Phantasievoller und sozialer
Im Vergleich mit Regelschülern schneiden Montessori-Schützlinge besser ab
Eltern, die ihre Kinder auf eine Montessori-Schule schicken glauben, dass sie dort individueller betreut und in ihren Fähigkeiten intensiver gefördert werden als in der Regelschule. Dass sie damit ziemlich richtig liegen, hat nun eine Untersuchung der University of Virginia ermittelt. Die aktuelle Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Science__http://www.sciencemag.org (Vol. 313 vom 29. September 2006) stellt die Studie vor.
Am 6. Januar 2007 wird es 100 Jahre her sein, dass Maria Montessori das erste Casa dei Bambini (Kinderhaus) in Rom eröffnete, um dort Kinder im Vorschulalter aus Proletarierfamilien zu betreuen. Ihr pädagogisches Konzept hatte sie zuvor zur Förderung geistig behinderter Kinder entwickelt. Unermüdlich arbeitete Montessori ihr Leben lang an der Verbreitung ihrer Erziehungs- und Lehrmethoden und schreckte dabei allerdings auch nicht vor einer Kooperation mit dem Mussolini-Regime zurück.
In den USA fand ihre Pädagogik von Anfang an großen Beifall: Heute lehren dort mehr als 5.000 Schulen nach dem Montessori-Ansatz, darunter 300 Privatschulen und einige High Schools.
Selbstbestimmtes Lernen
Zu den Grundlagen der Montessori-Pädagogik gehört, dass Kinder verschiedenen Alters zusammen lernen. Dabei gilt das Prinzip der Freiarbeit: Die Kinder dürfen frei wählen, womit sie sich beschäftigen wollen. Sie können damit auch ihren Arbeitsrhythmus und die Beschäftigungsdauer selbst bestimmen. Es gibt weder Noten noch Prüfungen. Fachliches und soziale Wissen wird in Einzel- und Kleingruppen vermittelt.
Viele Freiwilligkeit, wenig Druck, bestimmte Leistungen zu erzielen – können Montessori-Schüler da mit ihren Altersgenossen in den Regelschulen mithalten? Die Psychologinnen Angeline Lillard vom Department für Psychologie der University of Virginia in Charlottesville und Nicole Else-Quest von der University of Wisconsin haben die sozialen und fachlichen Fähigkeiten von Montessori-Kindern anhand bekannter standardisierter Tests mit denen von Regelschülern verglichen. Sie wählten dazu Schüler aus zwei Alterstufen aus: Eine Gruppe stand am Ende der Vorschule (primary level), die andere am Ende der Grundschule (elementary level). Alle Montessori-Zöglinge gingen auf eine Schule in Milwaukee, die hauptsächlich von Kindern aus Minderheitenfamilien besucht wird. Sie besteht seit neun Jahren und gilt als vorbildlich bei der Umsetzung des Montessori-Ansatzes.
Weil das Elternhaus bei der schulischen Entwicklung eine entscheidende Rolle spielt, suchten die Forscherinnen ihre Probanden danach aus, ob sich ihre Eltern um einen Platz in einer Montessori-Schule beworben hatten. Diese Schulplätze werden, wegen der großen Bewerberzahlen, regelmäßig im Lotterieverfahren vergeben. Alle ausgewählten Kinder stammten aus Familien mit einem Haushaltseinkommen zwischen 20.000 bis 50.000 US-Dollar. Ethnische Zugehörigkeit ebenso wie das Geschlecht stellten laut Lillard und Else-Quest kein Auswahlkriterium, da sie als nicht bedeutsam auf die Ergebnisse eingestuft wurden.
Standardisierte Testverfahren
Die Experiment- und Kontrollgruppe beider Altersstufen wurden standardisierten Tests unterzogen, um ihre kognitiven wie sozialen Fähigkeiten zu untersuchen. Bei der Altersgruppe der Fünfjährigen zeigten sich die Montessori-Schüler mit ihren Lese- und Rechenfähigkeiten deutlich überlegen. Bei den Vokabularübungen schnitten sie gleich ab, was die Psychologinnen auf den ähnlichen Familienhintergrund zurückführen. Tests der so genannten Exekutiven Funktionen, die als maßgeblich für den Erfolg in der Schule angesehen wird, lagen die Montessori-Kinder deutlich vorn.
Zur Analyse der sozialen Fähigkeiten wurden die Kinder gefragt, wie sie bestimmte Problemsituationen lösen würden. Hier zeigten die Montessori-Kinder deutlich mehr Sinn für Gerechtigkeit und Fairness.
Der Gruppe der 12-Jährigen ließen Lillard und Else-Quest fünf Minuten Zeit, um eine kurze Geschichte zu Ende zu erzählen. Bei dieser Übung erwiesen sich die Montessori-Kinder als einfallsreicher, dazu konnten sie mit deutlich komplizierteren Satzstrukturen aufwarten. Bei Grammatik und Orthographie gab es hingegen keine Unterschiede. Auch beim Lesen und Rechnen lagen beide Gruppen ziemlich gleich. Warum die Montessori-Kinder hier ihren Vorsprung aus Vorschul-Zeiten verloren hatten, können die Psychologinnen leider nicht beantworten.
Beim Test der sozialen Fertigkeiten mussten die Schüler verschiedene Geschichten über gesellschaftliche Probleme lesen und jeweils eine von vier Antworten dazu auswählen. Für die Montessori-Kinder eine leichte Übung: Sie zeigten sich als verständiger im Umgang mit problematischen Situationen. Gefragt nach ihren Gefühlen der Schule gegenüber legten sie größeres Gemeinschaftsgefühl als die Regelschüler an den Tag: „’Die Schüler in meiner Klasse kümmern sich umeinander’, ‚die Schüler in meiner Klasse behandeln sich mit Respekt’“, zitieren Lillard und Else-Quest.
„Wenn sie gewissenhaft umgesetzt wird, fördert die Montessori-Erziehung soziale und fachliche Fähigkeiten genauso oder sogar noch mehr wie die Erziehung an anderen öffentlichen Schulen“, ziehen Lillard und Else-Quest Bilanz. Dass gerade die sozialen Kompetenzen stärker ausgeprägt waren, hat die Wissenschaftlerinnen besonders überrascht, da bei der Entwicklung dieser Fähigkeiten das Elternhaus gemeinhin die größere Rolle spielt.
Lillard hat sich nun zum Ziel gesetzt, Schüler beider Probandengruppen über einen längeren Zeitraum zu untersuchen, um den langfristigen Effekt der Montessori-Pädagogik zu verfolgen. Außerdem soll die Analyse an anderen Schulen wiederholt werden und um zu prüfen, ob ggf. bestimmte Montessori-Praktiken zu bestimmten Ergebnissen führen.