Pakistan: Die Zeichen stehen auf Konfrontation

Imran Khan, bei einer Ansprache, 2023. Bild: Pakistan Tehreek-e-Insaf / CC BY 3.0 Deed

Instabilität und Wirtschaftskrise nach der Wahl. Zündstoff: Wahlsieger Imran Khan um größere Anzahl von Mandaten betrogen. Die Armee vor Schwierigkeiten.

Es bleibt dabei: Nur die Wahl 1970, die erste in der Landesgeschichte, war frei und fair. Ob die jetzige Wahl die unfairste von allen wird (wenn das "offizielle" Endergebnis dann feststeht), ist objektiv nicht feststellbar, doch Art und Umfang des Betrugs waren noch nie so offensichtlich.

Dies ist umso brisanter, weil sich das Votum für Imran Khan nicht so sehr gegen die politischen Gegner richtet als gegen die Autoren der gelenkten Demokratie in Armee und ihres Geheimdienstes.

Seit den Krawallen von Mai 2023 ist die innere Lage nicht mehr so angespannt gewesen. Am Wochenende kam es landesweit zu (bislang meist friedlichen) Protesten. Die Staatsmacht reagiert erneut mit willkürlichen Verhaftungen und der Sperrung des Sozialen Netzwerks X.

Das erinnert an die Wahl 1970. Auch damals saß der Wahlsieger hinter Gittern und die Armee ignorierte das Votum. Es kam zum Bürgerkrieg in Ostpakistan (Ost-Bengalen) und zur Abspaltung von Bangladesch.

Politiker und Bürokraten scheinen bisher nicht zu bemerken, dass die sich jetzt anbahnende Konfrontation ähnlichen Zündstoff birgt.

Dubioser Wahlverlauf am 8. Februar

In Pakistan werden Wahlen in der Regel vor dem Urnengang manipuliert und selten ging eine Partei mit einem so großen Handicap an den Start wie die PTI. Sie trat ohne Vorsitzenden, ohne Wahlsymbol und selbst ohne eigenen Namen an, die Kandidaten waren offiziell "Unabhängige".

Internet und Mobilnetze wurden (ohne Ankündigung, angeblich aus Sicherheitsgründen) für mehr als 48 Stunden gesperrt, fast ebenso lange dauerte es, bis es erste Ergebnisse gab. Trotzdem war bald klar, dass die Versuche des military establishments, des tiefen Staats, Imran Khan und seine PTI im Vorfeld unschädlich zu machen, nicht fruchteten.

Die "Unabhängigen" gewannen 93 der 266 (von insgesamt 336) im direkten Verfahren vergebenen Sitze. Das macht sie zur stärksten Fraktion. Und dies, obwohl bei dieser Wahl auch im großen Stil nach der Wahl manipuliert wurde. Dies konnte zum Teil live im Fernsehen verfolgt werden, wo im Gegensatz zum Netz die Wahlen übertragen wurden.

Es kam häufiger vor, dass ein PTI-Kandidat klar in Führung lag und dann doch am Ende den Wahlkreis deutlich verlor. In anderen Fällen gab es mehr ungültige Stimmen als gültige. Das hatte bizarre Folgen: In Sindh weigerten sich zwei Kleinparteien, den Sieg ihrer Kandidaten anzunehmen, sie wollten keine geschenkten Sitze auf Kosten der PTI.

Diese mutmaßt wiederum, dass sie neben den 93 Mandaten, die sie trotz allem gewinnen konnte, weitere 85 auf betrügerische Weise verlor.

Weil sie nicht als reguläre Partei antrat, hat sie keinen Anspruch auf ihren proportionalen Anteil an den 70 für Frauen und Nichtmuslime reservierten Mandaten. Falls die Vermutung stimmt, bräuchte sie diese gar nicht, um eine absolute Mehrheit zu erreichen.

Das "offizielle" Ergebnis und der nächste Premierminister

Angesichts der ungewissen Zukunft geraten die Koalitionsverhandlungen in den Hintergrund. Allerdings ist jetzt unbestreitbar, dass die Armee eben doch ein laadla (Urdu: Lieblingskind) hatte, den Sharif-Clan von der PML-N.

Dieser ist tatsächlich doch bereit, um der Macht willen über alle bisherigen Repressalien (Stürze, Verurteilungen, Politikverbote, Exil) Gras wachsen zu lassen. Nawaz Sharif, der Senior und Favorit fürs Amt des Premierministers, nimmt sich die Abfuhr des Wahlvolks immerhin zu Herzen und kandidiert nicht mehr.

Dies soll sein jüngerer Bruder Shehbaz, der auf den Sturz Khans folgte und bis August 2023 PM war. Die PPP will eine Minderheitsregierung der PML-N von außer stützen. Nawaz' Tochter Maryam soll chief minister der größten Provinz Punjab werden.

Die PPP gewann erwartungsgemäß ihre Hochburg Sindh (allerdings kam es besonders in Karachi zu massiven Unregelmäßigkeiten, von denen auch die PPP profitierte).

Eine dicke Überraschung gab es in Khyber-Pakhtunkhwa: Trotz Betrugs gewinnt die PTI eine Zweidrittelmehrheit, Ali Amin Gandapur https://en.wikipedia.org/wiki/Ali_Amin_Gandapur#Political_career wird voraussichtlich chief minister.

Quo vadis, Pakistan?

Absolut diskreditiert ist nach diesen Vorgängen die Wahlkommission, wie sie in Zukunft arbeiten soll, ist schleierhaft. Hinter allen Prognosen steht ein großes Fragezeichen.

Das Land bräuchte dringend politische Stabilität, um endlich die ruinöse Wirtschaftskrise in den Griff zu bekommen, doch mit diesem Ergebnis (Minderheitsregierung in der national assembly) und den im Raum stehenden Betrugsvorwürfen wird es mehr Chaos geben statt weniger.

Der Aktienindex ist seit der Wahl auf Talfahrt. Fast täglich gibt es neue Enthüllungen: Am Samstag erklärte Liaquat Ali Chattha, der Landrat von Rawalpindi, in seiner Gegenwart seien Wahlunterlagen manipuliert worden.

Die Human Rights Commission of Pakistan fordert eine unabhängige Revision unter Ausschluss der Wahlkommission, andere wiederum die Annullierung und Wiederholung. Nur wäre jede dieser Maßnahmen das Eingeständnis, dass es am 8. Februar nicht nur zu Schlampereien, sondern zahlreichen vorher geplanten Eingriffen kam – das wäre eine echte Verschwörung.

Das militärische Establishment könnte das kaum zulassen. Dies würde das Land zur reinen Fassaden-Demokratie degradieren. Doch es mehren sich die Zeichen, dass die Menschen genug haben von der extrakonstitutionellen Rolle der Armee und den wechselnden zivilen Spießgesellen.

Die Zeichen stehen auf Konfrontation. Es ist höchste Zeit, sich daran zu erinnern, dass man schon einmal an so einer Kreuzung stand.