Papierkrieger auf verlorenem Posten

Die Stoiber-Kommission zum Bürokratieabbau in der EU kommt nicht voran. Da werden selbst kleinste Schritte gefeiert

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Seit zwei Jahren steht der frühere bayerische Ministerpräsident Stoiber einer EU-Arbeitsgruppe zum Bürokratieabbau vor. So richtig ernst nimmt die "hochrangige Expertengruppe" in Brüssel aber niemand. Jetzt hat sie eher symbolische Vorschläge zur Entlastung von Unternehmen vorgelegt. Einige sehen darin auch Schlupflöcher für Firmen, die es mit den Gesetzen nicht so ernst nehmen.

Edmund Stoiber findet sich im Kleingedruckten, und das noch nicht einmal mit namentlichen Erwähnung: Es werde einen Meinungsaustausch zum Abbau der bürokratischen Hürden insbesondere für kleinere Unternehmen geben, heißt es in der Hintergrund-Information zum EU-Ministerrat Binnenmarkt und Wettbewerb, der am Donnerstag und Freitag in Brüssel tagte. Ausdrücklich verweisen die Autoren dabei auf die entsprechenden Beschlüsse der Staats- und Regierungschefs von 2007 und 2008, bis zum Jahr 2012 die Bürokratiekosten in der EU um 25 Prozent zu senken.

Tatsächlich meldeten die Minister Vollzug: Man habe das Thema diskutiert, hieß es in der Protokollmitteilung zu dem Treffen. Ein Ergebnis mochte die Runde jedoch nicht mitteilen, dieses würde jedoch in die weitere Arbeit der Stoiber-Gruppe zum Bürokratieabbau einfließen.

Ausgerechnet den CSU-Politiker Stoiber, der als bayerischer Ministerpräsident für Aktenverliebtheit, dogmatisches Arbeiten und ausufernde Verwaltung nicht nur bei der Opposition berüchtigt war, hatte sich die EU-Kommission auserkoren, um den Dschungel von europäischen Vorschriften, Regelungen und Richtlinien zu lichten. Schon zur Berufung Stoibers im September 2007 rätselten alle, was - und wer - EU-Kommissionschef Jose Manuel Barroso bewogen haben könnte, den Bayern nach Brüssel zu holen.

Hat Angela Merkel nachgeholfen, damit ihr der Mann aus München im Wahlkampf 2009 nicht in die Quere kommt? Sollte der als Landeschef unrühmlich Abgedankte im Freistaat keinen Schaden mehr anrichten können? Oder war es einfach nur die Rache Barrosos an dem ewig an Europa herumnörgelnden Stoiber (vor allem, wenn er Interessen Bayerns gefährdet sah), der mit der Aufgabe scheitern muss? Schließlich haben sich am Bürokratieabbau in der Europäischen Union schon ganz andere die Zähne ausgebissen. So arbeitet unter Industriekommissar Günter Verheugen seit Jahren eine personell üppig ausgestattete Task Force an dem Thema - ohne große Erfolge. Ganz unbürokratisch allerdings wurden Stoiber 14 "hochrangige Persönlichkeiten" zur Seite gestellt, die sich dieser auch noch zum Teil selbst aussuchte - wie den deutschen Unternehmensberater Roland Berger und den ehemaligen Deutsche-Bahn-Chef Johannes Ludewig. Und das 13-Zimmer-Büro in München samt Sekretärinnen, Mitarbeitern, Fahrer und Sicherheitspersonal wird auch zumindest zum Teil von Brüssel bezahlt.

Dabei hat es lange gedauert, bis die "hochrangige Expertengruppe" (High Level Group, HLG) überhaupt ihre Arbeit aufnahm. Erst vier Monate nach Stoibers Berufung fand die erste Arbeitssitzung, die sich auch noch vor allem mit administrativen Fragen beschäftigte. Bis die HLG ihre ersten Ergebnisse auf den Tisch legte, dauerte es noch einmal anderthalb Jahre. Die FDP-Europaabgeordnete Silvana Koch-Mehrin richtete zwischenzeitlich schon mal eine parlamentarische Anfrage an die Kommission, um zu erfahren, was und mit welchem Mandat die Stoiber-Mannschaft eigentlich so treibe.

Inzwischen hat das der HLG-Chef klargestellt: Am Freitag vergangener Woche überreichte er Kommissionspräsident Barroso seinen Zwischenbericht zum Bürokratieabbau, der nun auch beim Ministerrat zur Debatte stand. Insgesamt könnten die Unternehmen in der EU 40,5 Milliarden Euro jährlich sparen, wenn die Pläne seiner Beratergruppe für den Bürokratieabbau verwirklicht würden, meinte Stoiber bei der Zeremonie. Zentrales Vorhaben der HLG dabei ist ist die Befreiung von Kleinstbetrieben von EU-Bilanzpflichten. "In jeder Firma beträgt die mögliche Lastenreduzierung durchschnittlich 1200 Euro pro Jahr", heißt es dazu im Bericht, "Ein echtes Konjunkturproramm." Zudem sollten Finanzämter künftig elektronische Rechnungen anerkennen und Handwerker beim Transport von Arbeitsmaterial erst ab 150 Kilometern Fahrt mittels teurer Tachographen Pausen nachweisen müssen - was der Zentralverband des Deutschen Handwerks begrüßte. Über den Rest der etwa 260 Vorschläge, mit der sich die HLG nach Stoibers Angaben beschäftigt, mochte deren Chef im Beisein der Presse nicht sprechen.

Dass diese kaum sehr effizient sein werden, ist klar. Schließlich hatte man Stoiber in Brüssel sehr deutlich klargemacht, dass er die europäischen Kreise nicht zu stören habe. Der Chef der Sozialdemokraten im EU-Parlament, Martin Schulz, hatte die Einsetzung der Stoiber-Kommission schon von Anfang an als "Schnapsidee" bewertet, und der zuständige Binnenmarktkommissar Charlie Mc Creevy ignorierte die HLG konsequent über Monate. Dafür lobte der Ire umso überschwenglicher die von Kommission und Europaparlament durchgesetzte Befreiung von Aktiengesellschaften von der Gutachten-Pflicht bei Fusionen und Spaltungen - was wohl auch kein Durchbruch bei der Entbürokratisierung ist. Vor allem aber kommt Stoiber kaum an den EU-Apparat in den verschiedenen Institutionen heran, die ein faktisches Eigenleben führen. Und den Ast, auf dem man sitzt, sägt man nicht ab.

Ungemach könnte Stoiber aber auch aus den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten drohen. Die europäischen Handwerkerverbände fürchten bereits massive Wettbewerbsverzerrungen, sollten die Erleichterungen nur in einigen Ländern umgesetzt werden. Und auch die Lobbyisten der Steuerberaterverbände sollen derzeit vor allem in den Brüsseler Abgeordnetenbüros unterwegs sein, um eine zu starke Verschlankung des Steuerrechts und damit wegbrechende Aufträge zu verhindern. Nicht zuletzt sind es die Regierungen selbst, die bei einigen HLG-Vorstößen Bedenken haben: Denn die Entbindung von Bilanz- und Dokumentationspflichten könnte auch zu erheblichem Steuer- und Subventionsbetrug führen.