bereits im Vorfeld dazu, das Volk einzuschwören. Das wird immer schwieriger, denn mit dem steigenden Wohlstandsniveau des Landes wächst auch eine Mittelschicht, die sich ihr Denken auf Dauer wohl nicht stur von oben verordnen lassen wird.
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