"Ein tödliches Jahr für die Pressefreiheit"
Die Ampel für die unabhängigen Medien steht auf Rot.
Zum internationalen Tag der Medien am 3. Mai haben Freedom House und Reporter ohne Grenzen ihre Berichte über das Jahr 2003 veröffentlicht. Das Fazit: Der Trend, der sich seit 2002 abzeichnet, hat sich weiter fortgesetzt – die unabhängigen Medien geraten weltweit immer stärker unter Druck.
Insgesamt 42 getötete Journalisten hat die Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) für 2003 gezählt. Das ist der höchste Stand seit 1995, für Reporter ohne Grenzen war 2003 daher ein "tödliches Jahr für die Pressefreiheit". Ob Inhaftierung, Verhör, Bedrohung oder Zensur – in allen Bereichen des Mediensektors ist laut Reporter ohne Grenzen ein Anstieg zu verzeichnen. Insgesamt wurden 501 Medien zensiert oder verboten, 28 Prozent mehr als im Vorjahr. 766 Journalistinnen und Journalisten wurden verhaftet, verhört oder festgehalten, 2002 waren es noch 692, 2001 waren es 489. 124 Journalisten sitzen hinter Gittern: allein 30 in Kuba, gefolgt von Birma (17), Eritrea (14) und dem Iran (11).
"Reporter ohne Grenzen": Mehr Tote, mehr Übergriffe, mehr Zensur
Auch die Zahl der gewalttätigen Übergriffe ist mit 1.460 registrierten Fällen auf hohem Niveau geblieben. Hier hat sich erneut Bangladesch mit 200 Journalisten, die tätlich angegriffen oder bedroht wurden, ausgezeichnet. In Afghanistan mussten zwei Journalisten aus dem Land fliehen, nachdem sie mit einer Fatwa belegt und mit dem Tode bedroht wurden.
Die Medienzensur hat mit 501 Fällen ebenfalls einen neuen Höchststand erreicht. 2002 gab es 389 Fälle und 378 in 2001. Hervorgetan hat sich vor allem China, das zu Themen wie SARS, AIDS, Korruption und Forderung nach Demokratie nur den offiziellen Sprech gelten lässt. In mehreren afrikanischen Ländern wurden Zeitungen beschlagnahmt und Radiosender geschlossen. Zunehmend missbrauchen Regime den Kampf gegen den Terrorismus, um die unabhängige Presse zu kontrollieren. Dies war vor allem in Tunesien und Marokko der Fall. Aber auch Spanien hat die Schließung der baskischen Zeitung "Euskaidunon Egunkaria" als "Präventivmaßnahme" im Anti-Terror-Kampf deklariert.
"Freedom House": Fünf Prozent weniger Menschen haben Zugang zu unabhängigen Medien
Die New Yorker Organisation Freedom House hat ihr Augenmerk mehr auf regionale Entwicklungen ausgerichtet. Sie bewertet einzelne Ländern nach den Kategorien "frei", "teilweise frei" und "nicht frei". Die traurige Bilanz für 2003: Von 193 untersuchten Ländern konnten 73 (38 Prozent) als "frei" eingestuft werden, damit haben nur 17 Prozent der Weltbevölkerung einen Zugang zu freien Medien. Als "teilweise frei" wurden 49 Länder kategorisiert (25 Prozent), 71 Länder (37 Prozent) haben eine Medienlandschaft, die als "nicht frei" beurteilt wird, was immerhin 43 Prozent der Weltbevölkerung betrifft. Der Mittlere Osten und Nordafrika sind die Regionen mit der geringsten Medienfreiheit. Hier wurden 90 Prozent der Länder als "nicht frei" bewertet.
Zu den Absteigern von 2003 gehören unter anderem Bolivien, Bulgarien, Gabun, Guatemala, Guinea-Bissau, Moldawien, Marokko und die Philippinen, die von "teilweise frei" auf "nicht frei" herabfielen. Aufsteiger waren Kenia und Sierra Leone, die sich auf "teilweise frei" verbesserten.
In einem Interview mit Radio Liberty fasst Freedom-House-Mitarbeiterin Karin Karlekar die Ergebnisse zusammen:
"Wir mussten feststellen, dass die Pressefreiheit im Vergleich der vergangene beiden Jahre einen neuen Tiefstand erreicht hat. 2003 war das zweite Jahr, in dem sich so eine Entwicklung abzeichnet. Weltweit gesehen, sieht es so aus, als haben fünf Prozent weniger Menschen weltweit Zugang zu freien Medien, während die Zahl der Menschen, die in Medienumgebungen leben, die wir als nicht frei bezeichnen, um fünf Prozent gestiegen ist."
Brennpunkt Irak
Im Jahr 2002 war der Irak die gefährlichste Zone für Journalisten. Im vergangenen Jahr hat Reporter ohne Grenzen dort den Tod von 14 Reportern und Kameraleute gezählt. Dies liege jedoch nicht an der hohen Medienpräsenz vor Ort, sondern vor allem daran, dass die Risiken für Kriegsberichterstatter gestiegen seien, weil Kriegsparteien immer weniger die Sicherheit der Medienangehörigen respektierten, um die "Schlacht der Bilder" zu gewinnen. Selbst Umsichtigkeit, individuelle Schutzmaßnahmen und gutes Training der Journalisten im Vorfeld nützten hier nichts. Obwohl Freedom House den Irak als "nicht freie" Zone einstuft, sieht die Organisation Zeichen der Besserung. Seit dem Sturz Saddams seien Hunderte neuer Publikationen entstanden, die ein breites Meinungsspektrum abbildeten. Die Leute hätten unzensierten Zugang zum Internet und ausländischen Fernsehprogrammen.
Auch in Europa ist die Medienwelt nicht mehr in Ordnung. Das große Sorgenkind ist Italien, das von Freedom House von "frei" auf "teilweise frei" herabgestuft wurde. Auch Reporter ohne Grenzen kritisiert, dass in Italien die Medienvielfalt und die Unabhängigkeit des öffentlichen Fernsehens nicht mehr garantiert seien, da sich Radio und Fernsehen direkt oder indirekt in der Hand der Regierung befinden: Premierminister Silvio Berlusconi kontrolliere 90 Prozent der TV-Programme, die die Italiener täglich sehen.
Der italienische Patient
Im Verlauf des vergangenen Jahres hatten mehrere Entlassungen für Unruhe in Italien gesorgt: Zuerst wurden zwei beliebte RAI-Journalisten auf Drängen von Berlusconi gefeuert. Später nahm der Chefredakteur der größten italienischen Tageszeitung "Corriere della Sera" nach zahlreichen Attacken durch den Premier seinen Hut. Wie sehr Berlusconi das Informationsmonopol in der Hand hält zeigte sich auch eklatant in der Nachrichtenberichterstattung: Als im März 2003 hunderttausende Italiener gegen den Krieg im Irak auf die Straßen gegangen, wurde dies weder in den staatlichen noch im privaten Fernsehen gezeigt.
Der jüngste Rückschlag für die Medienlandschaft: Am 29 April hat der italienische Senat das umstrittene Gasparri-Gesetz endgültig verabschiedet. Das Mediengesetz, auch Lex Berlusconi III genannt, dient offiziell dazu, den Weg für das terrestrische digitale Fernsehen freizumachen. Tatsächlich jedoch weitet es die marktbeherrschende Stellung des Mediaset-Imperiums von Berlusconi weiter aus. Das Gesetz erlaubt unter anderem höhere Einnahmen bei TV-Werbung, es hebt das Verbot auf, nach dem eine Person nicht mehr als zwei Sender besitzen darf und schließlich ermöglicht es Besitzern von Fernsehsendern, sich ab 2009 auch in Zeitungen oder Verlage einzukaufen. Das war bislang nicht möglich. Gute Perspektiven also für die Expansionsbestrebungen von Silvio Berlusconi und schlechte für die italienische Medienvielfalt.