Alles nur Theater?
Schlingensiefs Containerprojekt hat erfolgreich die Hyperrealität vor der Wiener Oper wirklich werden lassen. Nun werden die Banner eingerollt und der Container zieht vielleicht sogar eine Station weiter.
Der große Inszenator hats geschafft. Eine Woche lang wurde in und um Wien herum und in den Feuilletons gerätselt, was denn nun wirklich echt sei an Christoph Schlingensiefs Wiener Containerprojekt.
Sind - wurde also gefragt - die dort untergebrachten und von Videokameras überwachten Insassen tatsächlich echte Asylsuchende oder nur Schauspieler? Ist die täglich vollzogene Abschiebung von Zweien von ihnen nur ein Fake oder gar ein Stück europäischer Realität? Sind die FPÖ-Fahnen auf dem Container authentisch? Und, das fragten sich viele empörte Wien-Touristen, ist die ganze Aktion auf dem Platz an der Oper mittlerweile schon österreichische Wirklichkeit? Fragen und Irritationen, die nach Schlingensiefs Worten so weit gingen, dass die absurde Absicht bestanden habe, vor dem Container ein Schild "Achtung, das ist Theater! Das ist eine Vorstellung!" aufzustellen. Was für ihn wiederum Beweis genug ist, dass sein Theater "noch einmal eine Hyperrealität erreicht" habe. (Ein Interview mit Schlingensief soll ab kommende Woche im Netz unter www.tivision.at/programm/rednews abrufbar sein).
Genau auf diese "Hyperrealität" fielen dann auch fast alle herein: Die Demonstranten, die ausländerfreundlich gestimmt am vergangenen Donnerstagabend die Container stürmten, um die Insassen symbolisch zu befreien. Und dann schockiert feststellen mussten: "Die sind ja wirklich echt!" Auch die FPÖ, die nun Schlingensief wegen ausländerfeindlicher Propaganda verklagen will. Und nicht zuletzt die österreichische Justizbehörde, die juristische Maßnahmen gegen den Berliner Regisseur einleiten will, weil dieser ein Schild mit dem SS-Spruch "Unsere Ehre heißt Treue" am Container angebracht hat, und dabei aber geflissentlich übersieht, dass mit der gleichen Nazi-Parole vor einiger Zeit der niederösterreichische FPÖ-Obmann Ernest Windholz die Funktionäre eines Parteitages ermuntert hat. Und es sind wohl auch die hereingefallen, die gleich massenhaft über das Internet an dieser den Stil der "Big Brother"-TV-Show kopierenden Abschiebeaktion teilgenommen haben.
Das meint zumindest der Essayist Konrad P. Liessmann, der in der österreichischen Zeitung "Der Standard" schrieb:
"So wie Big Brother überhaupt die gar nicht so unverblümte Sehnsucht der Ohnmächtigen bediente, ein bißchen über das Schicksal von Menschen entscheiden zu dürfen - wenn auch nur im Spaß -, erlaubt Schlingensief sich und seinen Adepten den Luxus, im Imaginären zu tun, wogegen sie sich in der Realität verwehren: ein Mausklick, eine Telefonnummer - und ein Mensch ist weg."
Wobei Liessmann in seiner Kritik an dieser Aktion allerdings übersieht, dass die dabei von Schlingensief inszenierte "Hyperrealität" im Grunde nur die Wirklichkeit in den Abschiebeknästen und in den ja tatsächlich auf europäischen Flughäfen längst vorhandenen Abschiebecontainern beim Wort nimmt, sie gleichsam weiterdenkt und dabei ein Bild oder ein Theater produziert, das uns zumindest heute noch schockieren kann: Das Abschieben von Menschen als multimediales Spektakel! Genau das ist jetzt vorüber, das Container-Schild "Ausländer raus!" soll - so Schlingensief - nun als Kunst-Stück im Museum of Modern Art in New York ausgestellt werden. Und der Container selbst zieht womöglich weiter. Das planen zumindest Daniel Cohn-Bendit und der Grün-Nationalrat Peter Pilz, die diese Aktion jetzt in Kärnten, vor der Haustür von Jörg Haider, wiederholen wollen.