Pastranas Krieg

Nach dem Abbruch der Gespräche mit der ELN setzt die Pastrana-Regierung die Kriegsmaschinerie in Bewegung

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Wer den Erklärungen der US-Regierung bisher noch Glauben schenkte, der "Plan Colombia" diene der Drogen- und nicht der Oppositionsbekämpfung, konnte sich in den vergangenen Wochen eines Besseren belehren lassen. Etwas mehr als ein Jahr nach der Verabschiedung von 1 Milliarde US-Dollar Militärhilfe durch den US-Kongress ist Kolumbien auf dem besten Weg zum offenen Bürgerkrieg. Seitdem die Regierung des konservativen Präsidenten Andrés Pastrana am 7. August die Gespräche mit der ELN-Guerilla für beendet erklärt hat, führt die kolumbianische Armee im ganzen Land eine Offensive durch, bei der nach Armeeangaben mehrere Hundert Menschen getötet worden sein sollen. Dabei werden nicht nur die von der ELN kontrollierten Gebiete in Departments wie Bolívar und Arauca, sondern auch Regionen unter Einfluss der noch mit der Regierung verhandelnden FARC-Guerilla von mehrere Tausend Mann starken Eliteeinheiten angegriffen.

Vor drei Jahren war der Amtsantritt von Präsident Pastrana noch als Auftakt eines neuen Friedensprozesses gefeiert worden. Der Chefredakteur der "Le Monde Diplomatique", Ignacio Ramonet, bezeichnete Pastrana im Sommer 1998 als große Hoffnung für das seit mehr als 50 Jahren von Krieg gebeutelte Kolumbien. Tatsächlich erfüllte der neue Präsident unmittelbar nach der Regierungsübernahme einige wichtige Bedingungen für die Aufnahme von Friedensverhandlungen. So überließ er der als KP-nah geltenden FARC-Guerilla ein 40.000 Quadratkilometer großes Gebiet im Süden des Landes als Sicherheitszone, setzte die Haftbefehle gegen führende Guerilla-Kommandanten aus und reiste im Januar 1999 zum Auftakt der Gespräche in das mittlerweile von den FARC kontrollierte Gebiet.

Doch während die Regierung auf diese Weise das durch Menschenrechtsverletzungen, Drogenskandale und Korruption ramponierte Image des kolumbianischen Staates wieder aufpolierte, wurde gleichzeitig mit dem "Plan Colombia" das größte US-Militärhilfepaket in der Geschichte Lateinamerikas durchgepaukt. Offiziell zielt der Plan darauf ab, die Kokaproduktion in Kolumbien entscheidend zu reduzieren (Drogenbekämpfung oder biologischer Krieg?). Tatsächlich sind zwar die Herstellungsmengen von Kokain in den letzten 10 Jahren weit gehend stabil geblieben, aber der Anbau der alkaloidhaltigen Pflanze hat sich offensichtlich aus den traditionellen Anbauländern Peru und Bolivien nach Kolumbien verlagert. Verantwortlich für diese Entwicklung waren sowohl die Antidrogen-Operationen in den benachbarten Andenstaaten als auch die schwere, durch die neoliberale Öffnungspolitik hervorgerufene Krise der traditionellen kolumbianischen Landwirtschaft. Der Preisverfall für klassische Agrarprodukte wie Mais und Fleisch lässt Kleinbauern fernab der Großstädte kaum noch eine andere Alternative, als Koka anzubauen.

Für Washington beunruhigender als die Tatsache des Kokaanbaus an sich dürfte in diesem Zusammenhang gewesen sein, dass sich ein Großteil der Pflanzungen in jenen Gebieten Südkolumbiens befindet, die traditionell von den FARC kontrolliert werden. Die Guerillaorganisation ist zwar nicht direkt in den Drogenhandel involviert, aber sie besteuert - anders als die ELN, die den Drogenanbau aus politischen Gründen ablehnt - den Kauf von Kokapaste durch die Zwischenhändler. Mit Hilfe dieser Einnahmen haben sich die FARC in den vergangenen Jahren in die wohl bestausgerüstete und schlagkräftigste Guerilla verwandelt, die es jemals in Lateinamerika gegeben hat.

Der 1999 entwickelte "Plan Colombia soll nun offensichtlich dazu beitragen, den widerständigen Guerillas eine strategische Niederlage zuzufügen. Von insgesamt 1,3 Milliarden US-Dollar, die Washington für Kolumbien verabschiedet hat, sind 1,1 Milliarden für Militär, Polizei und Justiz bestimmt. Im Mittelpunkt stehen dabei die Lieferung von mehreren Dutzend Huey- und Black Hawk-Kampfhubschraubern, die Entsendung von mehreren Hundert US-Militärberatern sowie der Aufbau von Eliteeinheiten der kolumbianischen Armee. Mit diesen so genannten "Anti-Drogen-Bataillonen" entstehen Kampfeinheiten, die zwar offiziell in die kolumbianische Armee integriert sind, de facto jedoch von US-Offizieren mitgeleitet werden.

Der für die Bevölkerung schwerwiegendste Bestandteil des "Plan Colombia" ist jedoch die Ausweitung der Herbizideinsätze aus der Luft. Insgesamt werden die kolumbianische Polizei und das US-amerikanische Söldnerunternehmen Dyncorp in den nächsten Monaten mehrere Hunderttausend Hektar Land mit hochgiftigen Herbiziden besprühen - eine Maßnahme, die von Kritikern in der Andenregion als "militärische Kriegsführung" bezeichnet wird. Selbst Studien der Regierung in Bogotá gehen davon aus, dass infolge der Sprühungen allein im Department Putumayo 200.000 Menschen fliehen und weitere 7000 sterben werden. Schon jetzt klagen Familien in den betroffenen Regionen, dass Kleinkinder nach den Einsätzen an Durchfall stürben. Dazu kommt die bleibende Verseuchung der Amazonasregion mit Chemikalien und die Beschädigung bzw. Zerstörung von mehreren Hunderttausend Hektar Regenwald.

Die zu erwartenden Schäden dieser Maßnahmen sind so groß, dass selbst die Regierungen der Nachbarländer Ecuador und Brasilien ihre Besorgnis ausgedrückt haben. Doch die Verantwortlichen in den USA lassen sich davon nicht beeindrucken. Offensichtlich gehört die Vertreibung von Kleinbauern aus der Region durchaus zum Kalkül. Die Besprühungen zerstören nämlich nicht nur die wichtigste Einnahmequelle der FARC, sondern entvölkern auch Gebiete, in denen große Erdölvorkommen lagern. So wird der Zugang zu den Ressourcen gleich in doppelter Hinsicht erleichtert: sowohl linke Rebellen als auch die renitente Zivilbevölkerung werden aus dem Weg geräumt.

Die Friedenspolitik des Präsidenten Pastrana erscheint vor diesem Hintergrund in einem anderen Licht als es in Europa den Anschein hat. Pastrana hat zu einem Zeitpunkt die Regierungsgeschäfte in Bogotá übernommen, als das kolumbianische Establishment international in Misskredit geraten war und die FARC-Guerilla die militärische Initiative besaß. Durch die Aufnahme von Friedensgesprächen konnte Pastrana das beschädigte Image des kolumbianischen Staats immerhin so weit wieder herstellen, dass insgesamt 2 Milliarden US-Dollar ausländische Finanzhilfe ins Land geflossen sind. Nun setzt die Oberschicht, wie schon so oft in der kolumbianischen Geschichte, auf eine militärische Lösung. Der vor wenigen Tagen abgebrochene Friedensprozess mit der ELN ist das beste Beispiel dafür. Ende 2000 hatte die Pastrana-Regierung in Kuba ein Abkommen mit der Guerillaorganisation unterzeichnet, die anders als die FARC keine bilaterale Verhandlungen mit dem Staat, sondern eine breite gesellschaftliche Friedensdebatte im Rahmen einer so genannten "Nationalkonvention" anstrebt. Die Regierung setzte die im Vertrag vereinbarte Demilitarisierung eines kleinen Gebiets in Nordkolumbien jedoch ein Jahr lang einfach nicht um, um nun im Juli diesen Jahres Neuverhandlungen zu fordern. Als die ELN dazu nicht bereit war, brach Pastrana die Gespräche wegen der mangelnden Gesprächsbereitschaft der ELN ab.

Seitdem schießen die Propagandaorgane der kolumbianischen Armee aus vollen Rohren. Jeden Tag werden neue Siegesmeldungen verkündet, die beweisen sollen, dass der Krieg gewinnbar und der Guerilla nicht zu trauen ist. Offensichtlich ist den Generälen dabei keine Lüge zu dumm. So wurden die baskischen Angehörigen einer spanischen NRO als ETA-Mitglieder dargestellt, und nach der Festnahme von drei irischen Republikanern in Bogotá behauptet die IRA baue mit den FARC an der Entwicklung einer "Superbombe mit der Sprengkraft eines Atomsprengkörpers".

Die FARC wollen die Gespräche mit der Regierung von Präsident Andres Pastrana über einen Waffenstillstand wieder aufnehmen. US-Außenminister Colin Powell hatte sich am Montag vor den Anschlägen, die ihn dann seinen geplanten Kolumbienbesuch absagen ließen, für eine weitere Unterstützung der Verhandlungen ausgesprochen. Der jetzt von der US-Regierung gestartete Krieg gegen den Terrorismus könnte aber zu einer Verschärfung der Kämpfe in Kolumbien führen. FARC, ELN und AUC werden von den USA als terroristische Organisationen betrachtet.