PR oder Journalismus?
Die ARD-Story zur Bertelsmann-Studie: "Krankenhäuser schließen - Leben retten"
Scharfe Kritik an der ARD. Mit dem Filmbeitrag "Krankenhäuser schließen - Leben retten?" soll der beitragsfinanzierte öffentlich-rechtliche Sender Werbung für die Studie der Bertelsmann Stiftung betrieben haben. Was ist dran an dem Vorwurf?
Am 15. Juli veröffentlichte die Bertelsmann Stiftung im Rahmen ihres Projekts "Neuordnung Krankenhaus-Landschaft: Weniger ist mehr" eine Studie, die zu dem Ergebnis kommt, dass durch einen radikalen Abbau von Krankenhäusern eine gleich gute, wenn nicht bessere Patientenversorgung zu erreichen sei. Exakt am selben Tag sendet die ARD um 20:15 Uhr ihren Filmbeitrag "Krankenhäuser schließen - Leben retten?".
Der Film wird z.T. sehr scharf kritisiert: Von "Werbefilm" und "Kampagnenjournalismus" ist in den ARD-Kommentarspalten die Rede. Ein Zuschauer schreibt: "Als TV-Journalist bin ich über meine Kollegin und ihre Redaktion entsetzt, wie unkritisch sie die Bertelsmann-Studie übernehmen. [...] Ist das dann Faulheit? Naivität? Schlampige Recherche oder gar schon Propaganda, Verzeihung, Marketing?"
Über die Autorin des Beitrags heißt es im Begleittext zum WDR-Morgenecho-Interview mit ihr, sie sei ARD-Medizinjournalistin und habe für die ARD die Hintergründe der Studie recherchiert. Nur so viel schon an dieser Stelle: Diese Information reicht nicht aus.
Zunächst aber zur ARD-Doku selbst. Tatsächlich verfolgt diese ein klares Argumentationsziel: Krankenhäuser schließen, rettet Leben. Zu dieser Einsicht soll der Zuschauer v.a. mithilfe der folgenden 3 Überzeugungstechniken geführt werden.
1. Turnaround-Argumentation (Argumentationsumkehr)
Das zunächst am Beispiel von Bürgerprotesten angeführte Hauptargument gegen Krankenhausschließungen "Gefährlichkeit" (Gefährdung der gesundheitlichen Versorgung) wird schrittweise anhand von Patientenschicksalen und zahlreichen Expertenkommentaren umgewandelt in das stärkste Argument für die Schließung von Krankenhäusern: Gefährlich, ja sogar lebensgefährlich sei die Beibehaltung von kleinen Krankenhäusern. Denn aufgrund des Mangels an Pflegekräften, Apparaten und Erfahrung seien hier die Komplikations- und Sterblichkeitsrisiken weitaus höher.
Vor dem Hintergrund dieser Argumentation ist die zum Schluss des Filmes an den Zuschauer gerichtete Frage nur noch eine suggestiv-rhetorische: "Was halten Sie für gefährlicher, 'Krankenhäuser zu schließen oder alles beim Alten zu lassen?'"
2. Framing
Seit Jahren forcieren Krankenkassen und Politik den sog. "Rückbau von nicht benötigten Versorgungskapazitäten" auch mit der Begründung, dass deutsche Krankenhausstrukturen im Vergleich zu anderen Ländern zu groß und zu teuer seien.
Diese ökonomischen Effizienzbestrebungen, zu denen auch die Reduktion von Betten und stationärer Verweildauer gehört, blendet der ARD-Beitrag jedoch durch konsequente Verwendung des medizinischen Gesundheitsframes aus: "Sie [Die Experten] wollen ausrechnen, wie viele Krankenhäuser wir wirklich brauchen, wenn unsere Gesundheit an erster Stelle steht."
3. Appeal to authority
Eine Vielzahl von ausgewählten Expertenkommentaren soll die Richtigkeit der Bertelsmann-Studie belegen. Mehrmals werden Experten interviewt, die dem Bertelsmann-Projekt "Neuordnung Krankenhaus-Landschaft: Weniger ist mehr" angehören. Experten, die sich kritisch zur Studie äußern könnten, kommen dagegen in der ARD-Dokumentation erst gar nicht zu Wort. Ebenso wenig Ärzte, die sich mit Blick aufs Patientenwohl bereits in der Vergangenheit kritisch zu einem weiteren Abbau von Krankenhäusern geäußert haben.
Ist der PR-Vorwurf also berechtigt?
Sollen die umstrittenen, immer wieder auf heftige Bürgerproteste stoßenden Krankenhausschließungen annehmbar gemacht werden, indem sie als lebensrettende medizinische Maßnahme geframed werden?
Für die Glaubwürdigkeit des öffentlich-rechtlichen Senders wäre es in jedem Fall besser gewesen, er hätte im Vorfeld der Berichterstattung ein nicht unwesentliches Detail transparent offengelegt: Die ARD-Journalistin Meike Hemschemeier gehört dem Science Media Center Germany (SMC) an, einer gemeinnützigen Wissenschaftsredaktion, die registrierten Journalisten durch kostenlose Vermittlung von Fakten und Experten-Statements bei der Berichterstattung behilflich sein will.
Auf der Internetseite der Bertelsmann Stiftung wird das Science Media Center ausdrücklich als "Kooperationspartner" ausgewiesen. Ziel der Zusammenarbeit ist laut Stiftung:
"Zusammen mit dem SMC setzen wir uns […] dafür ein, medizinische Über- und Unterversorgung in Deutschland transparent zu machen."
"Wir freuen uns, das Science Media Center als kompetenten Partner gefunden zu haben. Seine wissenschaftsjournalistische Arbeit macht es möglich, weiterhin auf über- und unterversorgte Regionen in Deutschland hinzuweisen (Mohn)."
Zum Kniereport 2018 heißt es etwa: "Neben der Datenanalyse hat das Science Media Center zahlreiche Interviews mit Orthopäden, Krankenkassen- und Klinikvertretern, Gesundheitsökonomen und Klinik-Controllern durchgeführt." Sowohl für den Kniereport 2018 als auch für die Mindestmengen-Analyse 2019 nennt die Stiftung als Ansprechpartnerin auf Seiten des SMC die ARD-Journalistin Meike H.
Zudem gehört die Bertelsmann Stiftung laut SMC-Internetseite seit 2017 mit 20.001-50.000 Euro jährlich zu den Förderern des SMC. Die Förderung gilt dem Projekt "Operation Explorer" (webbasiertes Datentool). Die Leitung dieses Projekts hat die ARD-Journalistin Meike H.
Das alles beweist natürlich nichts. Aber man wird zumindest vorsichtig einen Interessenkonflikt vermuten können, der für einen öffentlich-rechtlichen Sender jedenfalls äußerst unvorteilhaft ist.
Eindeutig ist die Sache allerdings nicht. Als entlastende Interpretation könnte man die Einseitigkeit des ARD-Filmbeitrags nämlich auch einem modernen Verständnis von werteorientiertem Haltungsjournalismus zuordnen. Die ARD-Journalistin beleuchtet seit Jahren kritisch die deutschen Krankenhausstrukturen. In ihrem preisgekrönten ARD-Film "Operieren und Kassieren" (Erstausstrahlung 19.06.2017) weist sie auf die regionale medizinische Überversorgung von z.B. Rückenoperationen hin.
Vielleicht spiegelt die Einseitigkeit des aktuellen ARD-Films also auch die Haltung wider, sowohl ethisch als auch wissenschaftlich auf der (einzig möglichen) richtigen Seite zu stehen. Die anfangs gestellte Frage "Interessengeleitete PR oder Journalismus?" würde sich damit erübrigen, da - von außen betrachtet - das eine nicht mehr vom anderen zu unterscheiden wäre.
Stellungnahme
Telepolis hat die ARD-Journalistin um eine Stellungnahme gebeten. Zur Expertenauswahl erklärt die Autorin, dass die Annahmen der Studie auf einem "breiten medizinischen Konsens" beruhen, der "durch wissenschaftliche Studien belegt" sei. Die im Beitrag interviewten Ärzte hätten nichts mit der Studie zu tun. Die Interviewpartner, die an der Studie mitgewirkt haben, "sind unabhängige und renommierte Wissenschaftler". Und: "Die Studie wurde nicht von der Bertelsmann Stiftung erstellt, sondern von dem renommierten IGES-Institut in Berlin, das u.a. Studien für die Bundesregierung durchführt. Die Bertelsmann Stiftung hat die aktuelle Studie lediglich beauftragt und finanziert."
Einen möglichen Interessenkonflikt, der im Vorfeld der ARD-Berichterstattung hätte offengelegt werden müssen, sieht die Journalistin offenbar nicht. Zu ihrer Arbeit erklärt sie: "Als freiberufliche Journalistin arbeite ich für mehrere öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten und für das gemeinnützige Science Media Center. Dieses wird zu einem kleinen Teil auch von der Bertelsmann Stiftung finanziert. Ich selbst stehe in keiner Geschäftsbeziehung zur Bertelsmann Stiftung. Die Bertelsmann Stiftung hat kein Mitspracherecht an meiner Arbeit." Ob diese Aussagen die kritischen ARD-Zuschauer überzeugen können, bleibt abzuwarten.
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