Piraten, Giftmüll und verwirrende Zahlen
Erneut ist ein Chemietanker von somalischen Piraten überfallen worden
Somalische Piraten konnten den Chemietanker entführen, obgleich drei Angehörige des britischen Militärdienstleisters Anti-Piracy Maritime Security an Bord waren. Nach Presseberichten sollen diese allerdings von Bord gesprungen und von der deutschen Fregatte Mecklenburg-Vorpommern gerettet worden sein.
Damit bestätigt sich eine Analyse von Lloyds vom 14. November dieses Jahres, wonach selbst stärkere Militärpräsenz oder der Einsatz privater Dienste nicht zu einem Rückgang der Piraterie führen würde. Auch an Bord des entführten Supertankers Sirius befinden sich zwei Briten. Und im Oktober dieses Jahres wurde ein Beschäftigter der kanadischen Africa Oil Corp. nahe der somalischen Hafenstadt Bossaso entführt. Zur Zeit sollen nach Angaben der Voice of America der Britische Reporter Colin Freeman und der Spanische Photograph José Cendon in Boosaaso entführt worden sein, als sie das Thema Piraterie recherchierten.
Chemieabfälle und Giftmüll
Von Chemieabfällen, Giftmüll und radioaktiven Stoffen vor der Küste Somalias schreibt jetzt die ZEIT. Auch die BBC berichtet, der ehemalige Somalische Colonel Mohamed Nureh Abdullah wisse von Giftmüllverklappung vor seiner Küste. Demnach seien Behälter mit Giftmüll aus dem Meer aufgetaucht. Kurz darauf seien die Dorfbewohner erkrankt und es hätte ein Fischsterben eingesetzt. Überdies fischten große Industrietrawler die Fanggründe leer.
Rätsel wirft nach wie vor das Schiff “Iran Deyanat“ (Iran Diyat) auf. Das iranische Schiff unter deutscher Chartergesellschaft war vor Somalias Küste von Piraten überfallen worden. Anschließend seien Piraten erkrankt, hätten Hautverätzungen und Haarausfall bekommen, meldeten amerikanische Zeitungen. Dies führte zu Spekulationen, ob gefährliche Chemikalien oder radioaktive Stoffe an Bord waren. Iran verneinte dies stets. Am 12. November traf das umstrittene Schiff im Hafen von Rotterdam ein (Notwendige Piratenjagd oder neues militärisches Abenteuer?).
„Wir haben das Schiff inspiziert und nichts Verdächtiges entdecken können“, verlautbarte der Hafenmeister Jaap Lems. Zoll und Hafenpolizei hätten das Schiff untersucht. Hafenmeister Tie Schellekens räumt allerdings auf telefonische Nachfrage gegenüber der Autorin ein, dass keine Nukleardetektoren eingesetzt worden seien. Der Befund „unbedenklich“ sei durch bloße Augenscheinnahme erfolgt. Wie allerdings Spuren von nuklearer Belastung oder Chemierückstände mit bloßem Augen entdeckt werden sollten, vermochte der Hafenmeister nicht zu beantworten.
Im Übrigen habe es zuvor im Iran eine internationale Inspektion gegeben. Wer diese allerdings mit welchen Einsatzmitteln durchgeführt habe, konnte Tie Schellekens auch nicht beantworten. Nachfragen der Autorin bei den betroffenen Parteien, bei der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA, Interpol und dem deutschen Zoll wurden entweder mit Schweigen beantwortet oder es hieß, man sei nicht beteiligt gewesen.
Der Fall erinnert an den der „Yinhe“. Das Schiff fiel 1993 der US-Regierung und dem Nachrichtendienst CIA auf. Sie beschuldigten die „China Ocean Shipping Corp.“, verbotene Ausgangsmaterialien für Chemiewaffen vom Hafen Tianjin nach Iran zu transportieren. Die Route führte über Kuwait, Schanghai, Hongkong, Singapur, Jakarta, Dubai und Daman. Die US Navy verfolgte das Schiff. Die chinesische Regierung stimmte schließlich zu, dass ein gemeinsames Team von Saudis und Chinesen das Schiff untersuchen dürfe. Zu diesem Zeitpunkt ließen sich jedoch keine chemischen Waffen an Bord des Schiffs feststellen.
Aufgrund wenig verlässlicher Zahlen werden Militäreinsätze geplant
Der jüngste Überfall auf einen Tanker erhöht die Anzahl der somalischen Attacken auf 97 in diesem Jahr, die Zahl der Kaperungen auf 15, meldet der Versicherer Worldwide Marine Insurance. Wie diese Zahlen in Einklang zu bringen sind mit den Angaben des International Maritime Bureau (IMB), wird nicht mitgeteilt. Somalia, Nigeria und Indonesien seien nach Angaben des IMB Piraterie-Hochburgen. Beachtenswert sei, dass sich der Schwerpunkt der Überfälle von der unmittelbaren Küste Somalias in den Golf von Aden verlagert hätte. Dies gefährde besonders den Handel zwischen Asien und Europa. 63 Überfälle seien im zweiten Quartal dieses Jahres zu verzeichnen gewesen, 83 habe es im dritten Quartal gegeben.
Bemerkenswert. Denn die International Maritime Organization (IMO) mit Sitz in London verzeichnet zumindest für den Monat September 21 Piratenüberfälle im Golf von Aden, nur fünf vor Somalia und vier in Nigeria – und beruft sich auch auf IMB-Angaben. Das Fachmagazin der Erdölindustrie Platts bezieht sich auf die Organisation Recaap (Regional Cooperation Agreement on Combating Piracy and Armed Robbery against Ships in Asia). Demnach soll es allein zwischen Juli und September dieses Jahres 26 Vorfälle in Südostasien generell gegeben haben; mit einem Schwerpunkt in indonesischen Gewässern. Allein zehn der Überfälle hätten Tanker betroffen. Demnach wären die Schifffahrtswege Südostasiens nach wie vor hoch gefährdet.
Ebenfalls widersprechen die Zahlen der Interpretation des IMB-Direktors Kapitän Pottengal Mukundan. Der hatte noch im Juni dieses Jahres auf der Pressekonferenz der Maritime Security and Defence (MS&D) in Hamburg gesagt, die Straße von Malakka sei nicht mehr gefährdet. Die Zahlen sprechen eine andere Sprache.
Allerdings sind alle Zahlenangaben zum Thema Piraterie mit Vorsicht zu genießen. (vgl. auch Piraten und Islamisten im "failed state" Somalia). Beigetragen hat möglicherweise auch die verwirrende Definition von Piraterie gemäß Artikel 101 der UN Seerechts-Konvention von 1982 (UNCLOS). Demnach gilt als Piraterie jeder gewaltsame Akt gegen Schiffe, deren Besatzung und Eigentum an Bord auf hoher See außerhalb der Küstengewässer. Der Hafenmeister von Chittagong wies deshalb 2006 darauf hin, dass es viele Diebstähle an Bord von Schiffen auf Reede gegeben habe. So sei der Eindruck entstanden, der Hafen von Bangladesh sei eine Piratenhochburg. Nach IMB-Angaben sei 2006 der Hafen von Chittagong der gefährlichste der Welt gewesen. Dies basiert allerdings nur auf 33 gemeldeten Fällen und verdeutlicht, wie relativ Zahlen in diesem Kontext sind.
Gerade jetzt kann diese Warnung nicht oft genug wiederholt werden. Denn man argumentiert mit nur vermeintlich neutralen Zahlen, um Militäreinsätze durchzusetzen. Vor diesem Hintergrund erhebt die somalische islamistische Guerilla-Gruppe Al-Shabab den Vorwurf, die ausländischen Schiffe hätten eine hidden agenda. Der Sprecher der Gruppe Sheikh Muqtar Ali alias Abu Mansur behauptete, unter ihrer Herrschaft sei es geglückt, die Piraterie einzudämmen. Erst unter dem ausländischen Einfluss sei das Phänomen wieder erstarkt. h Nicht nur die Piraten profitieren von den Überfällen, auch die Versicherungen gewinnen. Die ägyptische Nachrichtenagentur Mena zitiert saudische Versicherungsanalysten, die von einem Anstieg der Höhe der Versicherungsprämien sprechen.