"Paul Bremer ist der Berlusconi des Irak"
Der US-Verwalter müsste heute vor Gericht erscheinen, Hussein Sinjari, Herausgaber einer irakischen Zeitung, kritisiert die amerikanische Medienpolitik
Heute müsste Paul Bremer eigentlich vor Gericht erscheinen. Zum zweiten Mal hat ein Verwaltungsgericht in Bagdad sein persönliches Erscheinen angeordnet. Beim ersten angesetzten Termin fehlte der oberste US-Verwalter im Irak unentschuldigt. Ob er diesmal der gerichtlichen Anordnung folgt, ist zu bezweifeln. Zur Anhörung vor dem Verwaltungsgericht steht eine Klage des "Iraqi Press Syndicate" (IPS), das die Schließung des "Informationsministeriums" rückgängig machen möchte. Im Mai 2003 hatte Paul Bremer im Zuge der "De-Baathifizierung" das Militär sowie alle anderen parteinahen Institutionen aufgelöst und rund 10 Millionen Iraker arbeitslos gemacht. Darunter auch einige Tausend Mitarbeiter des Informationsministeriums.
"Eine ungerechte, unmenschliche und unüberlegte Entscheidung", nennt es der Vorsitzende der IPS, Shehab Al-Tamimi. "Alle Angestellten habe Rechte, die auch eine ausländische Macht nicht verletzen sollte." Eine Chance wird das Anliegen kaum haben, obwohl erst kürzlich ehemalige Baath-Parteimitglieder wieder eingestellt wurden. Die irakischen Medien sind absolute "Chefsache". Einmischungen, von welcher Seite auch immer, sind unerwünscht.
"Paul Bremer ist der Berlusconi des Irak", sagt Hussein Sinjari, der als Herausgeber der Wochenzeitschrift Al Ahali und der Tageszeitung Iraq Today zu einer deutsch-arabischen Medienkonferenz in Beirut eingeladen ist. Genüsslich beißt er in eine Aprikose. Die Explosionen und Schießereien von Bagdad sind im Strandrestaurant des Beiruter Rivierahotels weit weg. Trotz der entspannten Luxusatmosphäre merkt man dem sportlichen, fast hageren Mann seine Verbitterung an. Bereits drei Monate vor "CBS" und dem "New Yorker" hatte er Beweise für die Folterungen in Abu Ghraib, wollte sie aber nicht veröffentlichen, um den Islamisten keine propagandistische Munition zu liefern.
Unter Saddam Hussein produzierte der Journalist im unkontrollierten, freien Norden des Iraks. Nach der "Befreiung" zog seine Zeitung unter großen finanziellen Schwierigkeiten nach Bagdad um. Dort musste er feststellen, dass die Koalitionstruppen nur Medien finanzierten, die ihnen angenehm waren. "Initiativen von demokratischen, liberalen Leuten wurden ignoriert", meint er enttäuscht. "Wieder einmal gab es Zeitungen, Radiostationen und Fernsehsender, die vom Staat finanziert wurden. Wir dachten, diese Ära wäre vorbei."
Nach dem Sturz Saddam Husseins stellten die USA 40 Millionen Dollar für ein "Iraq Media Network" bereit. Neben mehreren Radiostationen, einer nationalen Tageszeitung sollte vor allen Dingen die TV-Station, "Al-Irakiya", neu aufgebaut werden. Nach wenigen Monten stellte sich heraus, dass die beauftrage US-Firma SAIC völlig überfordert war. Viele irakische Mitarbeiter verließen den Fernsehsender. Das Gehaltsgefälle von 120 Dollar im Monat für Iraker, 200 Dollar pro Stunde für "Consulting-Fachleute" aus dem Ausland, war dabei wenig ausschlaggebend. Der Nachrichtenchef, Ahmed Al-Rikaby, kündigte vor allen Dingen wegen "mangelnder inhaltlicher Unabhängigkeit" und, was man kaum glauben kann, wegen "fehlender Finanzierung".
2004 wurde nun eine neue Firma, die Harris Cop. aus Florida, beauftragt. Das Budget beläuft sich auf insgesamt 96 Millionen Dollar, die höchste Summe, die jemals von den USA für ein Medienprojekt im Ausland zur Verfügung gestellt wurde. Der US-Senator Richard Lugar nannte es das "wichtigste Unternehmen in Sachen öffentlicher Diplomatie".
Mittlerweile ist "Al-Irakiya" zwar über Satellit zu empfangen, aber die meisten Menschen im Irak sehen nach wie vor "Al-Dschasira" und "Al-Arabiya", wie Hussein Sinjari bestätigt. Er ist auf diese Sender schlecht zu sprechen. "Immer posaunen sie vom heroischen Widerstand gegen die USA und liefern abstruse Verschwörungstheorien."
"Al-Sabah" ist mit 75.000 verkaufter Auflage die größte Tageszeitung im Irak und kann sich über Anzeigen vollständig finanzieren. Vor wenige Monaten bestimmte Paul Bremer, dass diese unabhängige Zeitung ein Teil seines "Iraq Media Network" wird. "Wie demokratisch, niemand hat uns gefragt, ob wir wollen", kommentierte Ismail Zayer, der bis März Chefredakteur des Blattes war. Nach massiven inhaltlichen Eingriffen durch die US-Administration gründete er die neue Zeitung "Al-Sabah al-Jadid". Vor zwei Wochen entging Ismail Zayer nur knapp einem Kidnappingversuch, bei dem sein Leibwächter und sein Fahrer getötet wurden. Wenige Tage später versuchte man auch einen Reporter der Zeitung zu kidnappen. Er hatte ebenso viel Glück wie der Chefredakteur.
Die Organisation "Reporter ohne Grenzen" bezeichnet den Irak "als einen der gefährlichsten Ort der Welt für Journalisten" ("Ein tödliches Jahr für die Pressefreiheit"). Seit Beginn des Krieges wurden insgesamt 41 Journalisten getötet. 2004 waren es 14, davon 11 Iraker. Für ein Drittel aller Toten macht man die US-Truppen verantwortlich. Erst Ende Mai wurde ein Kameramann von "Al-Dschasira" in Kerbala von einem Scharfschützen in den Kopf geschossen. Mehrere irakische Mitarbeiter von Reuter, die von US-Soldaten verhaftet wurden, berichteten von physischen und sexuellen Misshandlungen während ihrer Haftzeit. Einige der 20 "Al-Dschasira-Journalisten", die bisher von US-Truppen verhaftet wurden, bestätigen derartige Berichte. Der Kameramann Salah Hassan musste 11 Stunden nackt mit einer Kapuze über dem Kopf stehen. Als er zusammenbrach, schlug man ihn. Nicht umsonst steht der Irak auf dem Index für Pressefreiheit auf Platz 145 von 186.
Die Internationale Journalistenvereinigung bezeichnet die Weigerung der US-Verwaltung und der irakischen Behörden, Journalisten zu schützen, als ein "fahrlässiges Versäumnis". Das Internationale Presseinstitut kritisiert die Verbote und Zensurmaßnahmen der amerikanischen Verwaltung als "kontraproduktiv". Aber gerade "Kontraproduktivität" hat im Irak Hochkonjunktur. "Die Amerikaner sind in dieses Land gekommen, ohne einen Plan zu haben", sagt Hussein Sinjari, als er sich bereit macht zu gehen. "Was die Medien betrifft, wie auch die Kommunikation und die Verständigung mit den Menschen". Die Zukunft sieht der erfahrene Journalist düster. "Es wird mehr Gewalt geben, mehr Gewalt gegen die Koalitionstruppen", sagt er resigniert und verabschiedet sich. Langsam verschwindet er im kleinen Fußgängertunnel, der ihn unter der Beiruter Corniche vom Strand zurück ins Hotel bringt.