Pannenpanzer Puma: Ein Debakel

Bild Puma-Schützenpanzer: Thomas Vogt / CC-BY-2.0 | Bild Warndreieck: FEXX / CC-BY-SA-3.0

Marodes deutsches Beschaffungswesen: Verspätungen, Qualitätsmängel und teure Nachrüstung. Flügelstreit innerhalb der Bundeswehr. Totalausfall bei Manöver. Streit über Schuld an der Misere.

Am 14. Dezember 2022 gab der Haushaltsausschuss des Bundestages in seiner letzten Sitzung des Jahres grünes Licht für die ersten größeren Rüstungsprojekte, die aus dem Bundeswehr-Sondervermögen von 100 Mrd. Euro bezahlt werden sollen.

Als größter Batzen wurden 8,3 Mrd. Euro (mit Folgeaufträgen mindestens 10 Mrd. Euro) für die Anschaffung von F-35 Kampfjets bewilligt. Damit wurde auch der Beibehaltung der Nuklearen Teilhabe und damit der fortgesetzten Stationierung von US-Atomwaffen in Deutschland zugestimmt, obwohl sich bei der F-35 bereits jetzt immense Probleme abzeichnen (siehe "Milliardengrab Kampfjet F-35 – auch für Deutschland").

Noch krasser verhält es sich mit dem Schützenpanzer Puma, der – nicht erst – in den letzten Tagen spektakulär von sich reden machte. Kaum ausgeliefert, musste der Panzer gleich wieder nachgerüstet werden, um den Anforderungen der Nato entsprechen zu können.

Kaum hatte der Bundestag die diesbezüglichen Gelder für die letzte Nachrüstungsmarge am 14. Dezember bewilligt, wurde der ganze Prozess schon wieder auf Eis gelegt, nachdem sich die – nachgerüsteten – Panzer bei einer Übung als Totalausfall erwiesen hatten.

Angetreten sei das Projekt mit dem Anspruch, der "modernste und schlagkräftigste Schützenpanzer weltweit" zu werden, wetterte Welt-Journalist Thorsten Jungholt. Nun sei er "eines der größten Fehlschläge in der Geschichte der deutschen Rüstungsindustrie".

Schützenpanzer als Rohrkrepierer

Beim Schützenpanzer Puma handelt es sich um eine der ganz besonderen "Erfolgsgeschichten" des deutschen Beschaffungswesens: bis das letzte Exemplar ausgeliefert wurde, war eine Verspätung von 69 Monaten angehäuft, während die Kosten von ursprünglich 4,3 Mrd. Euro um zusätzliche 1,388 Mrd. Euro deutlich anstiegen.

Neben Verspätungen und Verzögerungen haperte es augenscheinlich auch an der Qualität des Pumas. Jedenfalls wurden bereits 2019 erste Nachrüstungen ("Konfigurationsstand S1") von 40 Exemplaren in Auftrag gegeben, noch bevor das erste Los mit insgesamt 350 Pumas im Juni 2021 vollständig ausgeliefert worden war.

Nötig wurde dies, weil der Panzer ansonsten nicht den Anforderungen der Schnellen Nato-Eingreiftruppe (VJTF) entsprochen hätte, deren Führung die Bundeswehr am 1. Januar 2023 übernehmen wird.

Mit Auslieferung des ersten Loses erhielten die Konstrukteure Rheinmetall und Krauss-Maffei Wegmann im Juni 2021 den Auftrag, weitere 154 der Schützenpanzer auf VJTF-Standard zu bringen. Außerdem wurde eine Option für die Nachrüstung weiterer 143 Puma für 820 Mio. Euro vereinbart, die nun am 14. Dezember von den Abgeordneten des Haushaltsausschusses bewilligt wurden (allerdings sind die Kosten mittlerweile bereits auf 850 Mio. Euro gestiegen).

Dadurch wurden inzwischen Aufträge zur Nachrüstung von 337 Pumas vergeben, addiert man die 13 Schulfahrzeuge hinzu, für die kein Upgrade vorgesehen ist, war somit das gesamte erste Los nachrüstungstechnisch unter Dach und Fach. Auf der Internetseite des Verteidigungsministeriums war man zu diesem Zeitpunkt noch sichtlich zufrieden:

143 Schützenpanzer Puma können für rund 850 Millionen Euro auf einen einheitlichen Konstruktionsstand nachgerüstet werden. Mit der Nachrüstung werden alle Puma der Bundeswehr ein einheitliches und einsatztaugliches technisches Niveau erreichen.

bmvg.de, 14.12.2022

Außerdem lag man mit der Auslieferung der für die VJTF-Übernahme vorgesehenen ersten 40 aufgebohrten Schützenpanzer im Februar 2022 im Plan – dachte man zumindest, weshalb auch die Diskussion um die Beschaffung eines zweiten Puma Loses parallel von da ab Fahrt aufnahm.

Rad vs. Kette

Noch bevor das jüngste Debakel seinen Lauf nahm, blies dem Puma sowohl aus dem Parlament wie auch bundeswehrintern teils ein rauer Wind entgegen. Als der Haushaltsausschuss am 11. November 2022 das Bundeswehr-Budget für 2023 genehmigte (50,1 Euro Mrd. plus 8,5 Mrd. Euro aus dem Sondervermögen), versahen die Parlamentarier die Entscheidung mit einem Maßgabebeschluss.

Dort kam die Skepsis gegenüber dem Puma deutlich zum Ausdruck. In ihm wurde die Bundesregierung aufgefordert, "zu prüfen, ob eine Fortführung des 2. Loses Puma noch Sinn ergibt".

Lange galt die Anschaffung eines zweiten umfangreichen Loses als gesetzt, vor allem nachdem dessen Finanzierung aus dem Sondervermögen als gesichert erschien (siehe "Bundeswehr-Sondervermögen: Aufrüstung als Konjunkturpaket"). Im März 2022 war noch die Rede von 229 weiteren Pumas gewesen, eine Zahl, die in den letzten Monaten deutlich nach unten korrigiert wurde. Am 7. Dezember 2022 meldete dann das Fachportal Europäische Sicherheit & Technik:

Der Umfang eines zweiten Loses des Schützenpanzers Puma fällt offenbar deutlich geringer aus als erwartet. Wie aus dem vorgestern veröffentlichten 16. Rüstungsbericht des Verteidigungsministeriums hervorgeht, soll der Bestand des Schützenpanzers beim Heer bis zum Jahr 2031 von 350 auf 400 Einheiten steigen – ein Plus von lediglich 50 Exemplaren. […]

Ursprünglich sollten in einem zweiten Los über 200 Pumas beschafft werden, um die seit den 70er Jahren im Einsatz befindlichen Schützenpanzer Marder, mit dem weiterhin Panzergrenadierbataillone ausgerüstet sind, abzulösen. Zuletzt hatte das Heer einen Bedarf von 111 Pumas angemeldet. Diesem Wunsch wird nun offenbar nicht entsprochen.

Europäische Sicherheit & Technik, 7.12.2022

Der nachlassende Enthusiasmus hat dabei nicht nur mit der schier endlosen Pannenserie des Puma zu tun, sondern er ist auch ein Resultat eines Flügelstreits innerhalb des Verteidigungsministeriums, über den in der Wirtschafts Woche folgendes nachzulesen war:

Im Kern geht es bei dem Konflikt offenbar um die künftigen Schwerpunkte des Heeres. Bisher setzten die Planer in größerem Umfang auf eine Verteidigung nahe der deutschen Grenzen. Dafür wollten sie neben den schweren Leopard-2-Kampfpanzern vor allen gut geschützte Puma-Schützenpanzer. […]

Angesichts der wachsenden Bedeutung schneller Eingreiftruppen im Rahmen der Nato und den Erfahrungen im Ukrainekrieg drängt nun offenbar Heeresinspekteur Alfons Mais auf mehr mobile Kampfverbände. Diese sollen wie die US Army vor allem Kampfwagen mit Radantrieb nutzen, weil die wegen ihres geringeren Gewichts schneller verlegt werden können als Kettenfahrzeuge.

Wirtschafts Woche, 3.6.2022

Die Probleme des Puma in Kombination mit dem Bedeutungszuwachs beweglicher Kräfte dürfte zur Folge haben, dass die sinkende Stückzahl des zweiten Puma-Loses durch die Beschaffung von Radpanzern des Typs Boxer ausgeglichen werden dürfte.

Außerdem dokumentierten die Abgeordneten des Haushaltsausschuss mit einem weiteren Maßgabebeschluss, diesmal zur Freigabe der Gelder für die Nachrüstung weiterer 143 Pumas am 14. Dezember 2022, erneut ihren Unmut:

Vor Einbringung einer 25 Mio. Euro Vorlage zur Beschaffung weiterer SPz Puma 2. Los, ist zu prüfen und sicherzustellen, dass die Maßgaben erfüllt sind und alle SPz Puma 1. Los angemessen umgerüstet werden.

Maßgabebeschluss des Haushaltsausschusses vom 14.12.2022

Das Geld für die Nachrüstung der Panzer wurde also zwar freigegeben, aber weitere Mittel für ein zweites Puma-Los sollen nur bewilligt werden, wenn dies reibungslos funktioniert.

Totalausfall – Totalstopp

Nur wenige Tage nach Freigabe der Puma-Gelder platzte die Bombe in Form eines von Spiegel Online am 17. Dezember 2022 veröffentlichten Schreibens von Generalmajor Ruprecht von Butler an seinen Chef, den Inspekteur des Heeres.

Butler ist Kommandeur der 1. Panzerdivision, zu der auch die Panzergrenadierbrigade 37 aus Frankenberg gehört, die ab Januar 2023 den Kern der VJTF-Truppe der Nato stellt.

Genau für diese Aufgabe waren die im Februar 2022 ausgelieferten ersten 40 auf VJTF-Standard aufgebohrten Pumas vorgesehen, von denen kurz zuvor 18 in einer wohl nicht einmal sonderlich anspruchsvollen Übung getestet worden waren. Das Ergebnis lässt sich dem Brief Butlers entnehmen – ebenso wie dessen Verärgerung:

Von 18 einsatzbereiten Schützenpanzern, mit der die Kompanie begonnen hatte, sank die Einsatzbereitschaft während der letzten acht Ausbildungstage auf 0 Schützenpanzer. […] Sie können sich vorstellen, wie die Truppe die Zuverlässigkeit des Systems Puma nun bewertet. […]

Mit der üblichen Zuverlässsigkeit [sic] deutscher Landfahrzeuge ist dies nicht zu vergleichen, und wir sprechen hier über Fahrzeuge, die wir mit erheblichen [sic!] Kostenaufwand auf einen anderen – vermeintlich – zuverlässigeren Stand gebracht hatten. Dies ist gerade auch für die mir unterstellte Truppe belastend.

Generalmajor Ruprecht von Butler, Spiegel Online, 17.12.2022

Ursächlich für die Probleme sei die komplexe Elektronik gewesen, auch Kabelbrände wären aufgetreten. Es werde nun Monate dauern, bis die Pumas wieder am Start wären – und das eben zu dem Zeitpunkt, zu dem sie eigentlich für die VJTF zur Verfügung stehen sollten.

Er sehe sich deshalb gezwungen, so Butler in seinem Schreiben, für die VJTF nun auf die jahrzehntealten Marder zurückzugreifen. Generell sei die Einsatzfähigkeit der Pumas inzwischen zu einem "Lotteriespiel" geworden, so Butlers Fazit.

Kurz darauf zog auch das Verteidigungsministerium die Notbremse: Man sei nach den vorangegangenen Übungen eigentlich "recht zuversichtlich" gewesen, deshalb sei der jüngste Totalausfall "ein herber Rückschlag", erklärte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums am 19. Dezember.

Ferner wurde die Notwendigkeit, nun auf Marder zurückzugreifen von dem Sprecher bestätigt: "Mit Blick auf die VJTF-Verpflichtungen, die werden wir erfüllen, ab dem 1. Januar wie geplant, dann aber mit dem Schützenpanzer Marder."

Kurz darauf wurden weitere Konsequenzen aus dem Debakel gezogen:

Verteidigungsministerin Lambrecht erklärte nicht nur, dass die für kommendes Frühjahr geplante Bestellung weiterer Schützenpanzer dieses Typs vorerst zurückgestellt werde. Auch die vom Haushaltsausschuss des Bundestages erst in der vergangenen Woche freigegebenen Gelder für eine Nachrüstung der bereits beschafften Pumas sollen vorerst nicht genutzt werden: Der entsprechende Vertrag, hieß es aus dem Ministerium, werde zunächst nicht gezeichnet.

Thomas Wiegold, Table Security, 20.12.2022

Vor diesem Hintergrund ist nicht nur die Zusage gerissen worden, für die VJTF-Übernahme im Januar 40 funktionierende Schützenpanzer auf Nato-Standard einspeisen zu können. Auch die von Deutschland zugesagte schwere Division mit 266 Puma-Schützenpanzern mit VJTF-Standard dürfte sich kaum rechtzeitig bereitstellen lassen – zumal der diesbezügliche Zeitplan von 2027 auf 2025 nach vorne gezogen wurde.

Der Welt-Journalist Thorsten Jungholt glaubt jedenfalls nicht mehr daran: "Wie das jetzt noch gelingen soll, ist das Geheimnis des Verteidigungsministeriums." Ähnlich sehen das andere Medien:

Aus dem Puma-Projekt auszusteigen hätte massive Auswirkungen auf die Bundeswehr – finanziell und strukturell. Bis 2025 haben Lambrecht und Generalinspekteur Eberhard Zorn der Nato eine voll einsatzbereite Division mit rund 30.000 Soldaten zugesagt. Der Puma wäre wesentlicher Bestandteil und schon zuvor gab es erhebliche Zweifel an der Umsetzbarkeit des Projektes. […] Ein Puma-Kaufstopp hätte damit unmittelbar zur Folge, dass Deutschland eines seiner zentralen Nato-Versprechen nicht einhalten könnte.

ZDF, 20.12.2022

Marodes Beschaffungswesen

Aktuell versuchen sich Industrie, Politik und Militär gegenseitig die Schuld für die Misere in die Schuhe zu schieben.

Sowohl die Truppe als auch die Industrie versuchen nun fieberhaft, den Grund für den Massenausfall festzustellen. Bei der Fehlersuche, so heißt es in einem internen Protokoll der Industrie, deute einiges auf Probleme bei der Truppe hin: Die Einheit habe weder die nötigen Ersatzteile mit in diese Übung genommen noch ausreichend Sonderwerkzeug. Die bereitstehende Hilfe der Herstellerfirmen sei nicht angefordert worden.

Thomas Wiegold, Table Security, 20.12.2022

Egal, wer am Ende die Hauptverantwortung trägt, die jüngsten Puma-Pannen sind in gewisser Weise symptomatisch für das insgesamt hoffnungslos dysfunktionale Beschaffungswesen der Bundeswehr, das bereits seit Jahren in der Kritik steht.

Zuletzt kam im Mai 2022 eine im Auftrag von Greenpeace angefertigte Studie zu dem Ergebnis, diverse Probleme beim Beschaffungsprozess würden Mehrkosten zwischen 35 Prozent und 54 Prozent verursachen (siehe "Sondervermögen der Bundeswehr: Kritik wird schärfer").

In schöner Regelmäßigkeit dokumentiert auch die Bundeswehr ihr Scheitern bzw. das ihres Beschaffungswesens in Form von halbjährlich erscheinenden Rüstungsberichten. Darin legt das Ministerium vor allem Zeugnis über den Stand, die Verspätungen und die Kostensteigerungen der wichtigsten Bundeswehr-Großprojekte ab.

Im letzten Bericht vom November 2022 ließ sich nachlesen, dass die untersuchten Rüstungsprojekte mit einem Gesamtvolumen von 68,8 Mrd. Euro dem ursprünglichen Zeitplan im Schnitt 27 Monate hinterherhinken würden und dabei insgesamt rund 12 Mrd. Euro teurer seien als anfangs geplant.

Auf den ersten Blick weichen diese neuen Zahlen erheblich vom Frühjahrsbericht 2022 ab: Demgegenüber sind sowohl die Verzögerungen (48 Monate) als auch die Kostenüberschreitungen (16,9 Mrd. Euro) deutlich gesunken. Bei näherem Hinsehen zeigt sich aber, dass diese Werte vor allem darauf zurückzuführen sind, dass einige der spektakulärsten Rohrkrepierer nach Auslieferungsende aus der Statistik gefallen sind.

Neben dem Puma haben der Bundeswehr zum Beispiel auch der Transporthubschrauber NH90 (Mehrkosten: 1,343 Mrd. Euro; Verzögerung: 134 Monate) und die Fregatte F125 (1,258 Mrd. Euro; 56 Monate) über Jahre die Pannenstatistik verhagelt. Die neu aufgenommenen Projekte (F-126, U212, Pegasus …) befinden sich noch in ihren Anfängen und hatten somit bislang noch wenig Gelegenheit, um signifikante Verzögerungen und Mehrkosten zu verursachen.

Nichts deutet also darauf hin, dass Politik, Militär und Industrie in der Lage sein werden, das marode Beschaffungswesen in den Griff zu bekommen. Das sollte vielleicht auch denen zu denken geben, die angesichts der jüngsten Pannen weiter reflexhaft nach immer mehr Geld rufen, um diesen dysfunktionalen Apparat weiter zu befeuern.