Panik wegen Sars, nicht nur in Peking
Symphonie aus Chatroom-Gesprächsfetzen und Volkszeitungs-Notizen
- Hallo zusammen. Bin erkältet, schon seit zwei Tagen.
- Erhol dich und quatsch nicht so viel, damit die anderen im Chatroom nicht durch deine Tröpfchen angesteckt werden.
- Man hat mir eben einen Mundschutz geschenkt.
- 16fache Schicht?
- Weiß nich'.
Am 21. April beginnt in Shanghai die 10. internationale Automobil-Messe Auto Shanghai 2003. Die drei bemerkenswertesten Arten von Sehenswürdigkeiten dort sind natürlich brillante Autos aus aller Welt, hübsche Models erster Klasse und die vielen Atemmasken.Es gibt bis dato offiziell nur zwei Sars-Fälle in Shanghai, aber die verängstigten Bewohner von Shanghai wollen es nicht glauben.
- Hinaus in die Welt - Sars, schnell berühmt geworden, berüchtigter als Saddam...
- Die zwei Saaas!
- Diesmal hat China wegen Sars international das Gesicht verloren, ich find's nicht schlecht.
- Natürlich nicht. Vielleicht werden sogar manche Kader ausgezeichnet.
Am 22. April hat Chinas Führung nach der massiven internationalen Kritik an der Reaktion auf die tödliche Lungenseuche und angesichts zunehmender Besorgnis und Verärgerung der einfachen Menschen über die Informationspolitik endlich politische Konsequenzen gezogen: Gesundheitsminister Zhang Wenkang und Pekings Bürgermeister Meng Xuenong wurden entlassen - wegen "schwerer Fehler" bzw. wegen Vertuschung von Sars-Fällen. Gleichzeitig gaben die Behörden zu, dass die Zahl der Infizierten in Peking und landesweit zehnmal so hoch ist wie bisher eingestanden.
In Guangdong, wo angeblich die Epidemie dieser ungewöhnlichen Lungenentzündungen entstand, herrscht nach wie vor Panik. Vor einer Woche hat das Parteiorgan Volkszeitung noch einen Leitartikel herausgebracht, um einen Beitrag des Wall Street Journal mit dem Titel "Isoliert China!" zu widerlegen. In dem Leitartikel ging es nicht zuletzt auch darum, ob man zu dem jetzigen Zeitpunkt schon behaupten könne, dass Sars von Südchina aus die Welt verseucht. Im Gegenzug heißt es nicht von ungefähr: Aids wurde seinerzeit zuerst in den USA entdeckt.
- Hallo zusammen, habt ihr eben meine BBS-Nachricht gelesen? Die New York Times über die Sars-Seuche in China.
- Ja klar, einige kennen das schon. Meinst du übrigens den Artikel des Arztes aus dem Krankenhaus 301?
Dass Partei und Regierung eigene Fehler zugeben, ist in der Tat eine Neuigkeit in China. Aber es ist sicherlich übertrieben, wenn amerikanische wie auch taiwanesische Zeitungen darin nun wegen der Entlassung zweier Regierungskader "eine politische Krise" oder "ein Erdbeben in der KP Chinas" erblicken wollen. Es ist letztendlich nur ein Befreiungsschlag der Partei, die bislang dem internationalen Druck und der Macht des neuen Informationsflusses gegenüber derart weltfremd erschien. Es handelt sich also mehr oder weniger um Schadensbegrenzung, um so das Image der Partei und der erst vor kurzem neu gebildeten Regierung aufzupolieren.
Die Aktion kommt vielleicht schon zu spät. Bis vor einer Woche dominierten noch in den großen chinesischen Zeitungen und im Fernsehen - neben Berichten über den Irak-Krieg - andere Themen und schoben so Sars in den Hintergrund. Was Sars anging, so hieß es: Erstens sei die Lungenseuche in China bereits unter Kontrolle; zweitens stelle Sars keine furchterregende Krankheit dar und in China gäbe es Heilkräuter, die das Immunsystem stärken würden; also nur keine Panik. Zudem schienen die Tatsache gegen eine Dramatisierung der Seuche zu sprechen: die Sterblichkeitsziffer bei Sars-Infizierten war demzufolge in Kanada sowie in Hongkong 18,2%, in China (ohne Hongkong) 5,4%.
- "Bloß keine Unruhe" - Ein großes Tier hat so oder so recht!
- Die Partei vertritt das Volk und wird sich um uns kümmern.
Wie nach einer großen Schlacht fing man inzwischen in den Zeitungen schon damit an, über Heldentaten der Ärzte und Schwestern zu berichten. "Das Tagebuch einer Oberschwester" wurde überall nachgedruckt. In der Bevölkerung wurde eine Weile über den tödlichen Erreger des Schweren Akuten Atemwegs-Syndroms diskutiert: Er käme höchstwahrscheinlich von einem Tier, weil die Kantonesen alle möglichen Tiere äßen. Außerdem wurde auch eine Zeit lang vermutet, Rauchen schütze vor Sars, weil unter den Sars-Infizierten in Peking und Guangdong kaum Raucher seien.
- Neue Entdeckung der City University of Hong Kong: Der Krankheitserreger gelangt wahrscheinlich von einem Tier zum Menschen.
- Die Pekinger Experten schließen auch nicht aus, dass Sars von Tieren zum Menschen übertragen wurde.
- Sars stammt vom Tier, nicht vom Bürokratismus. Hahaha, heutzutage sind die Tiere stärker als die hohen Funktionäre!
- Man sagt: Rauchen kann Sars vorbeugen. Alle Nichtraucher sollten von nun an mit dem Qualmen anfangen, damit der Staat noch mehr Steuern kassiert.
Für die normalen Menschen ist es wohl nicht so wichtig, ob nun ein Kader geht und ein anderer kommt. Die Entlassenen sind für die meisten ohnehin nichts als Sündenböcke. Viel schlimmer ist jedoch die psychische Konsequenz der nun wahrgenommenen drastischen Zunahme der Zahl der Erkrankungen und der Sars-Opfer. Zudem heißt es nun auch aus Regierungskreisen: die Lungen-Epidemie sei sehr kritisch und es existiere bisher noch kein Heilmittel gegen Sars. Die chinesische Regierung hat seit fast einem halben Jahr die Sars-Gefahr herunter gespielt, um eine landesweite Panik zu vermeiden, was schließlich zu mehr Panik geführt hat und: allerorten hört man Klagen und Murren.
- Die Volkszeitung bestritt die westlichen Berichte über Sars. Traut man sich, die Gerüchte der westlichen Medien nachzudrucken, damit ich diese Gerüchte mal kennenlernen kann?!
- Sogar Krankheitsfälle versucht man zu vertuschen. Wie viele Dinge gibt es wohl noch, die nicht ans Licht kommen?
Obwohl seit dem 21. April jeden Tag eine neue Sars-Statistik veröffentlicht wird, fragt man sich nicht ohne Grund: Ist dies jetzt schon die Wahrheit? Gibt es keine anderen lokalen Kader mehr, die falsche Angaben über die Zahl der Infizierten machen? Bis zum 21. April (20 Uhr) seien in Peking 588 Menschen (darunter 99 Ärzte und Schwestern) mit Sars infiziert worden und 28 seien gestorben, 46 Menschen seien jedoch als geheilt entlassen worden. Hinzu kämen 610 Verdachtsfälle, von denen nach Angaben der WHO vermutlich die Hälfte an Sars erkrankt sei. Einen Tag später (22. April, 20:Uhr) sind die Zahlen drastisch gestiegen: 693 Menschen (darunter 126 Ärzte und Schwestern) seien mit Sars infiziert worden und 35 gestorben, 55 Menschen entlassen. Verdachtsfälle: 782. Bis zum gleichen Zeitpunkt (22. April, 20:Uhr) seien landesweit 2.305 Menschen (darunter 517 Ärzte und Schwestern) mit Sars infiziert, 1231 als geheilt entlassen; 106 Menschen erlagen der Krankheit.
- In Peking ist heutzutage der starke Geruch von Desinfektionsmitteln stärker als der Geruch in einem Pferdestall; im Aufzug hat man das Gefühl, man sei auf dem Dorf.
- Es ist dringend erforderlich, dass man BH-Fabriken in Mundschutz-Fabriken umwandelt!
Ein Gespenst schwebt über Peking. In den großen Kaufhäusern und auf den Straßenmärkten ist es fast menschenleer. Öffentliche Plätze und Verkehrsmittel, Bahnhöfe, Büros und teils auch Wohnhäuser werden desinfiziert. In den Banken sieht man keine Schlangen mehr; dasselbe bemerkt man auch vor den ausländischen Konsulaten, weil man in diesen Tagen sowieso schwer ein Visum bekommen kann. In Betrieben und staatlichen Institutionen finden keine Veranstaltungen mehr statt; 70.000 Eintrittskarten für eine Pop-Musik-Veranstaltung einer Hongkonger Sängerin sind gegen Kostenerstattung zurückgegeben worden. Die Schulen sind für zwei Wochen geschlossen worden und man hat die Schüler in außerordentliche Ferien geschickt. Ob die Schulen am 8. Mai wieder geöffnet werden, sei noch nicht entschieden. An mehreren Universitäten wurde der Unterricht gestrichen und gleichzeitig wurde den Studierenden verboten, den Campus zu verlassen.
Sechs Krankenhäuser stehen mittlerweile ausschließlich Sars-Patienten zur Verfügung. Irgendwo hörte man von der besonderen Eignung einer gewissen chinesischen Medizin zur effektiven Vorbeugung und Verhütung von Sars; in kürzester Zeit wurden 480.000 Flaschen verkauft. Die Dreizehn-Millionen-Stadt Peking befindet sich geradezu in einer Art Ausnahmezustand. Dort wird auch seit einiger Zeit jeder Gefangenenbesuch untersagt. Folge: kein Sars-Fall bisher im Gefängnis. Es ist wohl eine verspätete Reaktion darauf, dass die Experten der WHO die chinesischen Behörden wegen unzureichender Vorsichtsmaßnahmen kritisierten, besonders in Peking.
Der Personenverkehr des Westbahnhofs Peking ist um 75% gesunken und nur 80.000 Personen werden im Moment jeden Tag befördert. Abgeraten wird von Reisen, die man nicht unbedingt machen muss. Aber: Gerüchte (am 22. April) über eine mögliche Abriegelung der Stadt haben zu ersten Panikkäufen geführt. Zahlreiche Bewohner warteten am Pekinger Hauptbahnhof in der Hoffnung, noch ein Zugticket für die Fahrt in ihre Heimatprovinzen zu ergattern. Die Hauptstadt Peking gehört zu den am stärksten betroffenen Gebieten.
Die Panik herrscht aber nicht nur in Peking. Die als "Goldene Woche" bekannte Ferienzeit vom 1. bis 7. Mai (es handelt sich hier um landesweite Feiertage) wurde auf nur drei Tage zusammengestrichen. Reisebüros organisieren keine Reisen mehr ins Landesinnere, um die Ausbreitung der Krankheit einzudämmen. Ärzteteams werden in die Provinzen entsandt, um weitere Schutzmaßnahmen einzuleiten.
Sars bedeutet nicht nur einen Rückschlag für die inländische Tourismusindustrie. Viele ausländische Reisegruppen und Geschäftsleute haben ihre China-Reisen storniert. Abgesagt wurden inzwischen schon 80% der geplanten Reisen und Reservierungen beim Chinese International Travel Service. Bereits jetzt rechnet man damit, dass sich die gesamte Wirtschaftsentwicklung abschwächt und dieses Jahr das Wachstum des BSP mindestens um 1% nach unten korrigiert werden muss.
- Ein Expertenteam gegen Sars ist in Peking ins Leben gerufen worden.
- Gegründet nur für hohe Kader. Wenn ich mit Sars infiziert wäre, hätte ich auch kein Geld, um ins Krankenhaus zu gehen und könnte nur zu Hause auf den Tod warten.
- Was haben die eigentlich vorher gemacht?
(Weigui Fang ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des medienwissenschaftlich-sinologischen Forschungsprojekts "Das Internet in China" an der Universität Trier)