Panik in der Labour-Partei
Seite 2: Die Paranoia in der Labour-Partei wächst
- Panik in der Labour-Partei
- Die Paranoia in der Labour-Partei wächst
- Auf einer Seite lesen
Im Parteiapparat ist derweil längst Panik angesagt. Sogar Tony Blair wurde aus der Versenkung geholt, um vor dem Untergang der Labour-Partei im Falle eines Wahlsieges von Corbyn zu warnen. In einem Artikel forderte er einen "Rugby tackle" gegen Corbyn, was man grob als ruppiges Beiseit stoßen übersetzen kann.
Auch von demokratischen Experimenten hat man im Labour HQ nun genug. Man werde das in Zukunft nicht mehr wiederholen, hört man von Parteimitarbeitern, wenn man sie nach dem derzeitigen Kampf um den Parteichefposten fragt. Die Paranoia wächst. Man fühlt sich von Linksradikalen infiltriert. Dabei haben alle größeren britischen sozialistischen und kommunistischen Organisationen Großbritanniens ihre Mitglieder explizit nicht zur Registrierung als Unterstützer der Labour-Partei aufgefordert. Einen solchen Propagandacoup wollen sie den Feinden Corbyns in der Labour-Partei nicht liefern.
Doch die Hexenjagd ist im vollen Gange. Knapp 50.000 Menschen wurde die Teilnahme an den Wahlen bisher verweigert. 100.000 könnten es noch werden, so Interimsparteichefin Harriet Harman. Sie alle bekamen dieselbe Email. Darin steht: "Nach unseren Untersuchungen haben Sie Ansichten, die denen der Labour-Partei entgegenstehen. Auch haben Sie in der Vergangenheit andere Organisationen als die Labour-Partei unterstützt. Deshalb werden Sie an der Wahl nicht teilnehmen können."
Nicht teilnehmen darf zum Beispiel Mark Servotka, der Generalsekretär der Gewerkschaft für Staatsangestellte PCS. Seine Gewerkschaft steht gegen das Sparprogramm der Regierung an vorderster Front. Die PCS organisiert unter anderem die Beschäftigten der Steuerbehörde. In dieser Funktion hat sie schon vor Jahren Konzepte zum Schließen von Steuerschlupflöchern aufgestellt, Ideen die vom Corbyn Lager geteilt werden. Doch für die Labour-Parteizentrale ist das scheinbar nicht akzeptabel.
In der Partei arbeitet man bereits daran, Corbyn ins Leere laufen zu lassen
Trotz dieser Hindernisse scheint der Vorsprung Corbyns nicht gefährdet. In eine Umfrage unter 10.000 Menschen nach einer jüngsten Fernsehdebatte erzielte Corbyn 80.8%. Im Falle eines Wahlsieges stellt sich für Corbyn allerdings die Frage, ob er sein Programm gegen den Apparat der Labour-Partei wird umsetzen können. Die Parteizentrale versucht ihn schon jetzt zu sabotieren. Die Unterhausfraktion steht ihm größtenteils ablehnend gegenüber.
Diese Kräfte werden alles unternehmen, um Corbyn zu isolieren. Mittelfristig werden sie versuchen, ihn zu stürzen. Unterstützung werden sie dabei von Geheimdiensten und Staatsapparat bekommen. Corbyns Auffassungen zur Abschaffung des Atomwaffenprogramms ist britischen und US-Militärs ein Dorn im Auge. Finanzminister George Osborne hält Corbyn für eine Bedrohung der nationalen Sicherheit. Die großen Medien werden ausdauernd mit Schmutz werfen, in der Hoffnung, dass etwas hängen bleiben möge. Dieser Aktionismus hat bereits begonnen.
Am Montag wurde in Großbritannien der parlamentarische Betrieb wieder aufgenommen. Und schon am selben Abend gab es ein Treffen der Labour-Parlamentsfraktion, um mögliche Regeländerungen zur Einschränkung und Behinderung des Einflusses Corbyns zu diskutieren. So wurde unter Ed Miliband eingeführt, dass der Parteichef sein Schattenkabinett selbst zusammenstellen kann. Diese Möglichkeit möchte man Corbyn nicht geben. Also wird angedacht, dass zukünftig das Schattenkabinett wieder durch die Parlamentsfraktion gewählt werden soll. Dafür bräuchte es aber einen Regeländerungsparteitag der Labour-Partei. Hier zeigen sich einige der Linien, anhand derer die parteiinternen Machtkämpfe der nächsten Monate geführt werden könnten.
Eine andere Herausforderung liegt im kommunalen Bereich. Zwischen Februar und März 2016 werden die meisten britischen Kommunen ihren Jahreshaushalt festlegen. Die bestimmende Frage wird dabei sein, wie sie Kürzungen in Höhe von 40% vornehmen werden. Diese Kürzungen werden schmerzen. Sie werden das Ende vieler städtischer Dienstleistungen bedeuten. Viele Menschen werden ihren Job verlieren.
Eine Reihe der von Labour geführten Städte haben sich mit dieser Perspektive arrangiert. Dazu zählt beispielsweise Manchester. Hier hat die Stadtregierung einen Deal mit Finanzminister George Osborne akzeptiert, durch den Manchester die lokale Kontrolle über das Gesundheitswesen erhält. Von der Stadtregierung wird im Gegenzug erwartet, dass sie vor Ort die Privatisierung von Krankenhäusern und anderen Einrichtungen organisiert. Osborne hat mit der Karotte größerer Befugnisse gewedelt, die Labour-Partei Manchesters hat sich im Gegenzug zur Erfüllungsgehilfin des konservativen Regierungsprogramms gemacht.
Gleichzeitig haben sich 450 von insgesamt rund 7.000 Stadträten der Labour-Partei der Corbyn-Kampagne angeschlossen. Eine Reihe von ihnen wird sich im kommenden Jahr mit Neuwahlen beschäftigen müssen. Wissend, dass ein Bekenntnis gegen Austeritätspolitik einer Wiederwahl förderlich sein kann, hoffen sie auf Aufwind durch ihre Assoziation mit Corbyn.
Aus all dem ergibt sich eine realpolitische Herausforderung für den möglichen zukünftigen Parteichef Corbyn. Welchen Widerstand können und sollen Städte gegen Spardiktate leisten? Manche seiner Berater fordern eine Art Mittelweg. So vertritt der Kolumnist Owen Jones die Auffassung, es sei Stadtregierungen nicht möglich, die Umsetzung von Spardiktaten zu verweigern oder zu verhindern. Deshalb sei es die Aufgabe der Labour-Partei, in den nächsten Jahren den Protest dagegen vor die Haustür der konservativen Zentralregierung in London zu legen.
Es ist aber fraglich, ob eine solche Politik jenen genügen wird, die sich schon in den kommenden Monaten mit den Auswirkungen der neuesten Sparrunde konfrontiert sehen werden. Und das sind genau jene Lohnabhängigen, Jugendlichen, Rentner und Erwerbslosen, die der Corbyn-Kampagne ihre derzeitige Stärke gegeben haben. Werden sie sich bis zu den nächsten Unterhauswahlen im Jahr 2020 gedulden? Die Einsparungen werden mindestens zu weiteren lokalen Streiks und Demonstrationen führen. Welche Unterstützung außer einer Vertröstung auf kommende Wahlen wird Corbyn dann zu leisten bereit sein?
Corbyn wird sicher auch das Schicksal der Syriza-Regierung in Griechenland vor Augen haben. Die Hoffnungsträger von heute können schnell ihren Glanz verlieren. Die Gegner Corbyns werden alles daran setzen, diesen Zeitpunkt schnell herbeizuführen. Bei der Frage, ob es dazu kommt, werden jene zehntausende Menschen, die Corbyns Kundgebungen im ganzen Land besucht haben, allerdings ein Wörtchen mitzureden haben.