Peinlich, peinlicher, Böhmermann
Von Christoph Schlingensief zu Jan Böhmermann oder der Niedergang der deutschsprachigen Satire
Erregte Menschenmassen standen tagelang um die Installationen herum und stritten mit- oder besser gegeneinander. In allen Medien überboten sich die Rechten aller Couleur mit Empörungsgeschrei. Es herrschte fast ein Ausnahmezustand im Sommer 2000 in Wien. Verantwortlich dafür war die Kunstaktion "Ausländer raus" von Christoph Schlingensief.
Im Rahmen der Wiener Festwochen 2000 hatte der Künstler in Wien einen Container im touristischen Zentrum Wiens aufgestellt, der standesgemäß Herbert-Karajan-Platz heißt, benannt nach einen Künstler, der mit den Nazis genauso konnte wie mit deren Nachfolgern und so zum Prototyp des Opportunisten wurde. Auf dem Container prangten Wahlparolen der rechten FPÖ, mit denen die Partei damals unter Jörg Haider große Wahlerfolge erzielte (Tötet Europa! Bitte liebt Österreich!, Alles nur Theater?).
Es war gerade mal 15 Jahre her, als die Waldheim-Affäre aufzeigte, wie schnell der zivilisatorische Firnis abbröckelt und offen antisemitische Äußerungen wieder hörbar waren. Ein Großteil der österreichischen Bevölkerung übte sich in Schulterschluss mit einem Präsidentschaftskandidaten, der bei der Wehrmacht an Kriegsverbrechen beteiligt war. Erst vor wenigen Monaten hat die Regisseurin Ruth Beckermann mit dem Film "Waldheims Walzer" die Atmosphäre jener Zeit in Österreich noch einmal lebendig gemacht. In einem solchen Klima hat Schlingensief mit seiner Kunstaktion punktgenau interveniert. Der Spiegel berichtete damals, was sich am Karajan-Platz in Wien abspielte:
Auf dem Platz ruft der deutsche Aktionskünstler Christoph Schlingensief die Österreicher per Megafon auf, per Telefon täglich zwei Asylbewerber aus dem Land zu wählen. Touristen sollen Fotos schießen - damit man daheim sehen könne, "was hier los ist in Österreich".
Schlingensiefs Kunst bestand gerade darin, dass er den Rechten aller Couleur deren eigene Melodie vorspielte. Er beschimpfte sie nicht als Rassisten, er brachte sie dazu, dass sie bei den Äußerungen, die sie eigentlich vertreten, im wahrsten Sinne ausflippten vor Wut. Das kann man auf vielen Videos der Aktion sehen. Haider und seine Anhänger im Parlament orchestrierten die rechte Kampagne durch ihre Auftritte in den Medien. So war Schlingensiefs Kunst im wahrsten Sinne aufklärerisch, sie klärte auf über die österreichischen Verhältnisse jener Jahre.
Keine österreichische Identität - da klatschen die Deutschnationalen Beifall?
Dagegen ist Jan Böhmermann, der immer wie ein übereifriger Versicherungsverkäufer auftritt, der auf Humor machen will, nur mit der höchsten Form von Peinlichkeit zu klassifizieren. Während Schlingensief die gemeinen Österreicher durch seine Kunst als die Rassisten kenntlich macht, die sie im Herzen schon immer waren, beschimpft Böhmermann in einem Interview im Kulturmontag die Österreicher als Deppen.
"Es hallt aus den Bergen bis hinein nach Deutschland" versucht Böhmermann ganz ohne jegliche Historie Deutschland als das neuste Opfer der Rechten in Österreich darzustellen. Wenn sich Böhmermann dann minutenlang darüber auslässt, wie unseriös es sei, dass in Österreich ein 32jähriger Bundeskanzler ist, muss man sich fast fremdschämen für den Quatsch, der als Satire präsentiert wird. Wenn Böhmermann dann noch daran erinnert, wie schnell ein Panzer von München in Österreich sein kann, kann man sich nur über seine historische Amnesie wundern.
Und wenn er schließlich die "österreichische Identität" anzweifelt, ist er in guter rechter Gesellschaft. Die war immer dagegen und plädierte für den Anschluss an Deutschland. Ein großer Teil von ihnen jubelte dann dem Einmarsch der Wehrmacht 1938 zu. Die Idee von einer österreichischen Nation im Gegensatz zu Deutschland kam von Antifaschisten wie der Kommunistischen Partei Österreich. Das muss natürlich ein Böhmermann nicht wissen, der seinen peinlichen Auftritt mit Plattitüden zur Verteidigung der EU beendete. Die ORF-Moderation distanzierte sich dann gleich im Namen des Senders vom "provokativen Auftritt" Böhmermann.
Was Besseres konnte ihm gar nicht passieren, weil er damit doch wieder als ein kontroverser Künstler geadelt wird, vor denen die Mächtigen Angst haben. Natürlich soll dafür noch Werbung für seine Ausstellung im "Künstlerhaus Graz" gemacht werden, die wohl der eigentliche Zweck seines Auftritts war. Wenn schon ein gewollter Rechtschreibfehler im Titel die nötige Publicity bringen soll, können selbst die Ausstellungsmacher nicht besonders überzeugt davon sein.
Böhmermann - nicht bewusst verletzend
Nun hat Böhmermann auch schon vorher bewiesen, dass er Peinlichkeiten mit Satire verwechselt. Sein Beleidigungsbrief an den autoritären türkischen Herrscher war ja ein einziges Einladungsschreiben, dafür doch bitte angezeigt zu werden. Erdogan tat ihm dann natürlich den Gefallen. Dabei wäre dieser Brief vielleicht noch als Battle-Rap junger Hip-Hopper durchgegangen. Aber was will uns ein Enddreißiger damit sagen? Dass man in dem Alter die Finger von Battle-Rap-Versuchen lassen sollte. Die türkische Kunstszene hingegen hat schon seit Jahren sehr schlaue Methoden, sich mit Erdogan und seinem Regime zu befassen. Die brauchen keine Nachhilfe von Satire-Hospitanten aus Almanya.
Besonders peinlich war dann die Unterlassungsklage Böhmermanns gegen Bundeskanzlerin Merkel, weil die seine Schimpfkanonade gegen Erdogan als "bewusst verletzend" apostrophierte. Diese Banalität hätte jeder Satiriker ignoriert, denn die Behauptung des Gegenteils wäre eigentlich eine Beleidigung gewesen. Der Streber Böhmermann klagte und wollte sich bescheinigen lassen, dass er nichts von Satire versteht, weil er nicht verletzen will und das schon gar nicht bewusst. Die Unbedenklichkeitsbescheinigung mochte ihm die Justiz nicht ausstellen. Böhmermann verlor die Klage.
Doch die Fülle der Peinlichkeiten werden dem Böhmermann-Fanclub nichts anhaben können. Denn auch für ihn gilt: Jeder hat die Fans, die er verdient. So ist der Abstieg der deutschsprachigen Satire von Schlingensief zu Böhmermann auch ein Zeichen der Zeit. Wo die Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen nur noch in Promillemargen vorhanden ist, kann es auch keine Satire geben, die wirklich bewusst die aktuellen Verhältnisse verletzt.
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