Peter Hartz vor Gericht

Erfinder des Hartz-Vier-Zynismus steht in Braunschweig vor Gericht

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Peter Hartz war der VW-Manager, mit dessen Namen zwei Vorfälle verbunden sind: Die Zusammenlegung von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe zu einem monatlichen Taschengeld von 345 Euro und Huren für Vorstand und Betriebsrat von VW. Zur Klärung der Finanzpraktiken steht der Manager nun vor Gericht. Zur Klärung der Hartz-Vier-Reform erscheint ein Buch des Managers. Titel: Macht und Ohnmacht. Und fünf Millionen Hartz-Vier-Opfer knirschen mit den Zähnen.

„Endlich“, mögen fünf Millionen Hartz-Vierer in Deutschland denken, wenn sie hören, dass Peter Hartz, der Erfinder der gleichnamigen Reform, in Braunschweig vor Gericht steht. Aber der Gedanke ist falsch. Denn Peter Hartz steht nicht vor dem Richter des Landgerichts Braunschweig, weil seine Vorschläge die Lebensverhältnisse von 5,2 Millionen Menschen in Deutschland teils drastisch verschlechtert haben.

Er steht wegen „Untreue und Begünstigung“ zum Nachteil des VW-Konzerns vor Gericht. Seit Oktober 2005 wurde gegen ihn ermittelt, weil sich im Zuge der VW-Affäre der „Anfangsverdacht der Untreue“ gegen Peter Hartz ergeben hatte. In der sogenannten VW-Affäre geht es im Kern um Schmiergeldzahlungen an den Betriebsrat. Hartz soll sie gebilligt und unterstützt haben. Er soll in seiner Funktion als Personalvorstand Gelder des Konzerns benutzt haben, um Treffen mit Prostituierten für Angehörige des gehobenen Managements zu finanzieren.

Das Mindeste, was auf Hartz bei einer Verurteilung zukommt, sind Schadensersatzforderungen von VW. Der Prozess begann gestern. Er soll nur zwei Tage dauern. Dann hätte Peter Hartz den Prozess rechtzeitig zu einem Erholungswochende überstanden.

Am ersten Verhandlungstag gab sich der Ex-Manager reuig. Er gestand, dass er es war, der den Missbrauch von Firmengeldern initiiert habe; er gestand, dass er angeregt habe, den Betriebrat „grosszügig“ zu behandeln. Verteidigung, Staatsanwaltschaft und Richter hatten sich bereits vor der Verhandlung über das Strafmaß verständigt. Dies hatten mehrere Medien berichtet, unter anderem Hans Leyendecker von der „Süddeutschen Zeitung“. Nach der Vorfeldkungelei sieht es so aus, als müsse Peter Hartz nicht ins Gefängnis. Bestenfalls - für ihn - kämen zwei Jahre Haft auf Bewährung und eine Geldbuße von 300-000 Euro heraus. Das alles wird die Öffentlichkeit erst in der Urteilsverkündung erfahren.

Auf der anderen, vor Gericht nicht relevanten Seite von Hartzens Wirken steht seine maßgebliche Federführung zu dem Gesetz über die Zusammenlegung von Arbeitslosen-und Sozialhilfe. Es trat am 1. Januar 2005 in Kraft. Eine Summe von 345 Euro befand der Gesetzgeber für ausreichend, um sie den Arbeitslosen auszuzahlen. Mehr nicht. Das Geld reicht zwar gerade so zum Leben, aber es schließt die Bezieher dieser Leistung von fast jeder Teilhabe am gesellschaftlichen Leben aus. Kino, Theater, Reisen, die über eine Fahrt zum Arbeitsamt hinausgehen, Bücher, Zeitungen, Kleidung - alles Fehlanzeige. Die Normalität der Anderen ist Hartz-Vierern verwehrt.

Bisher hat noch niemand richtig verstanden, und kein Politiker hat begründen können, wie man ausgerechnet auf diesen Betrag gekommen war. „Wegen der Huren“, hatte Volkes Zorn geschimpft, als Mitte 2005 offenbar wurde, dass Schmiergelder unter anderem zur Finanzierung kostspieliger Prostituierter verwendet wurden. Volkes Zorn ist nicht kausal, aber eindrucksvoll. Das mit den Huren hat jeder verstanden, die wirtschaftspolitischen Schmiergeldzahlungen sollen nun vor Gericht zur Sprache kommen.

Und schon für „voraussichtlich März“ hat der Verlag Hofmann und Campe in Hamburg ein Buch von Peter Hartz angekündigt: „Macht und Ohnmacht“ soll das Werk heißen. Angesichts der Vorwürfe und der sozialen Lage der Hartz-Vier-Opfer müsste man eigentlich geneigt sein, das Buch in die Rubrik „Schelmenroman“ einzuordnen.

Verschärfen, Bestrafen, Fordern - und das Fördern bleibt auf der Strecke

Peter Hartz braucht sich vermutlich niemals Sorgen machen zu müssen, als Pate einer Verarmungsgesetzgebung belangt zu werden. Mit den Gesetzen und ihrer Anwendung durch die Arbeitsgemeinschaften der Arbeitsagenturen und Sozialämter (Arge) müssen lediglich die Hartz-Vier-Opfer leben. Im November 2006 fand das Bundessozialgericht in Kassel, dass 345 Euro ausreichen, um ein menschenwürdiges Leben zu führen. Es darf gefragt werden, wieso der Regelsatz menschenwürdig hoch sein soll, wenn er zugleich unterhalb der festgelegten Höhe der Armutsgrenze liegt.

Die Antwort müsste Karlsruhe geben, falls das Bundesverfassungsgericht generell einmal über die Verfassungsgemässheit von Hartz Vier entscheiden würde. Die ersten im Jahre 2005 vorgebrachten Verfassungsbeschwerden nahm das Gericht gar nicht erst zur Entscheidung an. Vor den Sozialgerichten in Deutschland waren 2006 Medienberichten zufolge 100.000 Klagen anhängig.

Das Jahr 2006 brachte statt Verbesserungen der Lage der Hartz-Vierer eine Reihe absurder Vorschläge von Politikern, die den Druck auf die Ausgegrenzten erhöhen wollten: Verkehrsminister Tiefensee wollte Hartz-Vierer als Ein-Euro-Jobber zum Sicherheitspersonal in öffentlichen Verkehrsmitteln machen; ein Pilotprojekt in Leipzig wird zur Zeit noch erprobt. Markus Söder von der CSU wollte gar den Urlaubsanspruch generell streichen. Kurt Beck, der rheinland-pfälzische Ministerpräsident und eigentlich Sozialdemokrat, nannte es anstandslos, wenn Arbeitslose die ihnen zustehenden Leistungen tatsächlich beanspruchen.

Der Bundesrechnungshof hat die Entwicklung der Hartz-Vier-Realität im Jahre 2006 beobachtet und für 2007 „Empfehlungen“ für die Grundsicherung der Arbeitslosen gegeben. Nach einer Zusammenfassung des Institutes für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung (IAB) regt der Rechnungshof an, das Instrument der Eingliederungsvereinbarung besser zu nutzen. In einer Eingliederungsvereinbarung verpflichtet sich die Arge schriftlich und rechtsverbindlich gegenüber dem Hartz-Vier-Opfer:

Kommt der zuständige Träger seinen in der Eingliederungsvereinbarung festgelegten Pflichten nicht nach, ist ihm innerhalb einer Frist von sechs Wochen das Recht der Nacherfüllung einzuräumen. Ist eine Nachbesserung tatsächlich nicht möglich, muss er folgende Ersatzmaßnahme anbieten: Arbeitsgelegenheit.

Diesen Anspruch möchte man gerne geltend machen. Wenn man schon sonst nicht in ein normales Arbeitsverhältnis gelangt.